Gesammelte Werke: Psychoanalytische Studien, Theoretische Schriften & Briefe. Sigmund Freud

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Gesammelte Werke: Psychoanalytische Studien, Theoretische Schriften & Briefe - Sigmund Freud


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Angst erwachte ich und ließ nicht ab, bis ich die Eltern geweckt hatte. Ich erinnere mich, daß ich mich plötzlich beruhigte, als ich die Mutter zu Gesicht bekam, als ob ich der Beruhigung bedurft hätte: sie ist also nicht gestorben. Diese sekundäre Deutung des Traums ist aber schon unter dem Einfluß der entwickelten Angst geschehen. Nicht daß ich ängstlich war, weil ich geträumt hatte, daß die Mutter stirbt; sondern ich deutete den Traum in der vorbewußten Bearbeitung so, weil ich schon unter der Herrschaft der Angst stand. Die Angst aber läßt sich mittels der Verdrängung zurückführen auf ein dunkles offenkundig sexuelles Gelüste, das in dem visuellen Inhalt des Traums seinen guten Ausdruck gefunden hatte.

      Ein siebenundzwanzigjähriger Mann, der seit einem Jahr schwer leidend ist, hat zwischen elf und dreizehn Jahren wiederholt unter schwerer Angst geträumt, daß ein Mann mit einer Hacke ihm nachsetzt; er möchte laufen, ist aber wie gelähmt und kommt nicht von der Stelle. Das ist wohl ein gutes Muster eines sehr gemeinen und sexuell 556 unverdächtigen Angsttraums. Bei der Analyse gerät der Träumer zuerst auf eine der Zeit nach spätere Erzählung seines Onkels, daß er auf der Straße von einem verdächtigen Individuum nächtlich angefallen wurde, und schließt selbst aus diesem Einfall, daß er zur Zeit des Traums von einem ähnlichen Erlebnis gehört haben kann. Zur Hacke erinnert er, daß er sich in jener Lebenszeit einmal beim Holzverkleinern mit der Hacke an der Hand verletzt hatte. Er gerät dann unvermittelt auf sein Verhältnis zu seinem jüngeren Bruder, den er zu mißhandeln und hinzuwerfen pflegte, erinnert sich speziell eines Males, wo er ihn mit dem Stiefel an dem Kopf traf, so daß er blutete und die Mutter dann äußerte: Ich habe Angst, er wird ihn noch einmal umbringen. Während er so beim Thema der Gewalttat festgehalten scheint, taucht ihm plötzlich eine Erinnerung aus dem neunten Lebensjahr auf. Die Eltern waren spät nach Hause gekommen, gingen, während er sich schlafend stellte, zu Bette, und er hörte dann ein Keuchen und andere Geräusche, die ihm unheimlich vorkamen, konnte auch die Lage der beiden im Bette erraten. Seine weiteren Gedanken zeigen, daß er zwischen dieser Beziehung der Eltern und seinem Verhältnis zu seinem jüngeren Bruder eine Analogie hergestellt hatte. Er subsumierte, was bei den Eltern vorfiel, unter den Begriff: Gewalttat und Rauferei. Ein Beweis für diese Auffassung war ihm, daß er oft Blut im Bette der Mutter bemerkt habe.

      Daß der sexuelle Verkehr Erwachsener den Kindern, die ihn bemerken, unheimlich vorkommt und Angst in ihnen erweckt, ist, möchte ich sagen, Ergebnis der täglichen Erfahrung. Ich habe für diese Angst die Erklärung gegeben, daß es sich um eine sexuelle Erregung handelt, die von ihrem Verständnis nicht bewältigt wird, auch wohl darum auf Ablehnung stößt, weil die Eltern in sie verflochten sind, und die darum sich in Angst verwandelt. In einer noch früheren Lebensperiode stößt die sexuelle Regung für den gegengeschlechtlichen Teil des Elternpaares noch nicht auf Verdrängung und äußert sich frei, wie wir gehört haben (S. 260 ff.).

      Auf die bei Kindern so häufigen nächtlichen Angstanfälle mit Halluzinationen (den pavor nocturnus) würde ich dieselbe Erklärung unbedenklich anwenden. Es kann sich auch da nur um unverstandene und abgelehnte sexuelle Regungen handeln, bei deren Aufzeichnung sich auch wahrscheinlich eine zeitliche Periodizität herausstellen würde, da eine Steigerung der sexuellen Libido ebensowohl durch zufällige erregende Eindrücke als auch durch die spontanen, schubweise eintreffenden Entwicklungsvorgänge erzeugt werden kann.

      557 Mir fehlt es an dem erforderlichen Beobachtungsmaterial, um diese Erklärung durchzuführen. Den Kinderärzten scheint es dagegen an dem Gesichtspunkte zu fehlen, der allein das Verständnis der ganzen Reihe von Phänomenen sowohl nach der somatischen als auch nach der psychischen Seite gestattet. Als ein komisches Beispiel, wie nahe man, durch die Scheuklappen der medizinischen Mythologie geblendet, am Verständnis solcher Fälle vorbeigehen kann, möchte ich den Fall anführen, den ich in der These über den pavor nocturnus von Debacker (1881, 66) gefunden habe.

