Die um Bismarck. Rudolf Stratz

Читать онлайн книгу.

Die um Bismarck - Rudolf Stratz


Скачать книгу
Baron Germerode.

      „Wie lange sollen wir, die Fünfziger, noch warten, bis unser Leben tatenlos verronnen ist? Der künftige Kaiser Friedrich selbst ist unser Altersgenosse . . .“

      Durch die Stille klangen aus der Mitte des Salons helle englische Worte aus dem Mund der Dame des Hauses. Die Gräfin Lassbach war eine kleine, dunkle Frau mit bräunlichem Teint und lebhaften dunklen Augen. Sie sprach mit einem schmächtigen, brünetten, jungen Briten, der vor ihr stand.

      „Sie haben heute abend als Queens Messenger nach England zu gehen? Wohl, Mister Hopkins: Grüssen Sie bitte meine Mutter — Sie wissen — Old Priory bei London — und ich liesse ihr sagen, ich hätte hier wiederholt das Glück gehabt, von der Frau Kronprinzessin empfangen zu werden, und ich würde nächstens schreiben!“

      Englisch — noch selten, noch fremdartig in der Berliner Gesellschaft. Es war einen Augenblick, als pfiffe der Inselwind über die endlose Terrasse von Windsor, als leuchtete der rote Turban des Leibhindu vom Bock des offenen Zweispänners der Kaiserin von Indien und Grossmutter von Europa . . . . . . . . . . .

      „Und da schauen Sie die Mimi zwischen ihrem Jungvolk von Lieutenants und Attachés!“ Tonio Lassbach wies in die Mitte des Salons auf seine einzige Tochter und Erbin seiner Güter. Sie hatte die grossen, schönen, dunklen Augen der Mutter, aber — um ein Vierteljahrhundert jünger als jene, erst zwanzig — ein blasses, etwas bleichsüchtiges, angenehm geschnittenes Gesicht, das nur bei schwachem Lächeln sich jugendlich belebte. Sie hielt sich schlecht, auch im Sitzen, die schmalen Schultern vornübergebeugt. Ihre ganze Gestalt war zart und schmächtig.

      „Da wartet nach uns schon die dritte Generation auf das Leben!“ sagte ihr Vater. „Und vorn sperrt eine Phalanx der Achtzigjährigen Licht und Luft! Eine Danse macabre . . .“

      „Er — ich sage er — ist erst Anfang siebzig! Vergessen Sie das nicht.“

      „Vielleicht stolpert einmal ein Kürassierstiefel über einen Zwirnsfaden!“

      „Der Zwirnsfaden — ich meine das Dokument — ist doch ganz gewiss echt, Graf?“

      „Es stammt mit absoluter Sicherheit aus der Wilhelmstrasse!“ versetzte Tonio Lassbach. „Ich habe mich dessen jetzt eben noch einmal versichert. Wie würde ich es denn sonst vor Gott und meinem Gewissen und der Weltgeschichte verantworten können? . . Ah — guten Tag, mein lieber Kattmühl! Ohne Kompliment: Sie sind wirklich der bestangezogene Mann von Berlin!“

      „Zivil! Zivil!“

      „Gerade! Sie sind der einzige Klubmann, der gegen die Uniform aufkommt!“

      Ein majestätischer, hochgewachsener Herr zu Anfang Dreissig war eingetreten. Bandlos funkelte ihm das Einglas in dem unbewegten, länglichen Antlitz über dem schwarzen Schnurrbart. Die Mienen der jungen Damen um Mimi Lassbach herum erhellten sich in lächelnder Erwartung. Die Herren betrachteten ernst sein Äusseres. Er trug, zu einer zweimal um den Kragen geschlungenen schwarzen Atlasbinde einen zimtbraunen, offenen, langen Gehrock und ebensolche Beinkleider. Die Biedermeierweste war reich mit Blümchen handgestickt und besass eine Reihe bunter, geschliffener Achatsteine als Knöpfe. Lang und spitz, mit niederen britischen Absätzen, funkelten die Lackschuhe.

      „Ich lege mich Ihnen gehorsamst zu Füssen, Gräfin!“ Der Graf von Kattmühl neigte sich in gewollt altmodischer, Potsdamer Höflichkeit über die Hand der Dame des Hauses. Er hatte etwas imponierend Selbstbewusstes im Auftreten. Er ging zu Mimi Lassbach hinüber. Sie reichte ihm im Sitzen die Rechte entgegen. Er drückte sie, ohne eine Miene zu verziehen. Rings neugierige Gesichter.

      „Sagen Sie mal: Was treibt der Kattmühl denn so eigentlich in Berlin?“ fragte am Tisch der älteren Herren still unzufrieden der fromme, alte von Rickwitz. Der Hausherr zuckte etwas unbehaglich die Achseln.

