Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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der Menschheit zu sein? Es ist nicht ohne Großartigkeit, wie er die Vorbereitungen aufzählt, die er, als Auserkorener, dennoch habe treffen müssen und welche Schwierigkeiten er dabei zu überwinden gehabt: »Von meiner frühesten Jugend an war ich ein Seefahrer und habe dies fortgesetzt bis auf heut. Der Seefahrer will die Geheimnisse der Welt ergründen. Wo man auf Erden zu Schiff war, bin ich zu Schiff gewesen. Verhandlung und Gespräch habe ich gepflogen mit gelehrten Leuten, mit Geistlichen und Weltlichen, Lateinern und Griechen, Juden und Mauren und mit vielen andern von anderm Glauben. Meinem Wunsche war der Herr geneigt, er verlieh mir Geist und Einsicht. In der Wissenschaft vom Segeln gab er mir zum Überfluß, in der Astrologie so viel als nötig war, und so auch in der Geometrie und Astronomie. Ferner gab er mir Lust und Geschicklichkeit, um Karten zu zeichnen und darauf Städte, Gebirge, Flüsse, Inseln, Häfen, jedes an seiner Stelle. Ich habe gesehen und in Wahrheit auch studiert alle Bücher, Weltbeschreibung, Historie, Chroniken und Philosophie, dann noch andre Künste, für die mir unser Herr mit sichtbarer Hand den Sinn aufschloß und mich aufs Meer schickte und mir das Feuer gab zur Tat. Die von meinem Unternehmen hörten, nannten es ungereimt und verhöhnten mich und lachten. Wer aber möchte zweifeln, daß es nicht Erleuchtung vom heiligen Geist gewesen ist?« (Er meint: da es ihm schließlich gelang, konnte man unmöglich daran noch zweifeln, vorher hielten ihn die Menschen für wahnsinnig.)

      Hier steckt ein beachtenswertes Stück Autobiographie. Welch eine Stimme, was für eine Starrheit des Geistes, wieviel Bitterkeit im Zurückschauen, und das Aufatmen im Erfolg, das glühende Gefühl der eigenen Leistung! Als ob einer ganz eingehüllt wäre vom Bewußtsein der Übermenschlichkeit. Er macht sich klein, weil er sich so gewaltig groß erscheint; wenn er sich als das Werkzeug der Gottheit betrachten darf, steht er Gott näher als jede andere Kreatur. Er hat jene Demut mit den harten Fäusten, die auf dem Weg zur Selbstentäußerung alles zerbricht, was ihr verwehrt, sich in ein höheres Selbst zu verwandeln.

      Er kennt die Kosmographie des Papstes Pius; die astronomischen Ephemeriden des Regiomontan; die Schriften des Abtes Walfried von Reichenau; die imago mundi des Kardinals d’Ailly; nicht erst im Umgang mit dem Prior von La Rabida und in der Vorbereitung zur Prüfung vor der spanischen Junta hat er sie kennengelernt, sondern sicherlich schon viel früher, auf ausgedehnten Fahrten, in allen Mittelmeerhäfen, im Gespräch mit Kartographen, gelehrten Mönchen, Schiffskapitänen, Händlern, Sterndeutern und Manuskriptverkäufern. Aus einer dem Aristoteles zugeschriebenen, in Wirklichkeit von Posidonios verfaßten Abhandlung hat er erfahren, daß man schon im Altertum der Ansicht war, man könne von der Westküste Afrikas aus in wenigen Tagen nach Indien gelangen; in dem mystischen Buch, das er am Ende seines Lebens schrieb, zitiert er feierlich eine Stelle aus der ›Medea‹ des Seneca, deren Sinn ist: in späten Jahren wird eine Zeit kommen, wo Ozeanus die Bande der Dinge zerreißen, der ungeheure Erdkreis erschlossen sein, die Meergöttin neue Welten enthüllen wird. Das bedeutet ihm mehr als poetische Vision, es ist eine Prophetenstimme, die seine Annahme zur Gewißheit erhebt. Aber er wägt keine Stimme, prüft keine Zeugenaussage auf ihre Vertrauenswürdigkeit, was ihm zu dienen, seinen Drang zu bestätigen scheint, nimmt er wahllos an und auf und verkündet es wieder, als wäre es von ihm selbst erforscht und gesagt; alle haben vor seinen Augen denselben Anspruch auf Autorität, der von seinen Einbildungen berauschte Schwärmer und der auf die Leichtgläubigkeit unwissender Zuhörer spekulierende Betrüger; wenn sie seine flammenden Halluzinationen nähren, verweist er auf die skrupellosen Phantasten und Märchenerzähler mit derselben gläubigen Gebärde wie auf einen Martin Behaim oder Pablo Toscanelli.

      Herrschte in einem solchen Kopf nicht das Chaos, jene düster lohende Verwirrung, die keine Rangordnung der Gedanken und Werte mehr zuläßt, der Schrecken vor der Tat wäre zu groß, als daß die Tat vollbracht werden könnte. Erkenntnis macht feig, der Wille kann nur in einem gewissen Zwielicht unaufhaltsam vorwärts treiben.

