Die um Bismarck. Rudolf Stratz

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Die um Bismarck - Rudolf Stratz


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neben dem Toreingang dem jungen Mann nach. Der stieg zögernd das Treppenhaus empor. Er hatte plötzlich Herzklopfen. Er blieb auf dem zweiten Stiegenabsatz stehen und betrachtete geistesabwesend das Schild neben der Tür: ,Dr. Scholz, Spezialarzt für Ohren- und Nasenkrankheiten‘.

      Noch zwei Stockwerke. Laute Männerstimmen von dort oben aus der Höhe. Sperrangelweit offen die Türflügel zu der dämmerigen kleinen Diele der „Grossen Tromme!“ Innen, in den schmutzigen, dụnklen Hofräumen, bewegten sich grosse Unbekannte. Sie stöberten, als ob sie hier zu Hause wären, mit geübten Griffen in den weitaufgerissenen Schubladen und Schränken. Papiere lagen überall, als ob es geschneit hätte. Zeitungen. Akten. Briefe. Weissüberflockt selbst die tintenbefleckten Tische und die abgetretenen Teppiche.

      Im Wirrwarr der Haussuchung, mitten im Zimmer rittlings auf einem Stuhl, ein salopper, kleiner Mann mit überlegen grinsendem, frechem Froschgesicht. Ein höhnendes Meckern.

      „Keine Müdigkeit beim Ostereiersuchen vorschützen, meine Herren!“

      „Still!“

      „Suchet, so werdet ihr finden! Ja, Sie da am Fenster meine ich, Herr Wachtmeister! Es brennt!“

      „Sie haben zu schweigen. Sie sind verhaftet!“

      „Auf wie lange? Mich schützen höhere Mächte.“ Günther Cassube feixte mitleidig vor sich hin. Dabei fiel sein Blick auf den jungen blonden Mann vom Lande am Eingang. Ein heftiges Augenzwinkern. Es hiess: ,So mach doch, du Esel, dass du weiterkommst!‘ Die schneidende Frage des leitenden Polizeikommissars:

      „Herr Doktor — wer ist der Herr da an der Tür?“

      „Ein stattlicher Germanenjüngling! Typ: Völkerwanderung!“ Der hässliche kleine Kerl nickte anerkennend.

      „Aber wer er ist?“

      „Bin ich ’n blinder Seher? Ich hab’ den Herrn nie in meinem Leben gesehen!“

      „Was wollen Sie hier?“ Nun trat der Beamte barsch vor Lutz Oberkamp hin. Und von dem als plötzliche Eingebung die Antwort:

      „Zu dem Ohrenarzt! Dem Doktor Scholz!“

      „Zwei Treppen tiefer!“ rief, mit Knien und Ellbogen auf dem Boden liegend und unter die Schränke spähend, ein Schutzmann vom Revier.

      „Dann stören Sie hier nicht!“

      Danke sehr!“

      Lutz Oberkamp stieg langsam die Treppe hinab. Draussen auf der Strasse hatte sich nichts verändert. Die Märzsonne schien hell. Vor dem Tor stand immer noch, mit seinem Haüskäppchen und seinen grünen Pantoffeln, der stoppelbärtige alte Schuhmachermeister und sagte philosophisch zu einem Häuflein Neugieriger:

      „Ja — ja — der Kleene! Wen der an’s Jenicke kriegt, der hat in Spandau Zeit jenug zum Nachdenken!“

      11

      „Gnädige Frau: Ein Herr Oberkamp lässt melden, er sei da!“

      In ihrem Ankleidezimmer stand Etta von Möllinghoff vor dem grossen offenen Kleiderschrank. Ihr schmales, kluges, hübsches Gesicht war nachdenklich versonnen. Sie hielt nach ihrer Gewohnheit die Unterlippe grüblerisch zwischen den weissen Zähnen, so wie wenn sie sonst mit ihrem Mann und anderen Geheimräten, in die Weltlage vertieft, ernst, fast sorgenvoll politisierte.

      „Gnädige Frau“, wiederholte die Jungfer, und es ging Etta Möllinghoff wieder, wie in letzter Zeit immer, durch den Kopf: ,Gnädige Frau — wie lange noch? Dann heisst es: Exzellenz! Klemens ist dicht daran!‘ Sie wiederholte sich schon manchmal, wenn sie allein war, mit halb geschlossenen Augen wie im Traum die Anrede: Euer Exzellenz!

      „Gnädige Frau! Der Herr Oberkamp . . .“

      „Mein Neffe soll nur unten warten!“

      In dem grossen Barockschrank hingen reihenweise die Röcke und Roben, mit Rüschen und Fransen, mit Schleifen und Schärpen garniert, gestickt, plissiert. Es leuchtete in allen Farben. Die Geheimrätin von Möllinghoff war eine der elegantesten jungen Frauen von Berlin.

