Die Mission der Maru Tai. Mara Laue
Читать онлайн книгу.Ganuti aufgebrochen waren. Irgendetwas musste in der Zwischenzeit passiert sein. Das zeigten auch die ernsten Gesichter der Anwesenden.
Yora betätigte den Melder an der Tür zu Chens Bereitschaftsraum, die sich neben dem Lift befand. Die Tür glitt auf. Chen und Commander Pol Wendt, der Erste Offizier, erwarteten sie bereits. Auch ihre Gesichter waren sehr ernst.
»Botschafter al Mahdi, Ma’am, Sir!«, meldete Yora und wartete, bis der Mann eingetreten war, ehe sie sich abwandte.
»Bleiben Sie, Lieutenant«, befahl Chen und bedeutete ihr mit einer Kopfbewegung einzutreten.
Yora gehorchte und blieb neben der Tür stehen, während al Mahdi unaufgefordert vor Chens Arbeitsstation neben Commander Wendt Platz nahm.
»Die Mission war ein voller Erfolg, Captain«, teilte al Mahdi der Kommandantin mit. »Wir können unser nächstes Ziel anfliegen.«
»Das können wir nicht«, widersprach Chen. »Alle Schiffe, die nicht bei der Grenzsicherung eingesetzt sind oder für Versorgungstransporte gebraucht werden, wurden zurück–beordert.« Für einen Moment drückte ihr Gesicht Wut aus, ehe sie sich wieder im Griff hatte. »Die MARU TAI muss sich mit anderen Schiffen der Chamäleon-Klasse schnellstmöglich auf Frachtbasis sieben-drei-drei einfinden, Fracht aufnehmen und danach Tema anfliegen. Sie, Herr Botschafter, werden unterwegs von einem Kurierboot abgeholt und zu einem anderen Schiff transportiert, das Sie auf Ihrer weiteren Mission begleiten wird.«
Al Mahdi schüttelte den Kopf. »Was ist passiert?«
Das interessierte auch Yora brennend. Dass alle Schiffe von ihren aktuellen Einsätzen zurückbeordert wurden, sofern sie keine für die Gemeinschaft der IMU oder Terra lebensnotwendigen Aufgaben zu erfüllen hatten, kam einer Mobilmachung gleich. Yora stöhnte innerlich. Der letzte Krieg gegen die Flottenverbände des Arsan-Bundes lag erst fünfzehn Jahre zurück. Yora hatte ihn als junge Offizierin erlebt und seine Schrecken immer noch in lebhafter Erinnerung.
»Auf Tema gab es vor einer Woche eine Naturkatastrophe. Sämtliche Vulkane des Planeten sind nahezu gleichzeitig ausgebrochen und haben verheerende Verwüstungen angerichtet. Nach aktuellen Meldungen ist ein Viertel der Bevölkerung dabei ums Leben gekommen: zwei Milliarden Temanai. Die Zahl der Verletzten ist mindestens ebenso hoch, die Zahl der Obdachlosen nicht abzuschätzen.« Chen schüttelte den Kopf. »Ob der Planet in ein paar Wochen oder Monaten überhaupt noch bewohnbar sein wird oder evakuiert werden muss, steht noch nicht fest.«
»Bei der Liebe Allahs!« Al Mahdi fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht. »Was für eine Katastrophe!«
Yora teilte seine Fassungslosigkeit. Die Temanai waren ein hochzivilisiertes Volk, das den meisten Völkern der IMU wie auch denen des Arsan-Bundes technisch weit voraus war. Schon vor Jahrhunderten ihrer Zeitrechnung war ihnen mithilfe ihrer fortschrittlichen Technik gelungen, die vulkanischen Aktivitäten ihres Planeten zu zähmen und deren Energien nutzbar zu machen. Dass auch nur ein einziger Vulkan auf Tema ausbrechen konnte, ohne dass im Vorfeld Dutzende Warnsysteme das rechtzeitig registrierten und die Eindämmungsmechanik den Ausbruch verhinderte, war extrem unwahrscheinlich. Dass alle Vulkane gleichzeitig ausbrachen, war unmöglich. Es sei denn ...
»Sabotage«, war Yora überzeugt.
Chen warf ihr einen verweisenden Blick zu, weil sie unaufgefordert gesprochen hatte, aber Commander Wendt nickte.
»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit«, gab er ihr recht. »Und wir brauchen wohl nicht allzu lange oder überhaupt zu überlegen, wer dahinter steckt.«
Al Mahdi nickte. »Die Arsans.« Er schüttelte den Kopf. »Und über den Grund brauchen wir auch nicht zu spekulieren.«
Der lag auf der Hand. Die Temanai verfügten nicht nur über technische Errungenschaften, die bei nahezu allen Völkern permanente Begehrlichkeiten weckten. Auf ihrem Planeten und in dessen gesamtem Sonnensystem gab es auch ausgedehnte Rohstoffvorkommen, von denen einige nur dort existierten; zumindest waren sie bisher nirgendwo anders gefunden worden. Einer davon, die Kamurkristalle, stellte eine extrem leistungsfähige Energiequelle dar. Wurden sie zu entsprechenden Passstücken geschliffen und in Relais eingesetzt, konnte man sie für nahezu alles verwenden. Waffen- und Verteidigungssysteme, die mit ihnen betrieben wurden, galten als unschlagbar.