      Das Interesse der seefahrenden Nationen war um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts ausschließlich auf die Umschiffung Afrikas gerichtet. Dieser Kontinent war der mächtige Damm, der ihrem Entdeckertrieb Halt gebot. Weit in den Ozean hinaus wagte sich kein Fahrzeug. Von 1431 bis 53 setzten sich die Portugiesen unter Führung des wunderbaren Infanten Don Enrico an der Gold-und Pfefferküste fest und machten die Inseln Santa Maria, San Miguel, Terçeira, San Jorge, Fayal und Graciosa zu ihren Kolonien. Unbestritten war noch immer Wort und Meinung des Ptolemäus: nach seiner Annahme dehnte sich das Festland von Afrika bis zum Südpol aus, ohne eine Durchfahrt zu gestatten. Doch gab es Überlieferungen, denen zufolge Eudoxus von Cyzicus schon in frühester Zeit vom Roten Meer nach Gibraltar und der Karthager Hanno mit einer Flotte von sechzig Schiffen von Gibraltar nach Arabien gefahren sei. Don Enrico beschloß, der Ungewißheit ein Ende zu machen. Er errichtete zu Sagres ein Kollegium des Seewesens und eine Sternwarte, ließ alle Karten revidieren und führte auf allen Schiffen den Kompaß in verbesserter Form ein, so daß sich die Schiffer auch in dunkelster Gewitternacht, in Sturm und Nebel zurechtfinden konnten. Da wagten sich denn die Kapitäne in die bisher für unzugänglich gehaltene heiße Zone, wo das Meer in siedenden Wellen aufkochen sollte, und siehe, sie kehrten unversehrt und unverbrannt aus den äquatorialen Regionen zurück. Die Kunde ihrer Fahrten verbreitete sich über die Mittelmeerländer, die ahnungsvolle Menschheit lauschte und wartete. Gerüchte wurden eifrig umhergetragen, alte Fabeln mischten sich mit neuen, und jener Christoph Columbus, der mit dem Gefühl der Bestimmung in der Brust, von Ehrgeiz verzehrt, in irgendeiner Hafenstadt als Kartenzeichner oder auf einer Galeazze als Steuermann unbeachtet lebte, nahm das vielfache Hörensagen gierig in sich auf.

      Da erzählt ein Schiffer, er habe auf hoher See ein Stück Holz aus dem Wasser gefischt, das mit kunstvollen Schnitzereien, wie man sie nie gesehen, geziert war. Ein anderer hat Bambusrohre im Meer gefunden, die von einem Knoten zum nächsten acht Karaffen Wein fassen. Die Bewohner der Azoren berichten, daß der Sturm an der Insel Fayal gewaltige Fichtenstämme von fremder Art an den Strand geworfen habe, und eines Tages werden bei der Insel Graciosa zwei männliche Leichname angeschwemmt, deren Gesichts-und Körperbildung durchaus keine Ähnlichkeit mit Christen (will heißen Europäern) aufweist. Ein Seemann aus Madeira hat auf hohem Meer gebirgiges Land weit im Westen erblickt, Leute von der Insel Gomara, die es ebenfalls gesehen haben, bestätigen ihre Wahrnehmung mit einem Eidschwur. Da er Kartograph war, kannte Columbus die Namen der sagenhaften Inseln, die zu seiner Zeit, ohne daß ihr Vorhandensein wissenschaftlich wäre festgestellt worden, auf allen Weltkarten, auch noch auf Martin Behaims Erdapfel eingezeichnet waren: die Inseln der Seligen, die Insel Brandan, die Insel Antilia, die Insel Brazil, die Insel der Satanshand, die Insel der sieben Städte. Niemand hat eine von ihnen betreten, sie erhalten ihre Stofflichkeit von Legende und Schiffermärchen. Der schottische Abt Brandan zieht mit seinem Schüler Sankt Malo ins Meer hinaus, um die paradiesischen Inseln zu suchen und die Heiden dort zu bekehren. Nach langen Irrfahrten landet er auf der einsamen Insel Ima, deren Bewohner das geheimnisvolle Grab eines Riesen anbeten. Sankt Malo weckt den Riesen aus hundertjährigen Todesschlaf, und der Unhold ist geneigt, von dem heiligen Mann Unterweisung in der christlichen Lehre zu empfangen. Er wird getauft und erhält den Namen Mildum. Er erzählt von einer andern Insel, deren Ufer von hohen Mauern aus purem Gold umgeben sind, und um die frommen Männer hinzuführen, wirft er sich ins Meer und zieht das Schiff an einem Tau durch die stürmischen Fluten. Die Insel steigt vor ihnen aus der Tiefe, doch kaum haben sie an der Küste ihr Gebet verrichtet, so wankt das Eiland in seinen Festen, sie müssen fliehen und können von der See aus noch gewahren, wie es in einer Art versinkt, als werde es von einem Ungeheuern Fisch hinabgerissen. Der Riese, auf seine heimatliche Insel zurückgebracht, ist so müde von all dem Fasten und Beten, daß er die Missionare inständig bittet, sich wieder ins Grab legen zu dürfen. Hier spuken Erinnerungen an Vorwelt und prähistorisches Ungetier in der verängsteten Phantasie des mittelalterlichen Menschen, für den der Einsamkeitsgedanke nichts Erhabenes, sondern Grauen und Schrecken enthält, die nur durch die zauberische Verwandlung einer Realität ins Grandiose oder Komisch-Abstruse gemildert werden können. Manchmal spinnen sich von geschichtlichen Ereignissen her erkennbare Fäden zu dem transozeanischen Traumbild wie in der Legende von den Inseln der sieben Städte. Nach der Eroberung Spaniens durch die Mauren fuhren sieben Bischöfe mit zahlreichen Mitgliedern ihrer Gemeinden, um den Schwertern der Sarazenen zu entfliehen, auf sieben Schiffen über den Ozean nach Westen und kamen nach schweren Stürmen zu einer Insel, wo sie die Schiffe verbrannten, um die Reisegenossen zum Bleiben zu zwingen, und mitten in der Öde des Weltmeers


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