Geschichten vom Pferdehof. Lise Gast
Читать онлайн книгу.wütend widersprechen, sah jedoch die lachenden Gesichter ihrer Brüder und machte eine resignierende Handbewegung.
„Aber es war anders“, beharrte sie.
„Gott sei Dank. Wenn es sich immer in der gleichen Art wiederholte, wäre es ja stinklangweilig“, sagte Bertram behaglich. „Die ewigen Variationen über das Thema Liebe sind es doch, die das Leben reich machen. Möchtest du eine einzige Erinnerung von damals, als du dich mit deinem Mann hinterm Strohfeim trafst, missen? Na also.“
Ulrich Thorwald erwies sich als netter, angenehm bescheidener junger Mann. Er saß bei Tisch zwischen Pölze und Frau Kayser, Kornelia gegenüber, und ließ sich freundlich ins Gespräch ziehen. Ja, er studierte, dieses Wintersemester wahrscheinlich in Bonn, ja, er habe bisher – „Bisher?“ dachte Pölze – bei seinem Freund gewohnt, der „Klein-Island“ führte. Ja, er stünde ziemlich dicht vor dem Examen. Nein, die Reiterei habe er nur als Ferienhobby betrieben, es sei ja schließlich kein Beruf für einen ausgewachsenen Mann, Kinder, Jugendliche und dickbebauchte Alte auf Isländer zu heben oder ihre Zimmer aufzuräumen. Sein Freund habe sich jetzt eine weibliche Hilfskraft zugelegt, und so hätten sie sich getrennt.
Kornelia bekam Tütenohren, die jedes Wort aufzufangen sich bemühten, während sie mit artig gesenkten Augen ihre Suppe löffelte. Pölze fragte weiter, dies und das, sie fand es praktisch, daß Frau Kayser gleich mithörte. Später saßen sie am Kamin, und Bertram hatte die Ziehharmonika geholt. Er war der einzige der Geschwister, der ein wenig von der Muse der Musik geküßt war; sie horchten ihm alle gern zu, und wenn er ein bekanntes Lied spielte, wurde auch mitgesungen. Man trennte sich nicht allzu spät, Landbewohner sind keine Nachtunken. Frau Kayser nahm Thorwald im Auto mit bis zum Gasthof. Er fragte noch zuletzt, einige Hemmungen rackartig überwindend, ob Kornelia morgen nach der Schule ein wenig mit ihm reiten dürfe. Natürlich, gern. Danke, danke. Dann also – gute Nacht. Mutter und Tochter fuhren weiter, beide schweigend. Nach einer Weile fand Frau Kayser dieses Schweigen gar zu beredt.
„Ein netter Kerl, dieser Thorwald“, sagte sie, um Kornelia eine Freude zu machen, „nett und gescheit.“
„Ja“, antwortete Kornelia. Das war nicht eben viel.
„Und sein Pferd?“ fragte Frau Kayser also. Jetzt wurde Kornelia gesprächig.
„Wallach, Rotschimmel, ziemlich massig. Bin ihn schon geritten. Achtjährig. Ich weiß nicht, ob er ihm gehört oder ihm und dem Freund zusammen. Als wir die beiden kennenlernten, machten sie noch gemeinsame Sache. Jetzt scheinen sie sich ja zerstritten zu haben. Die Unterkunft der lsländer dort gefiel mir übrigens gar nicht sehr ...“ Sie erzählte weiter. Viel von den Pferden, vom Reitersmann nichts.
„Nun, so hält man es wohl mit siebzehn Jahren“, dachte Frau Kaiser und versuchte, sich damit zu bescheiden. Aber daß die andern so über sie gelacht hatten, als sie Kornelias Verliebtheit sahen, fand sie auch jetzt noch empörend. Welche Sorge hatte eine Mutter heutzutage. „Na wartet, wenn es euch erst mit euren Kindern so geht!“
Aber zwei ihrer Brüder hatten ja noch keine, und Bertram und Pölze nur Söhne. Mit Söhnen ist es ganz anders, viel leichter – das heißt, wenn sie an Martin dachte ...
Mit diesen Überlegungen ging Frau Kayser zu Bett, überzeugt davon, nicht eine Minute schlafen zu können. Jedoch nach zwei Minuten bereits hatte das Sandmännchen – oder war es Morpheus persönlich – sie überwältigt. Sie war eine Landfrau, und deren Tag ist lang und anstrengend.
19
Am andern Morgen erschien Ulrich Thorwald gegen zehn Uhr wieder in Niederwerth, sah nach seinem Isländer, fütterte ihn mit Mohrrüben und striegelte ihn anschließend. Bertram hatte den jungen Mann gesehen und gesellte sich zu ihm. Sie schlenderten miteinander weiter.