Eben deshalb weigerten sich die Temanai, irgendwem auch nur einen einzigen Kamurkristall zu verkaufen, und blieben politisch betont neutral. Die Arsan-Völker würden die Kristalle zweifellos zur Kriegführung benutzen, und das wäre das Ende der IMU und der Freiheit ihrer Mitglieder. Ikan Muron – »freie Völker« in der Verkehrssprache der IMU. Denn die Arsans und ihre Bündnispartner lebten die Prämisse, dass der Stärkere das Recht hatte, sich alles zu nehmen, was er wollte und erobern konnte. Was der Grund für den vergangenen Krieg und die Gründung der Ikan Muron Union gewesen war.
Vor fünfzehn Jahren war ein Waffenstillstand nur dadurch erreicht worden, dass der IMU genug Völker beigetreten waren, um die Kampfkraft des Arsan-Bundes zwar noch nicht vollständig auszugleichen, aber eine Pattsituation zu erreichen. Eine Fortsetzung des Krieges hätte in einem Pyrrhussieg für eine der beiden Seiten geendet. Selbst wenn die Arsan-Völker ihn errungen hätten, wären sie hinterher so geschwächt gewesen, dass sie ihr erobertes Sternenreich nicht mehr hätten zusammenhalten können. Ein Teil der von ihnen unterdrückten Völker hätte rebelliert und die Gelegenheit genutzt, das Arsan-Joch endgültig abzustreifen. Die Füße, Tentakel und sonstigen Gliedmaßen vorläufig stillzuhalten, war die einzige Möglichkeit gewesen, ihr Reich zu behalten. So lange, bis sie einen Weg gefunden hatten, ihre Eroberungen fortzusetzen.
Was nur mithilfe von kamurkristallbetriebenen Waffen und Schutzschilden möglich wäre. Yora war sich sicher, dass die Arsans vor fünfzehn Jahren schon nach einem Weg gesucht hatten, Kamurkristalle zu bekommen, und zwar nicht nur eine begrenzte Anzahl, sondern sich die Quelle vollständig einzuverleiben: Tema. Und die Vorbereitung für diesen Coup hatte entsprechend viele Jahre gedauert.
Wenn Yora sich recht erinnerte, gab es auf Tema 1538 aktive Vulkane. Jeder besaß eine eigene Station, die seine Tätigkeit überwachte und seine Energie in die richtigen Bahnen lenkte. Wenn man alle Vulkane gleichzeitig ausbrechen lassen wollte, musste man mindestens einen Saboteur in jeder dieser Stationen haben. Da die Temanai politisch und wirtschaftlich neutral waren und weder der IMU noch dem Arsan-Bund angehörten, gab es auch nur wenige Nicht-Temanai, die auf Tema arbeiteten. Und diese wurde nicht an neuralgischen Stellen eingesetzt, wo sie Sabotage hätten betreiben können.
Die Arsans mussten also im Laufe der vergangenen Jahre ihre Saboteure unter den Temanai rekrutiert haben. Yora würde nie verstehen, warum jemand sein eigenes Volk verriet. Erst recht nicht an Wesen wie die aus dem Arsan-Bund. Welches Wesen, das seinen Verstand noch beisammenhatte, half Feinden nicht nur, Milliarden Leute des eigenen Volkes zu töten, sondern auch noch einen Großteil des Planeten zu verwüsten?
Andererseits waren die Arsans Meister der Verführung und beherrschten virtuos die Taktik, die Schwachpunkte ihrer Gegner auszumachen und diese gegen sie zu verwenden. Und zwar in einer Art, dass die Gegner manchmal gar nicht oder erst viel zu spät merkten, dass sie getäuscht worden waren. Diese Fähigkeit war auch der Grund, weshalb etliche Völker des Arsan-Bundes sich den Arsans, die ihn gegründet hatten, freiwillig angeschlossen hatten.
Wenn die Geschichtsschreibung in diesem Punkt nicht irrte, hatte das Volk der Arsans – eine humanoide und sehr kriegerische Rasse – ihre ersten Nachbarplaneten erobert, indem es unter dem Deckmantel der Etablierung von Handelsbeziehungen genug kampfkräftige Leute auf den jeweiligen Planeten stationiert und sogar die Regierungen unterwandert hatte. In einem wohlvorbereiteten Handstreich hatten sie gezielt zugeschlagen und die Macht an sich gerissen. Danach hatten sie die Bevölkerung mit Vergünstigungen und anderen Vorteilen davon überzeugt, dass die Eroberung ihrer Welt und die Herrschaft der Arsans zu ihrem Besten war.
Nach dem, was man von den Geflüchteten dieser Völker erfahren hatte, wurden alle, die sich weigerten, die Arsans als die neuen Herren ihrer Welten anzuerkennen, inhaftiert, als Aufrührer hingerichtet oder von ihrer Heimatwelt vertrieben. Wer sich den Arsans beugte, konnte in ihrer Hierarchie aufsteigen und reich werden oder einen prestigeträchtigen Posten in ihrer