Geschichten vom Pferdehof. Lise Gast
Читать онлайн книгу.aufs Pferd, deshalb haben wir hier geübt“, erklärte Penny in rasender Eile. Sie spricht ja immer so, daß man denkt, ihre Worte überkugeln sich. „Aber jetzt muß Rupert es auch versuchen, paßt auf, er schafft es nicht!“
„Ich? Ich schaff’ alles!“ sagte Rupert großspurig und lehnte sich behaglich an den Stamm des Baumes, unter dem wir saßen. „Aber jetzt will ich erst mal der Paris sein, der zwischen drei schönen Frauen wählen darf.“
Ich habe zu Hause ein Buch, das „Die Sagen des klassischen Altertums“ heißt, und da wußte ich gleich, was er meinte. Da streiten sich Hera, Aphrodite und Athene darum, wer die Schönste wäre, und Paris, ein Schafhirt, soll es entscheiden und der Schönsten einen Apfel reichen. Dafür sollte er die schönste Frau der Welt bekommen, das war die schöne Helena, und daraus wurde dann der Trojanische Krieg.
„Ein Schafhirt bin ich heute sowieso, ich hab’ nämlich die Schafe einfangen müssen, die waren wieder mal sonstwo, und wer nicht da war und mir suchen half, das waren Musch und Penny“, sagte er strafend. Ich hatte sofort ein schlechtes Gewissen, aber Penny schrie: „Alles Lüge! Ist nicht wahr! Die Schafe sind heute im Stall, Onkel hat mir extra aufgetragen, daß ich sie heute früh nicht herauslassen sollte. Sie bekommen eine Spritze vom Tierarzt, hat er gesagt, gegen Würmer oder so, aber drin bleiben sollten sie.“
Rupert machte ein dummes Gesicht, und wir anderen lachten schadenfroh. Aber den Paris wollte er trotzdem spielen, er guckte zu dem Apfelbaum hinauf und suchte den schönsten Apfel aus, den er erspähen konnte, und fing an mit Stöckchen und Steinen danach zu werfen. Es ist ziemlich schwer, einen Apfel am Baum zu treffen, und unsere Hunde Bella und Boss, die mit ihm gekommen waren, mißverstanden es, wenn er warf, und dachten, sie sollten die Stöcke oder Steine apportieren. Schließlich gab es Rupert auf und begann, am Baum hochzuklettern. Die unterste Strecke war schwer, nur der dicke, rissige Stamm, aber als er die erste Astgabel erreicht hatte, hatte er gewonnen. Und nun kletterte er immer höher, bis er den schönen Apfel erreicht hatte, um den es ihm ging.
Er pflückte ihn und steckte ihn in die Hosentasche, und dann kletterte er hinunter und sprang zuletzt ab.
„So, jetzt muß ich mir aber ganz genau überlegen, wer ihn kriegt“, sagte er und polierte ihn am Ärmel blank. Dann sah er uns nacheinander an, Irene am längsten. Sie wurde ganz rot.
„Irene ist wunderschön, aber sie hat mich noch nicht auf ihrem Pferd reiten lassen“, sagte er, „und das kann ich ihr nicht verzeihen. Penny ist auch wunderschön, nur kämmt sie sich zu oft. Immer ist sie gestriegelt und geschniegelt ...“ Das Gegenteil war natürlich der Fall. Penny hat die zottligsten Haare, die ich je bei einem Mädchen gesehen habe, und auch als man sie ihr im Krankenhaus mal abschnitt, wuchsen sie wieder zottlig nach. Heute sah sie nach dem Toben mit dem Pferd überhaupt aus wie ein schwarzer Wollknäuel, um den sich zwei junge Katzen gebalgt hatten.
„Und Musch? Musch ist wunderschön, nur leider viel zu dick“, sagte Rupert und machte ein Gesicht, als wäre er sehr traurig. „Ein Fettwanst sozusagen“, und dabei hatte meine Mutter mich diesen letzen Sommer hindurch geradezu gemästet, weil ich kein Gramm zunahm, sondern immer magerer wurde. Sogar mit Lebertran hat sie es versucht, und den kriegt man doch sonst nur im Winter.
„Wem soll ich nun den Apfel geben?“
„Mir!“ riefen wir alle drei. Und streckten die Hände danach aus, und Rupert tat schnell den Apfel hinter den Rücken und trat einen Schritt zurück, damit wir ihn nicht umschubsten. Gleich darauf schrie er laut. Der Manderl war unbemerkt von hinten an ihn herangekommen und hatte ihm den Apfel aus der Hand genommen. Knirsch, knirsch – hörte man, und aus Manderls Maul troff der Saft. Da machte Rupert ein noch dümmeres Gesicht als ich vorhin, nachdem ich vom Pferd gefallen war.
