Die Abenteuer von Milo, Tack und Kackerlack. Norton Juster
Читать онлайн книгу.hat, geschweige denn gar nicht existiert. Würdest du zum Beispiel ein Wort wie ghlbtsk kaufen, wo, bitte schön, könntest du es anwenden?«
Schwer zu sagen, dachte Milo. Schließlich gab es unendlich viele komplizierte Wörter, von denen er keinen blassen Schimmer hatte.
»Aber wir geben niemals vor, welches Wort man zu benutzen hat«, erklärte der Fürst, während sie sich auf die Marktstände zubewegten, »denn solange sie vorgeben, was sie vorgeben vorzugeben, ist es uns egal, ob sie Sinn ergeben oder Unsinn.«
»Scharfsinn oder Stumpfsinn«, ergänzte der Graf.
»Biedersinn oder Widersinn«, sagte der Ministerialdirigent.
»Freisinn oder Greisin«, hüstelte Seine Eminenz.
»Versteht sich«, sagte Milo, weil er nicht unhöflich sein wollte.
»Genau«, rief der Fürst, »auf jeden Fall.« Und schon fiel er mit einem lauten Plumps zu Boden.
»Mein Gott, stellen Sie sich doch nicht so ungeschickt an!«, schrie der Baron.
Der Fürst rieb sich den Kopf. »Ich habe doch nur bestätigen wollen …«, fing er an.
»Wir haben es sehr wohl vernommen«, sagte Seine Eminenz ärgerlich. »Sie sollten sich künftig um weniger gefährliche Ausdrücke bemühen.«
Der Fürst klopfte sich den Staub von seiner Samtjacke, während die anderen laut und vernehmlich kicherten.
»Siehst du«, belehrte ihn der Graf. »Man muss vorsichtig sein in der Wahl seiner Worte und sich genau überlegen, was man eigentlich sagen will. Und jetzt müssen wir uns auf die Beine machen, um das königliche Bankett vorzubereiten.«
»Ihr nehmt natürlich daran teil«, sagte Seine Eminenz.
Und bevor Milo noch etwas darauf antworten konnte, eilten die fünf schon über den Platz davon, ebenso plötzlich wie sie gekommen waren.
»Viel Vergnügen auf dem Markt«, rief der Ministerialdirigent ihnen noch zu.
»Markt«, dozierte der Baron, »ein offener Platz oder ein bedachtes Gebäude, in dem …«
Das war das Letzte, was Milo von ihnen hörte, bevor sie in der Menge untertauchten.
»Ich hatte ja keine Ahnung, wie viel Verwirrung Worte stiften können«, sagte Milo zu Tack, während er sich zu ihm hinabbeugte, um ihm am Ohr zu kraulen.
»Bloß dann, wenn man sehr viele davon benutzt, um sehr wenig zu sagen«, antwortete Tack.
Das war das Vernünftigste, was Milo den ganzen Tag über gehört hatte. »Komm«, rief er, »lass uns über den Markt gehen. Sieht ziemlich aufregend aus.«
4. TOHUWABOHU AUF DEM MARKTPLATZ
Und ob es aufregend war! Kaum hatten sie sich den ersten Marktständen genähert, sah Milo Menschenmassen, die sich schiebend und schreiend ihren Weg durch die schmalen Gassen bahnten, die kauften und verkauften, schacherten und feilschten. Von allen Seiten strömten sperrige Handkarren mit Holzrädern auf den Platz, während gleichzeitig gewaltig lange Lastzüge darauf vorbereitet wurden, die Hauptstadt in alle vier Himmelsrichtungen zu verlassen. Turmhoch aufgestapelte Säcke, Kisten und Kästen warteten darauf, auf Schiffe gebracht zu werden, die zum Meer des Wissens segelten. Etwas abseits sang ein Chor Lieder, um diejenigen zu unterhalten, die entweder zu alt oder zu jung waren, um Handel zu treiben, und über dem ganzen Krach und Tumult hörte man die Stimmen der Händler, die lautstark ihre Waren feilboten.
»Aktuelle Wos und Wanns.«
»Aaa-ooo! Aaa-ooo! Aaa-ooo! Über Jahrzehnte gepflegte Wenns und Abers.«
»Wörter, die ›S‹ in sich haben, zum halben Preis.«
So viele Wörter und so viele Menschen! Sie kamen buchstäblich aus allen nur vorstellbaren Gegenden, ja, zum Teil sogar aus solchen, die man sich nicht vorstellen konnte. Jeder war damit beschäftigt, auszuwählen, zu sortieren und alles Mögliche und Unmögliche in Kästen zu stopfen. Und kaum war einer voll, griff man schon zum nächsten. Das Gewimmel und Getue schien kein Ende zu finden.
