In Fesseln. John Galsworthy

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In Fesseln - John Galsworthy


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war der alte Himmel eine mickrige Sache, und er hatte sein letztes Hemd auf die Tochter von Flammenhemd gewettet. Doch wie viel mehr als nur sein Hemd hing doch von Hosenträgers Enkelin ab! In jenem unsteten Alter von fünfundvierzig Jahren, einem kritischen Alter für Forsytes – und kritisch auch für Darties, wenn vielleicht auch der Unterschied zu allen anderen Altersphasen hier nicht so groß war ‒, galt Montagues momentane Zuneigung einer Tänzerin. Es war keine gewöhnliche Leidenschaft, doch ohne Geld, und zwar recht viel davon, würde es wahrscheinlich eine Liebe so luftig wie ihre Röcke bleiben. Und Dartie hatte nie Geld, er lebte nur kümmerlich von dem, was er von Winifred erbetteln oder leihen konnte – einer charakterstarken Frau, die zu ihm hielt, weil er der Vater ihrer Kinder war und wegen einer anhaltenden Bewunderung jenes jetzt schwindenden guten Aussehens und seines Stils, von dem sie in ihrer Jugend fasziniert gewesen war. Sie und jeder, der ihm sonst noch etwas leihen würde, und seine Verluste beim Kartenspielen und bei Pferdewetten (seltsam, wie manche Menschen aus Verlusten etwas Gutes ziehen können!) machten seinen gesamten Lebensunterhalt aus. Denn James war inzwischen zu alt und zu nervös, dass man sich an ihn wenden konnte, und ­Soames war ja so schrecklich unerbittlich. Man kann durchaus sagen, dass Dartie monatelang von Hoffnung gelebt hatte.

      Er hatte Geld nie um des Geldes willen gemocht, hatte die Forsytes stets für ihre Investiererei verachtet, auch wenn er stets darauf bedacht war, sie auszunutzen, wo er konnte. Was er an Geld mochte, war, was man damit bekommen konnte – persönliche Sinnesfreuden.

      »Ein echter Sportsmann macht sich nichts aus Geld«, pflegte er zu sagen und lieh sich fünfundzwanzig Pfund, wenn es zwecklos war, es mit fünfhundert zu versuchen. Er war schon irgendwie köstlich, dieser Montague Dartie. Er war, wie George Forsyte sagte, ein ›Prachtkerl‹.

      Der Morgen des Ausgleichsrennens brach klar und freundlich an. Es war der letzte Septembertag und Dartie, der am Abend zuvor nach Newmarket gereist war, schmiss sich in eine makellose karierte Hose und stieg auf eine Anhöhe, um zu sehen, wie seine Hälfte des Stutenfohlens seinen Schlussgalopp hinlegte. Wenn sie gewann, hatte er glatte dreitausend in der Tasche – eine eher klägliche Entschädigung für die Nüchternheit und die Geduld jener Wochen der Hoffnung, in denen man sie für dieses Rennen vorbereitet hatte. Doch mehr hatte er sich nicht leisten können.

      Sollte er die Wette absichern bei den acht zu eins, bei denen sie im Moment lag? Das war sein einziger Gedanke, während die Lerchen über ihm sangen und die grasbewachsenen Hügel süß dufteten und das hübsche Stutenfohlen vorbeikam und den Kopf hin und her warf und wie Seide glänzte.

      Schließlich würde ja nicht er bezahlen, sollte er verlieren, und die Wette abzusichern würde seinen Gewinn auf etwa fünfzehnhundert reduzieren – kaum genug, um eine Tänzerin mit Haut und Haaren zu erkaufen. Noch stärker war die Lust, ordentlich zu spekulieren, die alle Darties im Blut haben. Und zu George gewandt sagte er: »Sie ist ein Prachtexemplar. Die gewinnt im Handumdrehen. Ich werde aufs Ganze gehen.« George, der bei seinen Wetten jeden Penny abgesichert hatte und noch ein paar dazu und bestimmt gewinnen würde, wie es auch ausgehen würde, grinste von seiner bulligen Höhe zu ihm herunter mit den Worten: »Na, na, du Draufgänger!« Denn nach bewegten Lehrjahren, die er mit dem Geld ­eines sich bitter beklagenden Roger überstanden hatte, kam ihm als professioneller Besitzer langsam sein Forsyte-Blut zugute.

      Es gibt Momente der Desillusionierung im Leben der Menschen, vor denen der sensible Berichterstatter zurückschreckt. Es genügt wohl, zu sagen, dass die gute Sache in die Hose ging. Manschettenknopf kam mit dem Hauptfeld ins Ziel. Darties letztes Hemd war verloren.

      Zwischen diesen Ereignissen und dem Tag, an dem Soames die Green Street ansteuerte, was war da nicht alles passiert!

      Wenn ein Mann mit einer Konstitution wie Montague Dartie über Monate hinweg aus religiösen Motiven Selbstbeherrschung geübt hat und dann dafür nicht belohnt wird, verflucht er nicht Gott und stirbt, er verflucht Gott und lebt, zum Leidwesen seiner Familie.

      Winifred – eine tapfere, wenn auch ein wenig zu modebewusste Frau – war exakt einundzwanzig Jahre lang die Hauptleidtragende Darties gewesen, und nie hatte sie ernsthaft geglaubt, dass er einmal tun würde, was er nun tat. Wie so viele Ehefrauen dachte sie, sie kenne das Schlimmste schon, doch sie hatte ihn nicht in seinem fünfundvierzigsten Lebensjahr gekannt, wo er, wie auch andere Männer, das Gefühl hatte, dass es jetzt oder nie hieß.

