Jedem das Seine - Band I. Nataly von Eschstruth

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Jedem das Seine - Band I - Nataly von Eschstruth


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und Ehren oder einer traurigen Niederlage, über welcher die Fluten des Bosporus leise Totenklage rauschen, das muss ich abwarten!“

      „Marken, ist dies alles Ernst oder Scherz?“ —

      „Heiliger, bitterer Ernst!“

      „Willst du so unsinnig sein, etwa Liebeshändel in einem Harem zu suchen? Du ahnst nicht, welche Gefahren solch ein Abenteuer auch heute noch in dem modernen, zivilisierten Konstantinopel in sich schliesst!“

      Mortimer schaute mit offenem und ehrlichem Blick in das sehr ernste Gesicht des Freundes. Seine Augen leuchteten.

      „Ich werde niemals leichtsinnig oder gewissenlos ein solches suchen, bietet es sich mir aber, so gehe ich ihm auch nie und nimmermehr aus dem Wege!“ —

      „Und du glaubst, dass es auf alle Fälle ein Weib sein muss, welches dein Schicksal hier bestimmt?“

      „O durchaus nicht, obwohl es mir gewiss das sympathischste sein würde! Warum aber soll ich nicht vielleicht dem Sultan das Leben retten, mir seine vollste Huld und Liebe erwerben? Er adoptiert mich und macht mich zum Fürsten des goldenen Horns, welches ich sofort an die Mächte versilbern und von den Renten herrlich und in Freuden daheim leben würde!“ — Beide Herren lachten hell auf, Schlüchtern aber wiegte den Kopf und sprach: „Ich möchte dich um etwas bitten! Mache mich schon im voraus zum Adjutanten des Fürsten von Pera! Teils aus Neugierde, teils aus Amüsement und wirklicher Sorge um dich möchte ich mich an deine Sohlen heften!“

      „Topp! du bist ernannt, aber nur unter der Bedingung, dass du mir niemals der schönen Suleika gegenüber zum Rivalen wirst!“

      „Und warum nicht? Dies würde dem Abenteuer noch einen besonderen Reiz verleihen! Ich schiesse gut und dolche gut. — Also lang’ gequält wirst du nicht!“ —

      Sie reichten sich die Hände und lachten abermals, und dann sagte Mortimer leise: „Sieh nur! sieh da unten!“ — — Violette Schleier, mit Purpur und Schwefelgelb gemischt, wogten um See und Berge, die tausend Minaretts, Kuppeln, Kioske und schlanken Türmchen sprühten noch einmal grelle Funkenperlen, dann erlosch Blitz um Blitz, die glühenden Fensterscheiben erblassten, taubengraue Schatten sanken über die Farbenglut, und langsam, bleich wie eine riesige Silberschale, stieg der Mond hinter schwarzen Zypressen empor.

      III.

      Wie in einem wundersamen Rausch vergingen Mortimer die nächsten Tage.

      Schlüchtern hatte sich die Nachmittage von seinen geschäftlichen Verpflichtungen frei gemacht und übernahm mit viel Genuss und aufrichtiger Freude seine amüsante Rolle als Fremdenführer.

      Die schwärmerische Stimmung, welche den jungen Marken anfänglich beherrschte und ihn durchaus verändert erscheinen liess, war seinem ureigentlichen Naturell wieder gewichen, und dieses war eine sprudelnde Heiterkeit, frohe Laune und Lebenslust, welche felsenfest davon überzeugt war, dass das Schicksal — sollte es ihn tatsächlich hier in der Märchenwelt erwarten — nur das goldenste und rosigste sein könne, welches jemals einen Sterblichen zum glückseligen Mann gemacht hat.

      Ein strahlendes Lächeln auf dem hübschen, frischen Gesicht, wanderte er durch alle Strassen, Gassen und Winkelchen von Konstantinopel, und manch dunkelglühendes Augenpaar lugte hinter Gitter und Teppich dem blondlockigen Fremden nach, ja, ein paarmal schien es tatsächlich, als ob eine unternehmende Schöne gar leicht zu bewegen sein würde, ein galantes Abenteuer zu bestehen, durch die schwere, eisenbeschlagene Pforte zu schlüpfen und im Arm eines jungen Helden ihren alten Jzeddin oder Ali zu vergessen.

      Aber Marken schüttelte lachend den Kopf. Jenes Stückchen weisser Arm, die reizende kleine Hand, welche ihm gewinkt, oder das Augenpaar, welches ihm durch die schmale Spalte des goldgewirkten Schleiers voll flammender Jugendglut wie eine geheime Werbung entgegenblitzte, war nicht sein Verhängnis.