Milo und Tack schoben sich durch die Gänge und begutachteten das erstaunliche Angebot an Wörtern, die zum Kauf angeboten wurden. Es gab kurze, einfache für den täglichen Gebrauch und lange, sehr bedeutsame für spezielle Gelegenheiten. Dazu noch ein paar ganz besonders ausgefallene. Die waren einzeln abgepackt, in Geschenkpapier gewickelt und dienten ausschließlich königlichen Erlassen und Verkündigungen.
»Treten Sie näher, treten Sie näher! Eins-a-Worte für jede Gelegenheit. Exklusiv nur hier«, verkündete ein Mann mit dröhnender Stimme. »Na, Kleiner, was kann ich für dich tun? Wie wär’s mit einer Tüte Pronomina, mit diesen zum Beispiel? Oder vielleicht mit einem Sortiment ausgewählter Artikel?«
Milo hatte sich noch nie viele Gedanken über Wörter gemacht, aber diese hier sahen so gut aus, dass er unbedingt ein paar davon haben wollte.
»Sieh dir das an, Tack«, rief er. »Sind die nicht wundervoll!«
»Ja, vorausgesetzt, du hast was zu sagen«, antwortete Tack müde, denn ihm stand der Sinn sehr viel mehr danach, einen Knochen zu finden, als nach Worten zu suchen.
»Wenn ich mir ein paar besorge, kann ich vielleicht lernen, damit umzugehen«, sagte Milo erwartungsvoll und fing an, sich durch die Wörter des Marktstandes zu wühlen. Schließlich wählte er drei aus, die ihm ganz besonders gut gefielen: Zwickmühle, verblüffend und aufpolstern. Er hatte keine Ahnung, was sie bedeuteten, aber sie sahen irgendwie elegant aus und klangen großartig.
»Wie viel?«, fragte er.
»Drei«, meinte der Mann.
»Nein, wie viel sie kosten, mein ich«, sagte Milo. Doch als der Mann ihm den Preis ins Ohr flüsterte, legte er sie wortlos wieder auf die Ablage und wandte sich zum Gehen.
»Wie wär’s mit ein paar Pfund Alles Gute?«, rief ihm der Verkäufer hinterher. »Die sind sehr viel alltagstauglicher. Eignen sich fantastisch für Alles Gute zum Geburtstag, Alles Gute zum neuen Jahr, Alles Gute kommt von oben, Alles Gute …«
»Würde ich ja gern«, druckste Milo, »aber …«
»Gut, dann eben ohne Alles. Kostet bloß die Hälfte und ist mindestens genauso gut: Guten Morgen, Guten Tag, Guten Abend, Gute Nacht. Guter Gott – das ist doch wirklich ein Gutes Angebot!«
Milo hätte liebend gern etwas gekauft, aber als er in die Tasche griff, klingelten dort nur die Münzen, die er für die Mautstelle brauchte, um wieder in sein Zimmer zu gelangen. Und bei Tack klingelte nichts bis auf den Wecker.
»Nein, danke«, erwiderte Milo. »Wir gucken nur. Aber alles Gute!« Und damit setzten sie ihren Marktbummel fort.
Als die beiden die letzte Gasse zwischen den Ständen erreicht hatten, fiel Milo ein Marktwagen ins Auge (Was wohl der Baron dazu gesagt hätte?!), der sich von den anderen abhob. An seiner Seite hing ein Schild mit den fein säuberlich geschriebenen Worten »DO IT YOURSELF«, und innen standen sechsundzwanzig Kästen, bis zum Rand gefüllt mit allen Buchstaben des Alphabets – von A bis Z.
»Die sind für Leute, die sich ihren eigenen Reim auf die Dinge machen wollen«, erklärte ihm der Verkäufer. »Du kannst sie dir selbst zusammenstellen, ganz nach Belieben. Oder du greifst zu unserem Sonderangebot: komplett mit allen Buchstaben, Satzzeichen und einer Gebrauchsanweisung. Hier, probier mal das A: ist richtig gut.«
Zögernd führte Milo den Buchstaben zum Mund und kaute vorsichtig