      Als sie am zweiten Oktober ihre Schmuckschatulle inspizierte, stellte sie mit Schrecken fest, dass die Krönung und Pracht ihres Frauendaseins verschwunden waren – die Perlen, die Montague ihr 1886 zur Geburt von Benedict geschenkt hatte und für die James im Frühling 1887 hatte zahlen müssen, um einen Skandal zu verhindern. Sie zog sofort ihren Mann zurate.

      Der tat das Ganze nur verächtlich ab. Die würden schon wieder auftauchen! Erst als sie scharf sagte: »Na schön, Monty, dann werde ich wohl selbst zur Polizei gehen«, willigte er ein, sich um die Sache zu kümmern. Ein Jammer, dass die stetige und entschlossene Konsequenz der Planung, die für die erfolgreiche Umsetzung umfassenderer Vorhaben vonnöten ist, so leicht von ein paar Drinks verhindert wird! In jener Nacht kam Dartie frei von jeder Sorge und ohne einen Ansatz von Zurückhaltung nach Hause. Unter normalen Umständen hätte Winifred einfach ihre Tür verschlossen und ihn seinen Rausch ausschlafen lassen, doch quälende Ungewissheit wegen ihrer Perlen hatte sie auf ihn warten lassen. Er zog einen kleinen Revolver aus der Tasche, hielt sich am Tisch fest und sagte ihr ohne Umschweife, dass es ihn einen Dreck interessierte, ob sie lebte, so lange sie nur den Mund halte. Aber er selbst habe das Leben satt. Winifred, die sich an der anderen Seite des Esstischs festhielt, erwiderte: »Mach dich nicht lächerlich, Monty. Warst du bei der Polizei?«

      Den Revolver auf die Brust gerichtet, hatte Dartie mehrmals abgedrückt. Er war nicht geladen. Fluchend hatte er ihn fallen lassen und gemurmelt: »Um der Kinder will’n«, und war auf einen Stuhl gesunken. Winifred hob den Revolver auf und gab ihm einen Schluck Sodawasser. Das Getränk hatte eine magische Wirkung. Das Leben sei schlecht zu ihm gewesen. Winifred habe ihn nie v’stand’n. Wenn er nicht das Recht habe, die Perlen zu nehmen, die er ihr selbst gegeben hatte, wer dann? Diese spanische Tanzmaus habe sie bekommen. Und wenn Winifred das nicht passe, dann würde er ihr die Kehle aufschlitzen. Na, wie wär’s denn damit? (Wahrscheinlich der erste Gebrauch dieser beliebten Wendung – selbst im klassischsten Sprachstil liegen die Ursprünge so sehr im Dunkel!)

      Winifred, die, was Selbstbeherrschung anging, eine harte Schule durchgemacht hatte, sah ihn an und sagte: »Spanische Tanzmaus?! Meinst du dieses Mädchen, dass wir im Pandämonium-Ballett tanzen sehen haben? Du bist ein Dieb und ein Schuft!« Das gab seinen ohnehin schon schwer strapazierten Gefühlen den Rest. Von seinem Stuhl aus ergriff Dartie den Arm seiner Frau und drehte ihn um. Winifred hielt dem Schmerz stand, mit Tränen in den Augen, aber ohne einen Mucks. Sie wartete einen Augenblick der Schwäche ab und befreite sich dann aus seinem Griff. Dann brachte sie den Esstisch zwischen sich und Dartie und sagte mit zusammengebissenen Zähnen: »Du bist echt die Höhe, Monty.« (Ohne Zweifel die Geburtsstunde dieser Wendung – so entwickelt sich die Sprache unter dem Druck der Umstände). Sie ließ Dartie mit Schaum auf dem dunklen Schnurrbart sitzen und ging nach oben, wo sie, nachdem sie die Tür verschlossen und ihren Arm in heißem Wasser gebadet hatte, die ganze Nacht wach lag und darüber nachdachte, wie ihre Perlen nun den Hals einer anderen schmückten, und darüber, welche Gegenleistung ihr Mann vermutlich dafür bekommen hatte.

      Der Mann von Welt erwachte mit dem Gefühl, von dieser Welt abgefallen zu sein, und einer vagen Erinnerung daran, als ›die Höhe‹ bezeichnet worden zu sein. Eine halbe Stunde lang saß er in der Dämmerung in dem Sessel, wo er geschlafen hatte – möglicherweise die bis dato unglücklichste halbe Stunde seines gesamten Lebens, denn selbst für einen Dartie hat ein Ende etwas Tragisches.

      Und er wusste, dass er es erreicht hatte. Niemals wieder würde er in diesem Esszimmer schlafen und aufwachen, wenn das Licht durch diese Vorhänge schien, die Winifred bei Nickens and Jarveys von James’ Geld gekauft hatte. Niemals wieder würde er an diesem Rosenholztisch pikante Hammelnierchen essen, nachdem er sich im Bett noch mal umgedreht und dann ein heißes Bad genommen hatte.

      Er nahm sein Portemonnaie aus der Fracktasche. Vierhundert Pfund in Fünfern und Zehnern – der Rest des Erlöses seiner Hälfte von Manschettenknopf,


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