Die um Bismarck. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.horchte, „aber jetzt ist’s zu spät! Da kommt eben schon dein Onkel Klemens!“
12
Auf Klemens Möllinghoffs ältlich-launigem, diplomatisch beweglichem, bartlosem Geheimratsantlik witterte noch die Wilhelmstrasse . . . Akten . . . . Arbeit . . . Ärger . . . Hast und Hass. Eine Sekunde Sonnenschein, während er seiner Frau freundlich wie einem Kriegskameraden auf die Schulter klopfte. Dann wieder feierliche Falten um den dünnen, schlauen Mund beim Anblick des Neffen.
„Na . . .?“ Ein strenges Räuspern. Ein Herumschauen und Händereiben, wo der Tee bleibe. Sonst nichts. Ettas Augen hatten sich wieder, unbewusst, in versonnenem Wohlgefallen, in den Neffen verloren.
„Der arme Sünder hat sich vorhin freiwillig gestellt!“ sagte sie schnell, „und ich habe ihm daraufhin auf meine Kappe mildernde Umstände für seine Fahnenflucht aus Buggenhagen bewilligt!“
„So?“
„Klemens: sieh ihn doch an! Er ist doch das reine Kind!“
„Na — ein recht ausgewachsenes!“ Der Geheimrat wandelte brummig und nervös vor den beiden jungen Menschen im Zimmer auf und ab. „Mit seinem Gardemass . . .“
„Ja. Ich hab’ ihn mir ja auch viel kleiner vorgestellt! Aber weisst du, Klemens — wir waren doch in Bayreuth . . .“ Etta lachte. „Daran erinnert er mich. Er ist genau so tumb wie der Parsifal! Er tapert auch in alles hinein. Man muss ihn vor bösen Menschen behüten!“
„Mir scheint, du bemutterst ihn schon gründlich!“ sagte der Geheimrat von Möllinghoff etwas freundlicher. Die Stimmung seiner Frau färbte sofort auf ihn ab. Er blieb stehen. „Also lassen wir dich mal dank der Fürsprache deiner Tante ohne die verdiente Strafpredigt durchkommen! Morgen werden wir deine Rückverfrachtung nach Mecklenburg . . .“
„Quäle ihn nicht, Klemens, sondern setze dich und trinke Tee! Er sieht ja ohnedies schon aus wie das graue Elend! Die Tasse zittert ja in seiner Hand!“
„Ich habe auch heute gar keine Zeit für seine Eskapaden!“
„Kadettenstreiche, Klemens! Du warst auch mal jung!“
„Nee! Eigentlich nie so recht!“ . . . Der Geheimrat schaute gehetzt auf die Uhr. „Ich muss gleich wieder hinüber ins Amt! S. D. . . .“
Bei dem Wort S. D. legte sich über Ettas kluge Züge sofort ein Schein von ehrerbietigem Ernst. Selbstbeherrschung. Verschwiegenheit. Sie hob aufmerksam den Kopf.
„S. D. ist vorhin hinüber in die Lennéstrasse gefahren und trinkt da bei einer befreundeten älteren Dame in ihrer Parterrewohnung Tee. Ich will vor dem jungen Deserteur hier nichts Näheres sagen . . .“
„Ich weiss schon. Die Frau von dem dreifachen Abgeordneten!“
„Ja. Und wartet da das Ergebnis der Haussuchung bei Lassbach ab!“
„Und habt ihr das . . . das . . .“ Etta Möllinghoff besass die diplomatische Gabe, plötzlich mitten im Satz innezuhalten, ehe sie sich verschnappte, und in einer harmlosen Wortwendung fortzufahren. Nicht einmal ein Streifblick auf den taufrischen Neffen aus Plattland. Sehr gemütsruhig, während sie ihrem Gatten Tee eingoss: „Habt ihr irgend was gefunden?“
„So gut wie nichts!“ Der Geheimrat führte finster die Tasse an die Lippen, die sonst einmal bei einem gepfefferten Witz in Herrengesellschaft ganz frivol sich schürzen konnten und jetzt in harten Linien des Ehrgeizes und der Angst um die Laufbahn spielten. Auf der ,Grossen Trommel‘ hat man einigen unbedeutenden Dreck beschlagnahmt. Stilübungen kleiner Leute gegen den Kanzler . . .“
„Ha — diese Liliputaner . . .“
„. . . und ein scheussliches Geschöpf hinter Schloss und Riegel gebracht, das unter allerhand Namen — Wurmhuber-Fillitsch — Nordmann-Humann — Knöppke — eigentlich Günther Cassube — nach allen Seiten seine Auftraggeber — darunter auch uns — verrät. Jetzt erklärt er: ,Mein Name ist Hase — ich weiss von nichts!‘ Ob er wirklich nichts weiss oder das Ding heimlich bei einem Spiessgesellen versteckt hält, um später damit Erpressungen zu verüben . . .“