      Sie wählte nach langem Grübeln: Einen hüftschmalen, schottisch blau und grün gemusterten Rock mit einer vielknöpfigen glatten Taille, und betrachtete kritisch den Eindruck im Spiegel. Es war eines der Staatskleider. Die rückkehrende Jungfer staunte.

      „Gnädige Frau erwarten doch heute keine Gäste?“

      „Ach — kümmern Sie sich doch um Ihre Angelegenheiten, Kind!“

      „Ich habe den Herrn Neffen in das Wohnzimmer geführt, gnädige Frau!“

      „Gut!“

      In dem ebenerdigen Familiengemach lief Lutz Oberkamp ungeduldig auf und ab. Die Fenster zitterten leise vom Dröhnen der Lastwagen draussen. Fortwährend rasselten kleine Pferdedroschken mit Reisenden und Gepäck zum Anhalter Bahnhof hinüber. Alle zehn Minuten klingelte die Pferdebahn vorbei. Es war keine schöne Gegend, wo der Geheime Legationsrat von Möllinghoff wohnte, aber dafür auch nur ein Katzensprung von der Königgrätzer Strasse hinüber zum Amt, wenn S.D. befahl. Tag und Nacht bereit . . . So liebt es mein Fürst . . .

      Herrgott — wo bleibt denn die Etta? Wieder Lutz Oberkamps Gewaltmarsch durch den reichen Raum. Ein vornehmes Wohnzimmer der achtziger Jahre. Viel Plüsch. Viele fensterperdunkelnde Portieren. Viel trockene Makartsträusse und Pfauenfedern und dürre Palmenzweige in den Ecken. Goldgeschnittene Prachtwerke auf dem Tisch. Familienbilder an der blau und rot auf grün geblümten Tapete.

      Da Onkel Möllinghoffs Mutter — meine Grossmutter — die alte Exzellenz . . . Lutz Oberkamp betrachtete das Bild der über Achtzigjährigen im Goldrahmen, deren verstorbener Mann vor undenklichen Zeiten einmal preussischer Minister gewesen. Sie lebte jetzt noch guter Dinge in Berlin und hatte doch schon als Mädelchen vor der Königin Luise in Hohenzieritz geknickst. Blücher — aber damals war sie schon eine erwachsene Demoiselle — der alte Blücher hatte ihr bei einer Besichtigung seiner dunkelroten Stolper Husaren im Schwips einen Schmatz auf die linke Backe gegeben, und sie hatte sich vor Stolz eine Woche lang diese Gesichtshälfte nicht gewaschen.

      Und da, an der Wand, Onkel Möllinghoffs erste, vor zehn Jahren dahingegangene Frau — die Tochter eines Generalsuperintendenten. Rechts und links ihre beiden Töchter. Still und etwas schüchtern, wie die Mutter, die Margret. Kindlich und lebenslustig die Lene.

      Komisch: die Zwei — die Frau des Pastors der Berliner Inneren Mission und die des Hauptmanns im Grossen Generalstab — die waren ungefähr gerade so alt wie ihre Stiefmutter — die Etta . . . Ende Zwanzig . . .

      Lutz Oberkamp hörte hinter sich das leise Rauschen eines Rocksaums. Er drehte sich rasch um und küsste verwirrt Tante Ettas kühle Hand. Ebenso fühl, etwas blass ihr junges Gesicht.

      „Setz’ dich! Gut, dass du wenigstens den Weg zu uns gefunden hast! Onkel Klemens ist noch nicht da. Wir müssen warten!“

      „O gern, Tante . . . Furchtbar gern . . .“

      Etta Möllinghoffs Wangen belebten sich mit einem leisen Anflug von Röte. Ihre grünlich-braunen Augen richteten sich mit dem ihr eigentümlichen, klug forschenden Geblinzel auf den Neffen. Streng:

      „Was hast du inzwischen getrieben?“

      „Oh . . .“ Der junge Mann machte eine grossartige Handbewegung. „Allerlei . . .“

      „Aber nicht viel Gescheites — nach deinem unsicheren Gesichtsausdruck zu schliessen . . . Mir spiegelst du doch nichts vor!“

      „Die reine Gouvernante!“ Ein düsterer Blick des Neffen über den Tisch. Beide sahen sich an und schnell wieder weg. „Dabei ganze kümmerliche drei Jahre Unterschied zwischen uns! Stell’ dich nur älter als du bist . . .“

      „Das pflegen Frauen selten zu tun, du Unschuldsengel aus Mecklenburg!“ sagte die Tante in einem sanften Ton. „Ich möchte nur nicht, dass du in Berlin zu Schaden kommst!“

      „Erobern will ich Berlin


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