Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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sei, über das Weltmeer zu gelangen; er entziehe also der Bibel die fundamentale Wahrheit, daß alle Menschen von einem einzigen Elternpaar abstammten. Und heiße es nicht in den Psalmen, der Himmel sei ausgespannt gleich einem Fell? Was so viel bedeute, daß er die Decke eines Zeltes sei, die bei den alten Hirtenvölkern aus Tierfellen gemacht gewesen; daher habe der heilige Paulus im Brief an die Hebräer den Himmel ein Tabernakel genannt, das über die Erde gebreitet sei, womit deutlich gesagt sei, daß er in seiner ganzen Ausdehnung flach sein müsse.

      Einige liberalere Mitglieder des Konziliums leugneten die Kugelgestalt der Erde nicht, gaben sogar die Existenz von Gegenfüßlern zu, doch hielten sie es für unmöglich, zu ihnen zu reisen, da in den Tropen das Meer in kochenden Wellen siede. Übrigens sei nach der Autorität Epikurs die Erde, wenn sie eine Kugel sei, nur auf der nördlichen Hälfte bewohnbar und von Himmel umgeben, auf der andern sei das Chaos, der Abgrund, die unendliche Wasserwüste. Angenommen, Indien könne zur See erreicht werden, auf welche Art solle man die Rückkehr bewerkstelligen, da man auf der Kugeloberfläche wohl hinab, nimmermehr aber bergauf fahren könne? Und hatte nicht schon Seneca, der Rhetor, in seiner Schrift Suasoriae die Frage aufgeworfen: Wird sich Alexander auf dem Ozean einschiffen, in Anbetracht, daß Indien das äußerste Land der Welt ist und jenseits dessen die ewige Nacht beginnt? Nein, antwortet er selbst, Alexander wird sich nicht einschiffen, um eine neue Welt zu suchen; wie darf also ein Heutiger so Ungeheures wagen, der weder Alexanders göttliche Kräfte noch seine königlichen Hilfsmittel besitzt?

      Eigentümlicher Konflikt: Wie sollte Columbus den Sturm der scholastischen Diskussion und Verhörung abwehren, er, der mit allen Anschauungen und Begriffen auf dem nämlichen Boden stand wie seine Inquisitoren und ihnen nichts entgegenzusetzen hatte als ein unmitteilbares inneres Bild und seine felsenfeste Überzeugung? Er mußte versuchen, was ihm freilich bei seinem Rednertalent nicht schwerfiel, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen; jeder wissenschaftliche Stützgrund, auch wenn er sich eines solchen wirksam hätte bedienen können, wäre ihm verhängnisvoll geworden.

      In den Jahren des Glücks schrieb er einmal an König Ferdinand: »Ich kam als Abgesandter der heiligen Dreieinigkeit zu Eurer Hoheit, um den heiligen Glauben zu verbreiten, denn klar genug spricht Gott von diesen Ländern durch den Mund des Propheten Jesaias, der da versichert, daß von Spanien aus sein Name solle verkündet werden.« So beharrte er schon vor der frommen Körperschaft in San Esteban darauf, daß er als ein Erleuchteter anzusehen sei. Die gewaltsam ausgedeuteten Stellen im Jesaias befinden sich im vierundzwanzigsten und fünfundsechzigsten Kapitel: »Von den Enden der Erde hören wir Gesänge«, und: »Ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde bauen.« Daß diese Mission dem König von Spanien vorbehalten sei, ist eine großartige Freiheit dieses Monomanen und Wortsklaven, und nicht minder willkürlich und das Wunder seiner Erwählung preisend verfährt er, wenn er die geheimnisvollen Worte aus dem Buch Hiob zitiert: »Woher kommt denn die Weisheit und wo ist die Stätte des Verstandes? Sie ist verhohlen vor den Augen der Lebendigen, auch vor den Vögeln unter dem Himmel, der Abgrund und der Tod sprechen: Wir haben mit den Ohren ihr Gerücht gehört, Gott weiß den Weg und kennt ihre Stätte, da er dem Wind sein Gewicht machte und setzte dem Wasser sein gewisses Maß.«

      Mit solchen Tönen, ehrwürdig aus dem Urbrunnen der Menschheit emporschallend, bringt er die ihn hart bedrängende Versammlung zur Ruhe. Man sieht, auch er hat Autoritäten auf seiner Seite, er rollt seine Pergamente auf, liest mit majestätischer Stimme vor. Für ihn haben die Stammväter der Menschheit gesprochen, für ihn die Patriarchen. Da sind seine Karten, eingezeichnet ist bereits die Fahrt; doch um die möglichen und von ihm erkannten Wege nicht vorzeitig aufzudecken und so um die Früchte seiner Lebensarbeit betrogen zu werden (er ist nach König Joans Betrugsversuch klüger geworden), beschränkt er sich auf unbestimmte Andeutungen, die die Mönche, Prälaten, Äbte, Bischöfe und Erzbischöfe vielleicht mehr zum Aufhorchen zwingen als es eine klare Darlegung, als es etwa die Berufung auf einen Forscher wie Toscanelli vermocht hätte, die er hier wieder, ich erwähnte es bereits, durchaus unterließ. Man konnte nicht umhin, ihn zu hören und mit ihm zu rechten, aber die stärkste Wirkung ging von seiner Ergriffenheit aus, der Haltung eines unbeugsamen Fanatikers, und von dem visionären Auge, das die Länder und Reiche schon erblickte, deren Existenz erst zur Debatte stand.

