Gesammelte Werke: Psychoanalytische Studien, Theoretische Schriften & Briefe. Sigmund Freud

Читать онлайн книгу.

Gesammelte Werke: Psychoanalytische Studien, Theoretische Schriften & Briefe - Sigmund Freud


Скачать книгу
wenn sie uns tagsüber nicht bewußt worden sind, so mag dies verschiedene Gründe haben. Das Bewußtwerden hängt mit der Zuwendung einer bestimmten psychischen Funktion, der Aufmerksamkeit, zusammen, die, wie es scheint, nur in bestimmter Quantität aufgewendet wird, welche von dem betreffenden Gedankengang durch andere Ziele abgelenkt sein mochte. Eine andere Art, wie solche Gedankengänge dem Bewußtsein vorenthalten werden können, ist folgende: Von unserem bewußten Nachdenken her wissen wir, daß wir bei Anwendung der Aufmerksamkeit einen bestimmten Weg verfolgen. Kommen wir auf diesem Wege an eine Vorstellung, welche der 564 Kritik nicht standhält, so brechen wir ab; wir lassen die Aufmerksamkeitsbesetzung fallen. Es scheint nun, daß der begonnene und verlassene Gedankengang sich dann fortspinnen kann, ohne daß sich ihm die Aufmerksamkeit wieder zuwendet, wenn er nicht an einer Stelle eine besonders hohe Intensität erreicht, welche die Aufmerksamkeit erzwingt. Eine anfängliche, etwa mit Bewußtsein erfolgte Verwerfung durch das Urteil als unrichtig oder als unbrauchbar für den aktuellen Zweck des Denkakts kann also die Ursache sein, daß ein Denkvorgang vom Bewußtsein unbemerkt sich bis zum Einschlafen fortsetzt.

      Resümieren wir, daß wir einen solchen Gedankengang einen vorbewußten heißen, ihn für völlig korrekt halten und daß er ebensowohl ein bloß vernachlässigter, wie ein abgebrochener, unterdrückter sein kann. Sagen wir auch frei heraus, in welcher Weise wir uns den Vorstellungsablauf veranschaulichen. Wir glauben, daß von einer Zielvorstellung aus eine gewisse Erregungsgröße, die wir »Besetzungsenergie« heißen, längs der durch diese Zielvorstellung ausgewählten Assoziationswege verschoben wird. Ein »vernachlässigter« Gedankengang hat eine solche Besetzung nicht erhalten; von einem »unterdrückten« oder »verworfenen« ist sie wieder zurückgezogen worden; beide sind ihren eigenen Erregungen überlassen. Der zielbesetzte Gedankengang wird unter gewissen Bedingungen fähig, die Aufmerksamkeit des Bewußtseins auf sich zu ziehen, und erhält dann durch dessen Vermittlung eine »Überbesetzung«. Unsere Annahmen über die Natur und Leistung des Bewußtseins werden wir ein wenig später klarlegen müssen.

      Ein so im Vorbewußten angeregter Gedankengang kann spontan erlöschen oder sich erhalten. Den ersteren Ausgang stellen wir uns so vor, daß seine Energie nach allen von ihm ausgehenden Assoziationsrichtungen diffundiert, die ganze Gedankenkette in einen erregten Zustand versetzt, der für eine Weile anhält, dann aber abklingt, indem die abfuhrbedürftige Erregung sich in ruhende Besetzung umwandelt. Tritt dieser erste Ausgang ein, so hat der Vorgang weiter keine Bedeutung für die Traumbildung. Es lauern aber in unserem Vorbewußten andere Zielvorstellungen, die aus den Quellen unserer unbewußten und immer regen Wünsche stammen. Diese können sich der Erregung in dem sich selbst überlassenen Gedankenkreise bemächtigen, stellen die Verbindung zwischen ihm und dem unbewußten Wunsche her, übertragen ihm die dem unbewußten Wunsch eigene Energie, und von jetzt an ist der vernachlässigte oder unterdrückte Gedankengang imstande, sich zu erhalten, obwohl er durch diese Verstärkung keinen Anspruch auf den Zugang 565 zum Bewußtsein erhält. Wir können sagen, der bisher vorbewußte Gedankengang ist ins Unbewußte gezogen worden.

      Andere Konstellationen zur Traumbildung wären, daß der vorbewußte Gedankengang von vornherein in Verbindung mit dem unbewußten Wunsche stand und darum auf Abweisung von Seiten der herrschenden Zielbesetzung stieß oder daß ein unbewußter Wunsch aus anderen (etwa somatischen) Gründen rege geworden ist und ohne Entgegenkommen eine Übertragung auf die vom Vbw nicht besetzten psychischen Reste sucht. Alle drei Fälle treffen endlich in einem Ergebnis zusammen, daß ein Gedankenzug im Vorbewußten zustande kommt, der, von der vorbewußten Besetzung verlassen, vom unbewußten Wunsch her Besetzung gefunden hat.

