Die Abenteuer von Milo, Tack und Kackerlack. Norton Juster

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Die Abenteuer von Milo, Tack und Kackerlack - Norton  Juster


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drei Tore, überquerten einen schmalen Steg und ließen zwei Gänge sowie eine Treppe hinter sich. Endlich blieben sie vor einer kleinen Zellentür stehen.

      »Da sind wir«, sagte der Polizist und öffnete die Tür. »Fühlt euch ganz wie zu Hause.«

      Die Tür klappte hinter ihnen zu, und Milo und Tack fanden sich in einem hohen Gewölbekeller wieder, mit zwei winzigen Fenstern auf halber Höhe.

      »Auf Wiedersehen in sechs Millionen Jahren«, rief ihnen Hauptwachtmeister Kurz noch zu, dann hörten sie, wie seine Schritte sich nach und nach entfernten und schließlich ganz verhallten.

      »Sieht nicht gut aus, Tack, oder?«, sagte Milo traurig.

      »Ganz und gar nicht«, antwortete der Hund und nahm ihr neues Zuhause schnüffelnd in Augenschein.

      »Was sollen wir bloß die ganze Zeit machen? Wir haben kein einziges Spiel dabei, nicht mal eine Schachtel mit Buntstiften.«

      »Keine Sorge«, knurrte Tack und hob beruhigend eine Pfote, »irgendwas wird sich schon ergeben. Kannst du mich bitte erst mal aufziehen? Sonst ist meine Zeit schon jetzt abgelaufen.«

      »Weißt du, was, Tack?«, sagte Milo, während er den Hund aufzog. »Man brockt sich ganz schön was ein, wenn man Worte durcheinanderbringt oder nicht weiß, wie man sie buchstabiert. Sollten wir hier jemals wieder rauskommen, werde ich alles dafür tun, mehr über sie zu erfahren.«

      »Ein äußerst lobenswerter Vorsatz, junger Mann«, sagte eine leise Stimme auf der gegenüberliegenden Seite des Kerkers.

      Milo hob verwundert den Kopf, und im Halbdunkel fiel sein Blick auf eine alte, freundlich aussehende Dame, die dort in einem Schaukelstuhl saß und strickte.

      »Hallo«, sagte er.

      »Wie geht’s?«, erwiderte sie.

      »Geht so«, sagte Milo, »aber Sie sollten sich lieber vorsehen. Soviel ich weiß, treibt hier irgendwo eine Diebin ihr Unwesen, eine alte Hexe.«

      »Das bin ich«, meinte die alte Dame beiläufig und zog ihren Schal ein wenig fester um ihre Schultern.

      Milo sprang erschrocken zurück und griff nach Tack, damit dieser nicht wieder zu rasseln anfing – schließlich wusste er, wie empfindlich Diebe reagieren konnten, wenn man Krach schlug.

      »Keine Angst«, lachte sie. »Obwohl ich die bin, die ich bin, bin ich noch lange keine Diebin. Und erst recht keine Hexe. Wenn überhaupt, dann war ich eine Heckse.«

      »Oh«, sagte Milo, denn etwas anderes fiel ihm nicht ein.

      »Ich bin Ma Kaber«, fuhr sie fort, »und ich tu euch schon nichts.«

      »Und wieso nennt man dich dann eine Diebin und Hexe?«, fragte Milo, ließ Tack los und rückte ein Stückchen näher.

      »Nun«, sagte die alte Dame, während eine Ratte ihr über den Fuß huschte. »Ich bin die Großtante des Königs. Viele Jahre lang war ich hier im Königreich dafür bekannt, bei allen Angelegenheiten darüber zu wachen, was man für Worte machte, welche man sagen durfte und welche nicht, welche man schreiben durfte und welche nicht. Ihr könnt euch sicher vorstellen, was für eine wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe es war, unter den vielen Tausend Möglichkeiten immer die jeweils richtige auszuwählen. Der König war sehr zufrieden mit meiner Arbeit. Da ich das sehr gut machte, bestimmte er, dass allein ich diejenige sein sollte, die hinfort Worte ausgeben und verleihen darf, und verlieh mir den Titel der offiziellen Hoflieferantin für Worte und Wörter aller Art, was mich sehr stolz und glücklich machte.