„Ist dir was, Lutz?“
„Nichts — nichts . . . Tante!“
„Du siehst so komisch aus . . .“ Etta wandte sich ein wenig blass von ihrem Neffen weg und an ihren Mann. „Nun — und im feindlichen Hauptquartier?“
„Bei Tonio Lassbach . . . ach, Kind — den Namen kann ich ruhig vor Lutz aussprechen! Heute abend steht es doch von der Freisinnigen Zeitung‘ und der ,Tribüne‘ und dem ,Fremdenblatt‘ ab — womöglich bis zur ,Post‘ in allen Berliner Blättern — ja — bei Lassbach fanden sich auch nur auf dem Boden ein paar Kisten mit Korrespondenzen mit Gott und der Welt, mit denen wir nicht viel anfangen können! Das, worauf es uns allein ankommt, das haben wir nicht gefunden — obwohl unsere Leute ihre Nase dort in alles gesteckt haben! Sie hätten es finden müssen, wenn es noch dort gewesen wäre!“
„Wie trete ich dem Fürsten unter die Augen!“ Der Geheimrat wischte sich die Schweissperlen von der Stirn, die der heftig geschluckte heisse Tee getrieben. Er stand auf und zündete sich mit zittrigen Fingern eine nervenberuhigende, schwere, schwarze Zigarre an. „Wir haben doch auch unsere heimlichen Vorposten im Lassbachschen Hause, von denen die Unschuld Tonios und seiner Alette nichts ahnt — ach — lass doch den Lutz ruhig zuhören! Er versteht doch von Lassbach und Cassube und dem ganzen Teufelskram nicht die Bohne!“
„Er sieht ganz jämmerlich aus!“
„Wir wissen ganz genau, dass das bewusste Dokument, um das sich alles dreht, sich eine Stunde vor dem Eintreffen der Polizei noch im Hause Lassbach befand. . .“
„Auch kein Aschenrest im Ofen?“
„Auch nicht, du Schlaumeier! Es war der übliche Mittwochempfang der Gräfin. Einer der vielen heimlichen Rebellen, die in dieser entscheidenden Stunde im Hause Lassbach aus und ein gingen, muss es mitgenommen haben! . . . Wie? Alle ’rein und keiner ’raus? Erstens war es dazu zu spät. Und zweitens können wir unmöglich unter Mitgliedern der Berliner Gesellschaft, die da zum grössten Teil wahrscheinlich ganz ahnungslos vorfährt, eine Razzia veranstalten!“
„Du — das ist ’ne schöne Geschichte!“ sagte die Geheimrätin und warf wieder einen besorgten Blick auf den Neffen.
„Gott weiss, wer jetzt diesen niederträchtigsten Giftpfeil versteckt hält, der jemals gegen Bismarck abgeschossen werden sollte.“ Klemens von Möllinghoff sah wieder nach der Uhr. „Und gut versteckt hält! Denn mit Waisenknaben haben wir es da nicht zu tun! Der Betreffende rechnet sich jedenfalls selber an den Fingern aus, wieviel Jahre Gefängnis ihm blühen, wenn man bei ihm diese verwünschte kleine grüne Mappe . . . In einer grünen Mappe soll es gelegen haben . . . wurde uns vertraulich gesteckt. Für uns haben auch im Hause Lassbach die Wände Ohren . . .“
„Lutz . . . Du musst dich stärken!“ Etta goss dem Neffen ein paar Tropfen Arrak in den Tee. „Du gefällst mir gar nicht . . .“
„Vollkommen verdattert!“ pflichtete der Geheimrat bei. „Ein Mensch, der Bäume ausreissen könnte . . . . Na — morgen, mein Sohn, da . . .“
„Ach — quäle doch das Kind nicht, Klemens!“
Quäle nie ein Tier zum Scherz!“ Der Geheimrat lächelte grausam-gemütlich und stand auf. Etta kannte seine Art, mit den Menschen zu spielen wie ein alter Kater mit der Maus. „Ich muss wieder hinüber in die Weltgeschichte. Ja — Etta — an dem Fetzen Papier hängt ein Stück Weltgeschichte! Aber ich bin sehr dafür, dass nicht Tonio Lassbach sie macht, sondern unser Fürst!“
Der Geheimrat von Möllinghoff ging gemessenen Schrittes, die Aktenmappe unter dem Arm, auf dem weltkundigen Antlitz Wichtigkeit und Würde der Wilhelmstrasse. Alles Schmunzelnd-Ironische, Schlaue, Skeptische, Ehrgeizige war bei den Worten „unser Fürst“ von ihm abgefallen. Da wandelte ein Mann, der in einem Grösseren seinen Lebensinhalt gefunden hatte und andächtig zu