      Von da an erleidet der Gedankenzug eine Reihe von Umwandlungen, die wir nicht mehr als normale psychische Vorgänge anerkennen und die ein uns befremdendes Resultat, eine psychopathologische Bildung, ergeben. Wir wollen dieselben herausheben und zusammenstellen:

      1) Die Intensitäten der einzelnen Vorstellungen werden nach ihrem ganzen Betrage abflußfähig und übergehen von einer Vorstellung auf die andere, so daß einzelne mit großer Intensität versehene Vorstellungen gebildet werden. Indem sich dieser Vorgang mehrmals wiederholt, kann die Intensität eines ganzen Gedankenzugs schließlich in einem einzigen Vorstellungselement gesammelt sein. Dies ist die Tatsache der Kompression oder Verdichtung, die wir während der Traumarbeit kennengelernt haben. Sie trägt die Hauptschuld an dem befremdenden Eindruck des Traums, denn etwas ihr Analoges ist uns aus dem normalen und dem Bewußtsein zugänglichen Seelenleben ganz unbekannt. Wir haben auch hier Vorstellungen, die als Knotenpunkte oder als Endergebnisse ganzer Gedankenketten eine große psychische Bedeutung besitzen, aber diese Wertigkeit äußert sich in keinem für die innere Wahrnehmung sinnfälligen Charakter; das in ihr Vorgestellte wird darum in keiner Weise intensiver. Im Verdichtungsvorgang setzt sich aller psychische Zusammenhang in die Intensität des Vorstellungsinhalts um. Es ist der nämliche Fall, wie wenn ich in einem Buch ein Wort, dem ich einen überragenden Wert für die Auffassung des Textes beilege, gesperrt oder fett drucken lasse. In der Rede würde ich dasselbe Wort laut und langsam sprechen und nachdrücklich betonen. Das erstere Gleichnis führt unmittelbar zu einem der Traumarbeit entlehnten Beispiele (Trimethylamin im Traum von Irmas Injektion). Die Kunsthistoriker machen uns darauf aufmerksam, daß die ältesten 566 historischen Skulpturen ein ähnliches Prinzip befolgen, indem sie die Ranggröße der dargestellten Personen durch die Bildgröße zum Ausdruck bringen. Der König wird zwei-oder dreimal so groß gebildet als sein Gefolge oder der überwundene Feind. Ein Bildwerk aus der Römerzeit wird sich zu demselben Zweck feinerer Mittel bedienen. Es wird die Figur des Imperators in die Mitte stellen, ihn hoch aufgerichtet zeigen, besondere Sorgfalt auf die Durchbildung seiner Gestalt verwenden, die Feinde zu seinen Füßen legen, ihn aber nicht mehr als Riesen unter Zwergen erscheinen lassen. Indes ist die Verbeugung des Untergebenen vor seinem Vorgesetzten in unserer Mitte noch heute ein Nachklang jenes alten Darstellungsprinzips.

      Die Richtung, nach welcher die Verdichtungen des Traumes fortschreiten, ist einerseits durch die korrekten vorbewußten Relationen der Traumgedanken, anderseits durch die Anziehung der visuellen Erinnerungen im Unbewußten vorgeschrieben. Der Erfolg der Verdichtungsarbeit erzielt jene Intensitäten, die zum Durchbruch gegen die Wahrnehmungssysteme erfordert werden.

      2) Es werden wiederum durch freie Übertragbarkeit der Intensitäten und im Dienste der Verdichtung Mittelvorstellungen gebildet, Kompromisse gleichsam (vgl. die zahlreichen Beispiele). Gleichfalls etwas Unerhörtes im normalen Vorstellungsablauf, bei dem es vor allem auf die Auswahl und Festhaltung des »richtigen« Vorstellungselements ankommt. Dagegen ereignen sich Misch-wie Kompromißbildungen außerordentlich häufig, wenn wir für die vorbewußten Gedanken den sprachlichen Ausdruck suchen, und werden als Arten des »Versprechens« angeführt.

      3) Die Vorstellungen, die einander ihre Intensitäten übertragen, stehen in den lockersten Beziehungen zueinander und sind durch solche Arten von Assoziationen verknüpft, welche von unserem Denken verschmäht und nur dem witzigen Effekt zur Ausnützung überlassen werden. Insbesondere gelten Gleichklangs-und Wortlautassoziationen als den anderen gleichwertig.

      4) Einander widersprechende Gedanken streben nicht danach, einander aufzuheben, sondern bestehen nebeneinander, setzen sich oft, als ob kein Widerspruch bestünde, zu Verdichtungsprodukten zusammen oder bilden Kompromisse, die wir unserem Denken nie verzeihen würden, in unserem Handeln aber oft gutheißen.

      Dies wären einige der auffälligsten abnormen Vorgänge, denen im Laufe der Traumarbeit die vorher rationell gebildeten Traumgedanken 567 unterzogen werden. Man erkennt als den Hauptcharakter derselben, daß aller Wert darauf gelegt wird, die besetzende Energie beweglich und abfuhrfähig zu machen; der Inhalt und die eigene Bedeutung der psychischen Elemente, an denen diese Besetzungen haften, wird zur Nebensache. Man könnte noch meinen, die Verdichtung und Kompromißbildung geschehe nur im Dienste der Regression, wenn es sich darum handelt, Gedanken in Bilder zu verwandeln. Allein die Analyse – und noch deutlicher die Synthese – solcher Träume, die der Regression auf Bilder entbehren, z. B. des Traumes »Autodidasker – Gespräch mit Professor N.«, ergeben die nämlichen Verschiebungs-und Verdichtungsvorgänge wie die anderen.

       So können wir uns also der Einsicht nicht verschließen, daß an der Traumbildung zweierlei wesensverschiedene psychische Vorgänge beteiligt sind; der eine schafft vollkommen korrekte, dem normalen Denken gleichwertige


Скачать книгу