      Dennoch lautete das Urteil der Junta abweisend. Colón ging zur Königin und sagte: »Das Tribunal bringt Euch um Ruhm, Ehre und Reichtum.« Die Königin wollte ganz sichergehen und überwies das Projekt zur abermaligen Prüfung an den Staatsrat. Der Staatsrat fällte das Verdikt, die Meinung des genuesischen Fremdlings könne unmöglich richtig sein, er sei das Opfer wirrer Einbildungen. Die kriegerischen Verwicklungen hinderten die Königin in den nächsten Monaten daran, sich um ihren Schützling zu kümmern, sie ließ ihm jeweils geringe Geldsummen aushändigen, damit er an den Hof nach Malaga komme. Die Stadt war erobert worden, die große Moschee wurde als Kathedrale eingeweiht. Durch die Anhäufung von Menschen oder die leichtfertige Bestattung der Leichen brach, im August 1487, die Pest aus, und der Hof reiste eilig nach Cordova, dann, für den Winter, nach Saragossa, dann, im Frühjahr, nach Murcia, dann, im Herbst, nach Valladolid. In unerträglicher Gespanntheit und beklommener Ratlosigkeit folgte Columbus der Fürstin von Stadt zu Stadt, von Feldlager zu Feldlager, von Valladolid nach Medina del Campo, von da wieder nach Cordova. Er verfaßte Bittschriften über Bittschriften, bemühte sich um Audienzen bei Herzögen, Bischöfen, Ordensrittern, Prinzen und Prinzessinnen, erwarb bisweilen Gunst und Unterstützung, z. B. des Herzogs von Medina Sidonia, doch meist wurde er nur hingehalten und nicht selten verächtlich abgetan, bald als komische Figur, bald als aufdringlicher Supplikant, bald als wandernder Astrolog und manchmal sogar als ausländischer Spion.

      An Unterstützungsgeldern erhielt er im Mai 1487 dreitausend Maravedis (ungefähr zweihundertvierzig Mark heutigen Geldes), im Juli wieder dreitausend, im August viertausend, im Oktober viertausend. Damit konnte er gerade seine Notdurft bestreiten. So wenig es war, beweist es doch, daß die Königin trotz der zweimaligen Ablehnung, die sein Projekt durch Junta und Ratsversammlung erfahren hatte, sich nicht entschließen konnte, ihn fallenzulassen.

      Es ist noch ein königlicher Befehl vorhanden, ein in Form eines Freipasses ausgestellter Brief an die Stadträte, Richter, Regidoren, Ritter, Lehnsträger, Offizialen des Landes, worin diese alle aufgefordert werden, dem Cristobal Colón, wenn er in irgendwelchen Städten, Ortschaften, Dörfern eintreffen sollte, gutes Quartier ohne Bezahlung zu geben; nur die Verköstigung sollten sie zu den üblichen Preisen berechnen dürfen. Denn er sei um wichtiger, den königlichen Dienst betreffender Dinge willen an den Hof und nach andern Teilen des Reiches beschieden worden.

      Es heißt, daß er nicht nur die Gefahren und Entbehrungen des Feldzugs mit seiner Fürstin teilte, sondern bisweilen auch große Tapferkeit an den Tag legte, wie bei der Belagerung von Baza, wo die Gegenwart der Königin den Mut ihrer Ritter aufs höchste entflammte und Muley Boabdil, der König von Granada, um Frieden bitten mußte. Es war ein schlauer politischer Schachzug des maurischen Herrschers, daß er den Sultan von Ägypten bewog, eine Abordnung jerusalemitischer Mönche an die Königin zu schicken, um ihr anzukündigen, daß er das Heilige Grab zerstören und alle Christen in Syrien und Palästina werde niedermetzeln lassen, wenn sie nicht ihre Hand von Granada abzöge. Isabella, in schwerem Seelenkampf, wich der Drohung nicht, sie entließ die Mönche mit dem Versprechen, daß sie jährlich tausend Dukaten zur Betreuung des Grabes Christi an die Klosterbrüder senden werde und gab ihnen als Weihgeschenk für die heilige Stätte einen Schleier mit, den sie selbst gewebt hatte.

      Bei dieser Szene sei Columbus zugegen gewesen, wird berichtet, und sie habe einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht, daß er das Gelübde tat, alle Schätze, die er aus Indien heimbringen würde, zur Ausrüstung eines Kreuzzugs nach Syrien zu verwenden, um das Heilige Grab zu befreien. So verfügte er bereits, Urbild des Don Quichote, aufs generöseste über Reichtümer, zu denen es noch keinen Weg gab und die zu erlangen er nicht die geringste Aussicht hatte.

      Mit dem königlichen Freipaß in der Tasche irrt er in Spanien herum, wahrscheinlich von Schenke zu Schenke, von Schloß zu Schloß, sucht Anhänger zu gewinnen, Gefolgschaft zu finden, Stimmung zu machen, Kapital für die Ausrüstung einer Flotte aufzutreiben, verfaßt Sendschreiben, zeichnet Karten und wieder Karten, lauert mit Angst auf die Nachrichten vom Kriegsschauplatz, da Sieg oder Niederlage, wie ihm oft bedeutet worden ist, auch


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