      Zunächst tat ich mein Bestes, um sicherzustellen, dass nur die sachgerechtesten und geeignetsten Wörter gebraucht wurden. Jedermann drückte sich klar und deutlich aus, und kein Wort wurde unnötig verwendet (oder verschwendet). Überall im Palast und auf dem Marktplatz ließ ich Schilder anbringen, auf denen stand:

      In der Kürze liegt die Würze.

      Aber Macht verdirbt den Charakter, und schon bald wurde ich geizig und gierig und lieferte immer weniger Worte aus, um so viele wie möglich für mich zu behalten. Ich ließ neue Schilder aufhängen, auf denen stand:

      Am Anfang war das Wort, nicht das Geschwätz.

      Bald schon waren die Verkäufe auf dem Markt rückläufig. Die Leute scheuten sich, so viele Worte zu machen wie bisher, und das Königreich sah harten Zeiten entgegen. Dessen ungeachtet wurde mein Geiz immer größer. Kurze Zeit später ergriffen die Leute so selten das Wort, dass kaum noch Gespräche stattfinden konnten. Selbst die alltäglichste Unterhaltung war so gut wie nicht mehr möglich. Und obwohl ich mir sagte: ›Das ist nicht gut, was du da ausheckst‹, ließ ich neue Schilder aufhängen:

      Ein Mann, ein Wort.

      Bis ich schließlich auch diese durch andere ersetzte:

      Schweigen ist Gold.

      Von da an hörte jede Unterhaltung auf. Der Verkauf von Wörtern und Worten wurde eingestellt, der Markt geschlossen, die Bevölkerung verarmte, und Verzweiflung machte sich breit. Als der König sah, was geschehen war, wurde er fuchsteufelswild und verkündete, dass ich diejenige war, die das alles ausgeheckt hatte, und deshalb an allem schuld war. Er ließ mich in dieses Verlies werfen, wo ich jetzt vor euch sitze – eine älter und weiser gewordene Frau.

      Das Ganze ist viele Jahre her«, fuhr sie fort, »aber es wurde nie wieder jemand damit betraut, auf die Wortwahl zu achten. Deshalb ergreifen die Leute das Wort heutzutage ohne große Überlegung und reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Und dabei kommen sie sich sogar noch schlau und weise vor. Denn eins ist klar: So falsch es ist, zu wenig Worte zu machen – zu viele davon zu verlieren, ist meist noch viel schlimmer.«

      Als sie zum Ende gekommen war, machte sie einen tiefen Seufzer, klopfte Milo sanft auf die Schulter und fing wieder an zu stricken.

      »Und seitdem bist du hier eingesperrt?«, fragte Milo voller Mitgefühl.

      »Ja«, sagte sie traurig. »Die meisten Menschen haben mich längst vergessen, und wenn nicht, entsinnen sie sich meiner bloß noch als ›Diebin‹ und ›Heckse‹, weil ich nun einmal die bin, die ihnen damals das Recht auf freie Wortwahl weggenommen hat. Wenn du so etwas ausheckst, verzeiht man dir das nie im Leben. Und solange ich hier unten eingesperrt bleibe, werden sie auch nie erfahren, dass ich schon lange nicht mehr die bin, vor der sie sich fürchten.«

      »Ich finde dich nicht furchterregend«, sagte Milo, und Tack wedelte zustimmend mit dem Schwanz.

      »Habt vielen Dank«, sagte Ma Kaber. »Ihr könnt mich Mama Kaber nennen. Hier, wie wär’s mit einem Satzzeichen?« Und sie hielt ihnen eine Schachtel mit gezuckerten Punkten, Kommas, Frage- und Ausrufezeichen hin. »Das ist alles, was man mir zu essen gibt.«

      »Also, wenn es mir gelingt, hier rauszukommen, werde ich dir helfen«, erklärte Milo laut und deutlich.

      »Das ist sehr nett von dir«, antwortete sie, »aber das Einzige, was mir helfen kann, ist die Rückkehr von Sinn und Verstand.«

      »Die Rückkehr von was?«, fragte Milo.

      »Von Sinn und Verstand«, erwiderte sie, »aber das ist eine lange Geschichte. Keine Ahnung, ob ihr die hören wollt.«

      »Und ob«, bellte Tack.

      »Sehr gerne sogar«, pflichtete Milo ihm bei, und während Ma Kaber auf ihrem Stuhl langsam vor und zurück schaukelte, erzählte sie ihnen diese Geschichte:

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