      „Er ist jüngerer Sohn! Viel trägt die riesige hinterpommersche Sandkiste, das Familiengut, nicht! Nun sieht er so in Berlin zu . . .“

      „. . . wo die beste Partie ist!“ sagte, während Graf Lassbach gespannt nach dem eintretenden Diener spähte, leise der welfische Magnat zu dem märkischen Junker. „Sie müssen nicht so indiskret fragen, Herr von Rickwitz! Der Lassbach ist doch mordsreich. Die Partie zwischen der Mimi und dem Kattmühl liegt schon in der Luft!“

      „Carlo . . . hier ist ein Platz frei!“ rief drüben aus dem Kreis der Herren um die Tochter des Hauses ein junger, himmelblauer Mecklenburger Dragoner dem majestätischen Elegant zu.

      Aber Graf Carlotto von Kattmühl beachtete die Zurufe nicht. Er setzte sich fern von der Komtess Lassbach zu einer Gruppe älterer Damen und begann in seiner feierlichen Weise ein gemessenes Gespräch. Der Mecklenburger Kavallerist wandte sich verblüfft zu einem der Husaren, deren Attilas rot, blau, schwarz und grün die Gemächer belebten.

      „Was hat es denn zwischen der Mimi und dem Carlo gegeben?“

      „Strategisches Manöver bei Karlchen“, sprach der rote Rennreiter. Der Kamerad in Himmelblau lachte.

      „Frei nach Goethe: ,Doch wem nichts daran gelegen scheinet, ob er reizt — ob rührt‘ . . . .“

      „Und die kleine Lassbach möchte ihn doch so gerne haben! . . . Na — gehen Sie nur vorbei, alter Freund!“

      Es galt dem Diener, der gewandt vorüberschlüpfte. Er näherte sich seinem Herrn und hob leise die Augenbrauen hoch. Graf Lassbach stand auf und verliess unauffällig das Zimmer.

      9

      In seinem Bibliotheksraum trat dem Grafen frisch und fröhlich ein blonder, blauäugiger, junger Hüne entgegen — die Kleidung Kleinstadt, die Stiefel Flachland, merkwürdig die Krawatte — Graf Lassbach, der soignierte Grandseigneur, sah so etwas mit einem Blick. Aber trotzdem Klasse! Die Verbeugung beste Kinderstube . . .

      „Auffallend schönes Wetter heute, Herr Graf! Nicht?“ Der junge Mann zeigte zutraulich die weissen Zähne unter dem Schnurrbart. Eine höfliche, aber noch sehr zurückhaltende Handbewegung Tonio Lassbachs, Platz zu nehmen.

      „Ja — sehr schön! Aber ich fürchte, wir kriegen bald Sturm! . . . Sie . . . hm . . . Sie wollten die Güte haben, uns einen kleinen Gefallen zu erweisen?“

      „Warum nicht, Herr Graf? Unserm Cassube zulieb!“

      „Cassube?“

      Lutz Oberkamp besann sich und lachte.

      „Ach Gott . . . ich verwechselte . . . Ich meine natürlich den Doktor Wurmhuber!“

      Wieder ein leises Misstrauen im Blick des Grafen.

      „Verzeihen Sie, Herr Oberkamp . . . Sie sind doch Herr Oberkamp?“

      „Der Sohn des Buggenhageners!“

      „Des Bismärckers! Darf ich fragen . . . hm . . . Wie stehen Sie denn so mit Ihrem Herrn Vater?“

      „Zur Zeit so ziemlich auf dem Holzkomment, Herr Graf! Ich bin ihm, weil ich nicht Landwirt bleiben will, nach Berlin ausgerückt und will mir aus eigener Kraft hier eine Position machen, gleichviel, was mein alter Herr dazu sagt . . .“

      „Hm . . . das erklärt ja alles . . . Ihr Vater ist ja als ein . . . hm . . . sehr energischer Herr allgemein bekannt!“

      „Mich kriegt er nicht unter!“ Der junge Mann sass sorglos lächelnd da. „Ich habe mir schon in Berlin eine Bude gemietet! Wo? In der Dorotheenstrasse 290, eine Treppe, bei dem Kassenboten Schwendecke und seiner Familie. Ich sagte mir, die erste Wohnung, wo mir ein nettes Mädel öffnet, nehm’ ich! Na — und da stand nun dies dralle blonde Trautchen Schwendecke als Filia hospitalis . . .“

      „Dorotheenstrasse Nummer . . .“ Graf Lassbach zog plötzlich die Hand, mit der er nach Bleistift und Notizbuch greifen wollte, zurück. „Nein — das muss man sich im Kopf merken!“ murmelte er fast erschrocken. Er näherte seine hohe aristokratische Gestalt der Wand, öffnete die kleine Tapetentür einer eingemauerten Stahlkassette und entnahm ihr eine kaum handgrosse, dünne Mappe aus seinem grünen Leder. Ein prüfender


Скачать книгу