Jetzt gab es nicht allzuviel Arbeit in der Landwirtschaft, man hatte Zeit. Bertram trug die Büchse am Riemen über der Schulter und das Glas um den Hals. Das war nichts Außergewöhnliches, zum Gut gehörte eine Jagd.
„Sie arbeiten mit Strafgefangenen?“ fragte Thorwald schließlich, als sie eine Weile geschwiegen hatten. „Kornelia erzählte mir davon.“
„Ja. Man bekommt keine Feldarbeiter mehr. Das, was man früher Tagelöhner nannte. Einiges von der Arbeit, die sie leisteten, kann man mit Maschinen machen, aber nicht alles. Deshalb.“ Bertram schwieg abwartend.
„Ist das nicht – ich meine, es kann recht gefährlich sein, oder? Im September, als ich Ihre Frau und Kornelia kennenlernte, war gerade einer bei Ihnen entflohen, erzählte sie mir.“
„Haben Sie es gelesen?“ fragte Bertram nun geradezu. Thorwald sah ihn an.
„Ja.“
„Es ist derselbe“, sagte Bertram mit einem Entschluß. Er hatte noch mit keinem Menschen davon gesprochen. „Der, der damals hier dem Fachmann durchbrannte, ist jetzt aus der Strafanstalt ausgebrochen. Wie, das ahne ich nicht. Vorgestern stand es in der Zeitung. Ich hoffe, meine Familie hat es, durch die Reise der beiden und Ihre Ankunft und das Durcheinander, das gestern herrschte, nicht gelesen. Ich möchte Sie auch bitten, Herr Thorwald, nicht darüber zu sprechen.“
„Wäre es nicht besser, sie wüßten es?“ fragte der andere vorsichtig.
Bertram zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht. Es kann so und so richtig oder verkehrt sein. Meine Überlegung ist die: Die Frauen kommen jetzt nicht viel ins Freie, sind also nicht unbedingt gefährdet. Mit dem Hofmeister habe ich gesprochen. Vielleicht wird er bald erwischt, und ich kann es hinterher erzählen. Ich möchte meine Frau jetzt nicht unnötig belasten ...“
Sie gingen nebeneinanderher, langsam, beide in Gedanken.
„Haben Sie deshalb ..., sind Sie deshalb bewaffnet?“ fragte der Jüngere ein wenig scheu nach langem Schweigen. Bertram lächelte verhalten.
„Man kann es so nennen. Natürlich nicht nach außen hin, nach außen lauere ich auf Rebhühner oder Enten. Es fällt deshalb nicht auf. Aber auch sonst ... Ich habe damals, als wir ihn festnahmen, keine Waffe gehabt. Er hatte eine. Diesmal hat er, soviel ich aus der Zeitung entnahm, keine. Nun, warten wir ab.“
„Meinen Sie, er ... ich meine, ob er hier in der Nähe ist?“ fragte Thorwald. Bertram hob wieder die Schultern.
„Wer kann das wissen? Vielleicht ist er schon in Hamburg, vielleicht sitzt er im Keller eines Hauses dicht neben der Strafanstalt. Er hat mich damals, als ich ihn stellte, beschworen, ihn laufenzulassen. Beschworen und dann bedroht. Nun, das Drohen gab den Ausschlag, damit hatte er bei mir verspielt. Durch Bitten hätte ich mich vielleicht erweichen lassen. So: Einmal straffällig geworden, nie wieder, an die eigenen Kinder denken, denen ähnliches passieren kann, und so weiter. Aber als er drohte, merkte ich, wes Geistes Kind er war. Und da gab es keine Gnade bei mir.“
„Sie sollten vorsichtig sein, Herr Werth“, sagte Thorwald leise. „Wenn er Sie bedroht hat ...“
„Wie – vorsichtig?“
„Nicht allein hier umhergehen, nicht ...“ Er brach ab, Bertram lachte.
„Ich bin ja bewaffnet, wie Sie es nennen.“
„Ja, aber ...“ Der Jüngere schwieg etwas verzagt.
„Was würden Sie denn tun, Herr Thorwald, wenn Ihnen etwas Ähnliches passierte? Sich hinter dem Ofen verkriechen? Na, sehen Sie.“
Thorwald lachte ein wenig geniert. Sie gingen weiter.
20
Am Nachmittag ritt Kornelia mit Ulrich Thorwald zu Habermanns hinüber. Sie wollte ihm dort die Isländer zeigen. Bertram hatte sie aussuchen lassen, wen sie reiten wollte, und sie hatte Jörp gewählt, Jörp war noch immer einer der schnellsten Isländer der Herde. Es war eine Lust, über die Stoppelfelder zu galoppieren, mit einem Partner, dem es genausoviel Spaß machte wie einem selbst.
„Herrlich,