Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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ihren Schätzen hatte bis jetzt, statt Gewinn zu bringen, nur Kosten verursacht, und er selbst, weit entfernt, Heere besolden zu können, war arm, verlassen und amtlos. Um aber den König und die Königin wenigstens zu dem Unternehmen anzufeuern, suchte er aus der Bibel, den Kirchenvätern, den Schriften der Heiligen und der Philosophen alle Stellen zusammen, die auf die Bekehrung der Heiden und die Eroberung Jerusalems bezogen werden konnten, auch wenn die Deutung noch so fragwürdig war, benutzte die Aufzeichnungen, die er vor zwei Jahren in San Domingo gemacht, brachte alles mit Hilfe eines gelehrten Karthäusermönchs in ein festes System, das zu einem stattlichen Band anschwoll, und überreichte das Opus den Majestäten mit einem weitläufigen Begleitbrief, dessen eifernde Leidenschaftlichkeit nur von der kümmerlichen Einfalt übertroffen wird, die ihn möglich machte, und der wie die meisten Elaborate des Verfassers den Beweis liefert, daß sein Bildungsniveau selbst für das Zeitalter auffallend niedrig war. Spanische Finsternis.

      Er beschwört die Herrscher, nicht mit dem Kreuzzug zu säumen, denn der gegenwärtige Bestand der Welt sei nur noch für einen kurzen Zeitraum gesichert. »Der heilige Augustinus lehrt uns«, schreibt er, «daß das Ende siebentausend Jahre nach der Schöpfung kommen werde. Dieses ist auch die Meinung des Kardinals Pedro de Aliaco. Eure Hoheiten wissen, daß man von Adam bis Christi Geburt fünftausenddreihundertvierzig Jahre und dreihundertachtzehn Tage zählt. Nun sind seit der Geburt unseres Herrn fünfzehnhundertein Jahre verflossen, folglich steht die Welt schon sechstausendachthundertsechsundvierzig Jahre. Mithin bleiben noch einhundertfünfundfünfzig Jahre bis zu ihrem Untergang.«

      Ohne diese obskuren Spielereien wäre er vor Ungeduld verbrannt. Mit dem Aufwand seiner ganzen Seelenkraft, und die war nicht gering, kämpfte er gegen seinen siechen Körper und die Beschwerden des Alters. Das Ereignis des Tages ist Vasco de Gamas Umsegelung des Kaps der Guten Hoffnung; damit hat der Portugiese den Seeweg nach Ostindien gefunden; die Schätze Kalkuttas, die Reichtümer Hindostans sind in aller Munde, und es heißt, daß er und nach ihm Alvarez Cabral beladen mit Perlen, Silber, Gold, Bernstein, Elfenbein, Porzellan, seidenen Stoffen, edlen Hölzern, Gummi und Gewürzen aller Art zurückgekehrt seien. Da zeigt sich Colón in seiner vollen Unbeirrbarkeit. Er ist nicht etwa bestürzt oder niedergeschlagen oder von Zweifeln bedrängt, ob der von ihm eingeschlagene Weg der richtige Weg nach Indien gewesen; durchaus nicht, so etwas kommt ihm gar nicht in den Sinn. Sondern er faßt unverweilt den Plan zu einer neuen Reise, durch die er sowohl die Entdeckung Gamas wie auch seine eigenen früheren Unternehmungen in den Schatten stellen will. Es ficht ihn auch nicht im mindesten an, daß der Florentiner Vespucci inzwischen auf ein ungeheures Festland gestoßen ist, das unmöglich Asien sein kann. Er will es nicht wissen. Es ist nicht wahr. Für ihn gibt es dort kein anderes Festland als das asiatische. Dahin muß er gelangen, um jeden Preis, sei es mit welchen Mitteln immer, sonst hat er umsonst gelebt, umsonst die Meere befahren. Er hat ja, auf der vorigen Reise, die Karibische See gekreuzt, fast mit Gewißheit war anzunehmen, daß die Strömungen zu einer Meerenge führten, in dieser Enge mußte eine Durchfahrt sein und die mußte ihn nach Indien bringen. Daran ist nicht zu deuteln, es ist so sicher wie alles andere, was er prophezeit hat und genau eingetroffen ist.

      Er legt den Plan vor; er zeichnet genaue Karten und legt sie vor. Man ist in Verlegenheit. Man hat den lästigen Menschen schon abgetan geglaubt, plötzlich kommt er mit was Neuem. Wie soll man ihn beschwichtigen, da er doch imstande ist, einem das Gehirn aus dem Kopf zu reden. Man macht die und jene Einwendungen. Es ist kein Geld da, in den Kassen von Arragon und Kastilien ist vollständige Ebbe. Tut nichts, erwidert er, Geld will ich aufbringen. Ja, aber die Berichte Ovandos sind noch nicht eingetroffen, und von denen hängt es ab, das muß er begreifen, ob man ihn wieder in Dienst stellen könne. Auch davon will er nichts hören. Laßt mich nur mit dem König sprechen, sagt er. Er hat noch einige Freunde, die an ihn glauben, sie verschaffen ihm Zugang zu Seiner Majestät. Niemals war seine Beredsamkeit so zwingend, sein Feuer so hinreißend, waren seine Gründe so schlagend wie in dieser Audienz bei Ferdinand. Ob der König davon gewonnen und überzeugt wurde, steht dahin. Es ist möglich, daß es ein verführerischer Gedanke für ihn war, in den Besitz eines näheren und sichreren Verbindungswegs nach Indien zu gelangen, als ihn nun die Portugiesen hatten. Vielleicht machte ihn diese Erwägung dem Projekt geneigt, und er bewilligte es, wenn auch zögernd. Wahrscheinlicher ist, daß er den unbequemen Dränger los sein wollte, dessen Suada und verbissenen Fanatismus er geradezu fürchtete; die erbärmlichen Fahrzeuge, die man ihm für die Expedition zur Verfügung stellte und deren gänzlich ungenügende Ausrüstung lassen sogar den Verdacht zu, daß man ihn auf die Manier gründlich und für immer los zu werden hoffte: vier winzige Karavellen, zwischen fünfzig und siebzig Tonnen jede, mit einer Besatzung von insgesamt hundertfünfzig Mann. (Wunderlich: die Schiffe spielen immer wieder die Rolle des Kleppers Rosinante.) Die elenden Nußschalen sind schon bei schwach bewegter See in Gefahr zu sinken, es braucht gar keinen Sturm dazu. Einmal mußte nach menschlichem Ermessen (besonders wenn man ein wenig nachhalf) den ruhelosen Durchpflüger des Meeres ja doch das Schicksal ereilen, das er in seiner eitlen Ruhmsucht so oft herausgefordert hatte.