      „Ich werde es fraglos fühlen und empfinden, wenn meine Schicksalsstunde schlägt!“ sagte er lachend zu Freund Hans, „ich denke mir, die feinen Fäden, welche die Nornen spinnen, gleichen in gewisser Beziehung einer elektrischen Klingel. Berührt sie der Finger jenes geheimnisvollen Wesens, welches bestimmt ist, in unser Leben beglückend oder vernichtend einzugreifen und unserm Dasein den Inhalt zu verleihen, so meldet sich das in unserm Herzen ebenso, als ob ein ganzer Allarmapparat von Liebesglocken in Aktion träte! — Bis jetzt hat es noch keinmal in meinem Innersten angeklingelt, also hat das Verhängnis auch noch nicht um die erwartete Audienz gebeten!“ —

      Hans fand diesen Vergleich „einfach grandios!“ und bestärkte den Freund lebhaft, doch ja auf diese ominöse Visitenklingel zu warten. — Was es an Sehenswürdigkeiten in Konstantinopel gab, ward besichtigt; als Schlüchtern den jungen Offizier aber eines Abends in den Alcazar d’Amérique führte, griff derselbe ganz entrüstet nach dem Hut und erklärte: „Nein! alte, abgetakelte französische Chansonetten kann ich mir überall im Abendland auf die Nerven gehen lassen! Am Goldenen Horn aber will ich orientalische Romantik hören und sehen! Komm, es ist schade um jede Minute, welche wir hier vergeuden!“

      „Gut, versuchen wir, ob wir noch einen Akt im türkischen Theater mitnehmen können, — es gibt in diesen Tagen seine letzten Vorstellungen und wird dann von dem Karagöz, einem sehr absonderlichen Puppenspiel, abgelöst, bei welchem sich der Osmane noch ebenso brillant amüsiert wie bei uns die Klippschüler! — Vielleicht amüsiert es dich auch, einmal arabische Tänzerinnen zu sehen; mein Geschmack sind sie nicht, die kleinen, dunkelfarbigen Hundevisagen können mich nicht begeistern, da ich sie zu hässlich finde! Aber der Geschmack ist ja verschieden, und wer weiss, am Ende ist es gerade das kaffeebraune Fingerchen solcher Fatime, welches die elektrische Klingel Sturm läuten lässt!“

      „Wer weiss!“ zuckte Mortimer die Achseln, „der Anblick der vielen Goldstücke, welche solcher Schönen um Kopf, Hals und Ohren klimpern, hat für einen armen Leutnant etwas Faszinierendes!“

      „Also avanti! Der Würfel möge rollen!“

      Es war schon eine vorgerückte Stunde, und die Strassen lagen dunkel, still und ziemlich öde vor den Freunden.

      Der Moslim liebt es, sich zeitig zur Ruhe zu begeben; er löscht die Lichter und verriegelt das Haus, — die Aussenwelt ist tot für ihn.

      Weil aber die Nacht in dem geheimnisvollen alten Byzanz so still und dunkel ist, so sind die Geräusche, welche sie charakterisieren, desto auffälliger und unvergesslicher. Der grosse, wundervoll leuchtende Mond steht am Himmel und übergiesst Dächer, Kuppeln und Türme mit zauberischem Geisterlicht. — Wo sein Strahl nicht hintrifft, lagern die blauschwarzen Schatten desto tiefer.

      Droben auf einem glatten Dach regt sich etwas.

      Eine seltsame Gestalt, in weisse Tücher gehüllt, schreitet langsam wie ein Nachtwandler daher, das Angesicht gegen Osten gekehrt, die Arme wie in heissem, sehnendem Flehen zum Himmel emporgereckt.

      Leise, wie in tiefer Klage, beinah’ weinerlich, klingt das monotone Gebet: — Allah illah Allah, ve Mohammed ressul Allah! —

      Von fern her klingt der Ruf der Bekdschis, das Geheul der vielen herrenlosen Hunde, welche zu ganzen Rudeln die Strassen durchstreifen und voll zitternder Gier die Kothaufen durchwühlen.

      Ganz vereinzelt hallt wohl aus einem Garten oder Kiosk das Gerassel der Schellentrommel oder ein Tamburin, welches ein altes asiatisches Lied begleitet, — ein Türke hat Gäste bei sich gesehen, und dieser schläfrige Gesang deutet das nahende Ende der Feier an.

      Ein paar vermummte Gestalten schreiten vorüber, — die Equipage eines reichen Europäers rasselt misstönend über das Pflaster, und von dem Ankerplatz der Schiffe schrillt eine Signalpfeife herüber.

      Dann ist alles wieder still, die Luft weht schwül wie aus einem Backofen von Stambul herüber, — die Myrtengebüsche duften betäubend stark, und der Himmel wölbt sich so klar und blau, so sternenbesät zu Häupten, als ob nie und nimmer eine Wolke emporsteigen könnte, den ersehnten, staublöschenden Regen zu bringen.

      Aus den Türen des Theaters weht eine furchtbare Luft.

      Lärm und Geschrei


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