      Ein dreizehnjähriger Knabe von schwacher Gesundheit begann ängstlich und verträumt zu werden, sein Schlaf wurde unruhig und fast jede Woche einmal durch einen schweren Anfall von Angst mit Halluzinationen unterbrochen. Die Erinnerung an diese Träume war immer sehr deutlich. Er konnte also erzählen, daß der Teufel ihn angeschrien habe: Jetzt haben wir dich, jetzt haben wir dich, und dann roch es nach Pech und Schwefel, und das Feuer verbrannte seine Haut. Aus diesem Traum schreckte er dann auf, konnte zuerst nicht schreien, bis die Stimme frei wurde und man ihn deutlich sagen hörte: »Nein, nein, nicht mich, ich hab’ ja nichts getan«, oder auch: »Bitte, nicht, ich werd’ es nie mehr tun.« Einige Male sagte er auch: »Albert hat das nicht getan.« Er vermied es später, sich auszukleiden, »weil das Feuer ihn nur ergreife, wenn er ausgekleidet sei«. Mitten aus diesen Teufelsträumen, die seine Gesundheit in Gefahr brachten, wurde er aufs Land geschickt, erholte sich dort im Verlaufe von eineinhalb Jahren und gestand dann einmal, fünfzehn Jahre alt: »Je n’osais pas l’avouer, mais j’éprouvals continuellement des picotements et des surexcitations aux parties, à la fin, cela m’énervait tant que plusieurs fois, j’ai pensé me jeter par la fenêtre du dortoir.«

      Es ist wahrlich nicht schwer zu erraten, 1) daß der Knabe in früheren Jahren masturbiert, es wahrscheinlich geleugnet hatte und mit schweren Strafen für seine Unart bedroht worden war. (Sein Geständnis: Je ne le ferai plus; sein Leugnen: Albert n’a jamais fait ca); 2) daß unter dem Andrang der Pubertät die Versuchung zu masturbieren in dem Kitzel an den Genitalien wieder erwachte; daß aber jetzt 3) ein Verdrängungskampf in ihm losbrach, der die Libido unterdrückte und 558 sie in Angst verwandelte, welche Angst nachträglich die damals angedrohten Strafen aufnahm.

      Hören wir dagegen die Folgerungen unseres Autors (ibid., 69): »Es geht aus dieser Beobachtung hervor, daß 1) der Einfluß der Pubertät bei einem Knaben von geschwächter Gesundheit einen Zustand von großer Schwäche herbeiführen und daß es dabei zu einer sehr erheblichen Gehirnanämie kommen kann.

      2) Diese Gehirnanämie erzeugt eine Charakterveränderung, dämonomanische Halluzinationen und sehr heftige nächtliche, vielleicht auch tägliche Angstzustände.

      3) Die Dämonomanie und die Selbstvorwürfe des Knaben gehen auf die Einflüsse der religiösen Erziehung zurück, die als Kind auf ihn gewirkt hatten.

      4) Alle Erscheinungen sind infolge eines längeren Landaufenthalts durch körperliche Übung und Wiederkehr der Kräfte nach abgelaufener Pubertät verschwunden.

      5) Vielleicht darf man der Heredität und der alten Syphilis des Vaters einen prädisponierenden Einfluß auf die Entstehung des Gehirnzustandes beim Kinde zuschreiben.«

      Das Schlußwort: »Nous avons fait entrer cette observation dans le cadre des délires apyrétiques d’inanition, car c’est d l’ischémie cérébrale que nous rattachons cet état particulier.«

       DER PRIMäR-UND DER SEKUNDäRVORGANG DER VERDRäNGUNG

       Inhaltsverzeichnis

       Indem ich den Versuch wagte, tiefer in die Psychologie der Traumvorgänge einzudringen, habe ich eine schwierige Aufgabe unternommen, welcher auch meine Darstellungskunst kaum gewachsen ist. Die Gleichzeitigkeit eines so komplizierten Zusammenhangs durch ein Nacheinander in der Beschreibung wiederzugeben und dabei bei jeder Aufstellung voraussetzungslos zu erscheinen will meinen Kräften zu schwer werden. Es rächt sich nun an mir, daß ich bei der Darstellung der Traumpsychologie nicht der historischen Entwicklung meiner Einsichten folgen kann. Mir waren die Gesichtspunkte für die Auffassung des Traums durch vorhergegangene Arbeiten über die Psychologie der Neurosen gegeben, auf die ich mich hier nicht beziehen soll und doch immer wieder beziehen muß, während ich in umgekehrter Richtung vorgehen und vom Traume aus den Anschluß an die Psychologie der Neurosen erreichen möchte. Ich kenne alle Beschwerden, die sich hieraus für den Leser ergeben; aber ich weiß kein Mittel, sie zu vermeiden.

      Unbefriedigt von dieser Sachlage, verweile ich gerne bei einem anderen Gesichtspunkte, der mir den Wert meiner Bemühung zu heben scheint. Ich fand ein Thema vor, das von den schärfsten Widersprüchen in den Meinungen der Autoren beherrscht war, wie die Einführung des ersten Abschnittes gezeigt hat. Nach unserer Bearbeitung der Traumprobleme ist für die


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