      Hat diese verbrecherische Berechnung einen realen Hintergrund (ich gestehe, es zu bezweifeln ist schwer), so bietet sie auch die einzige Erklärung dafür, daß der König trotz seiner unverhohlenen Abneigung gegen den Admiral alle mit ihm geschlossenen Verträge erneuerte. Noch mehr, er erbot sich sogar, die Privilegien seinem Sohne Diego nötigenfalls ausdrücklich zu bestätigen, er möge sich nur in Frieden und Vertrauen einschiffen. Mit einem so jungen, gänzlich von der Gnade des Hofes abhängigen Menschen konnte natürlich die spanische Majestät leichter fertig werden als mit dem unersättlichen und ewig querulierenden Vater. Was für Vorbehalte und Schlupflöcher sich jedoch hinter dem gnädigen Handschreiben verbargen, das entzieht sich heutiger Beurteilung. Spanische Lebensform und Konvention hatten zu dieser Zeit etwas vollkommen Undurchdringliches und Geheimnisvolles. Wie wenig man ihm traute, erfuhr Columbus bald genug: Seine Bitte, in Española Station machen zu dürfen, wurde rundweg abgeschlagen.

      Er gab sich keinen falschen Hoffnungen hin. Er erwiderte Mißtrauen mit Mißtrauen. Von allen Kontrakten, Konzessionen und Sonderbewilligungen, worin er als Großadmiral, Vizekönig und Gouverneur von Indien anerkannt war, ließ er zwiefache Abschriften unter Beglaubigung des Alcalden von Sevilla verfertigen, legte Kopien seines Briefes an Donna Juana della Torre bei sowie ein doppeltes Schreiben an die Bank von Genua mit der Überweisung des zehnten Teils seiner Einkünfte zur Ermäßigung des dortigen Getreidezolls (sehr schlau, dadurch machte er seine Vaterstadt zur Verfechterin seiner Rechte und Interessen) und schickte sämtliche Urkunden durch verschiedene Personen an seinen Freund, den Doktor Nicolo Oderigo, ehemaligen genuesischen Gesandten am spanischen Hof, mit der Bitte, sie in sicherer Verwahrung zu halten. Durch diese umfassende Vorsicht sind die Dokumente bis auf unsere Zeit gekommen. Ein Exemplar der Abschriften wurde 1816 in der Bibliothek des Senators Grafen Cambiaso gefunden und fünf Jahre später in der Urne aufbewahrt, die das Columbusdenkmal in Genua schmückt.

      Über die vierte und letzte Reise müßte man Bände schreiben, wenn man eine auch nur annähernde Vorstellung von ihrer Gefährlichkeit und ihrer Abenteuerlichkeit geben wollte. Liest man da und dort, was die Chronisten gesammelt und berichtet haben, was Columbus selbst darüber niedergeschrieben hat (ein verworrenes, unverständiges, seniles Machwerk übrigens), was Diego Porras, der Notar, als Augen-und Leidenszeuge vermeldet und was schließlich Diego Mendez, der wunderbare getreue Diener des Admirals, knapp und gewissenhaft in seinem Testament erzählt, so schaudert einem die Haut nach vierhundert Jahren noch. Die Mühseligkeiten waren so furchtbar, daß man sich wundert, wie Menschen sie überhaupt ertragen konnten, ohne ein solches Leben freiwillig zu beenden, insonderheit dieser kranke, verbrauchte, vorzeitig zum hinfälligen Greis gewordene Führer. Hunger, Seuchen, grausig endlose Stürme, quälende Hitze, Schiffbrüche, Zersetzung aller Disziplin, Verrat von allen Seiten und verzweifelter Haß aller gegen alle machen die Expedition zu einer wahren Höllenfahrt.

      Die Abenteuerlichkeit anlangend, müßte man an die effektvoll gehäuften Ausgeburten müßiger Hirne glauben, wären die Ereignisse nicht durch verläßliche Quellen bestätigt. Denn da ist alles versammelt, was seit Jahrhunderten primitiven Anhängern des Aufregenden den Sinn verrückt und den Atem raubt, die wilde Ungebärdigkeit des Ozeans und sein geheimnisvoller Reiz, unerwarteter Wechsel der Schicksale mit Todesgefahr und Rettung, Steuern ins Unbekannte und Stranden an weltverlorenen Inseln. Dieses Geschehen ist Generationen


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