„Nun helft ihr mir noch, die Kühe herauszubringen“, bat Irene, als wir uns einigermaßen wieder beruhigt hatten. „Der Manderl kommt jetzt in den Stall und die Kühe heraus.“
„Machen wir. Stellt euch vor, was mir neulich mit einer Kuh passiert ist“, sagte Rupert. „Es war auf der Fahrt, auf der ich dann Musch abholte. Ich wollte es euch schon lange erzählen, aber bei euch kommt man ja nicht zu Worte. Also ich fuhr, sehnsüchtig nach Musch, nach der mein Herz ja immer schreit, und da stand ein Bäuerlein an der Straße mit einer Kuh am Strick, und der Mann winkte mir, ich sollte anhalten. Na ja, früher hab’ ich auch gewinkt und mich mitnehmen lassen, als ich noch keinen Wagen hatte, und da wäre ich mir schäbig vorgekommen, vorbeizufahren. Aber mit einer Kuh ...
‚Darf ich mitfahren?‘ fragte der Bauer höflich.
‚Gern. Aber was wird aus Ihrer Kuh?‘
‚Die binden wir hinten an. Die kann gut laufen‘, sagte er.
Ich konnte nur den Kopf schütteln. Der Bauer aber war schon hinten am Wagen, band den Strick, der der Kuh um den Hals ging, an die Stoßstange und stieg ein.
‚Kann losgehen‘, sagte er.
Na schön, wenn er meinte? Ich fuhr an, langsam, vorsichtig im ersten Gang. ‚Schneller!‘ sagte mein Mitfahrer und entzündete gemächlich sein Pfeifchen, das zum Himmel stank. Ich nahm den zweiten Gang, fuhr so ungefähr zwanzig. ‚Können Sie nicht schneller? So ungefähr zwanzig‘, fragte der Mann neben mir.
‚Natürlich kann ich‘, sagte ich, schaltete und gab Gas. Der Bauer rauchte, die Kuh rannte. Mir war nicht wohl dabei.
‚Ich hab’ es eilig‘, sagte mein Mitfahrer schließlich. Ich ging auf sechzig. Im Rückspiegel sah ich die Kuh.
‚Hören Sie mal, jetzt quellen ihr schon die Augen aus dem Kopf‘, sagte ich, entschlossen anzuhalten. Ich bin ja nun wirklich kein Tierquäler.
‚Lassen Sie nur. Die setzt nur zum Überholen an‘, sagte das Bäuerlein neben mir gemütlich.“
„Rupert, das ist nicht wahr! Das ist gelogen!“ schrien wir alle drei und fielen über ihn her.
Er rollte sich davon durchs Gras, hielt die Arme vors Gesicht und wimmerte um Gnade.
„Nein, nein, es ist nicht wahr. Es war ...“
„Na?“ fragten wir gespannt, im Prügeln innehaltend.
„Es war ein Ochse ...“
„So. Zur Strafe bist du in einen Kuhfladen gerollt“, sagte Penny befriedigt, „du siehst von hinten aus, als hättest du dich im Spinat gewälzt. Das ist die Strafe Gottes.“
Wir fingen den Manderl ein und holten dann die Rinder. Dabei erzählte Irene: „Vielleicht glaubt ihr mir jetzt auch nicht, aber was ich erzähle, ist wahr. Jedenfalls hab’ ich es in einer Illustrierten gelesen und Fotos davon gesehen. Da haben zwei Bauernmädel, Schwestern, eine siebzehn, die andere zehn, sich zwei Jungrinder zum Reiten dressiert. Wirklich und wahrhaftig, irgendwo in Bayern. Haben sie aufgezäumt, ohne Gebiß allerdings, aber mit Zügel und Nasenriemen, Sättel zurechtgemacht – auf einer Kuh kann man ohne Sattel nicht gut sitzen, auf Eseln ja, das wundert mich immer wieder, denn Esel haben ganz ähnliche Rücken wie Kühe – und sind in den dortigen Reitverein gegangen. Sind mitgeritten, in der Halle, auf dem Platz, nur nicht im Turnier. Sogar gesprungen sind sie, bis zu einem Meter. Ist das nicht toll?“
Wenn Rupert das erzählt hätte, hätten wir es sicherlich nicht geglaubt. Irene aber glaubten wir, so unwahrscheinlich es klang.
„Ich such’ euch die Bilder und den Artikel heraus, ich hab’ mir beides aufgehoben“, versprach sie, als wir uns von ihr verabschiedeten.
„Dürfen wir morgen wieder kommen?“ bettelten wir noch. Irene nickte und winkte uns nach. Wir mußten uns sputen, denn es war ratsam, zum Abendbrot pünktlich zu sein, sonst durften wir womöglich abends nicht in den Zirkus. Und das wollten wir doch auf jeden Fall.
Immer habe ich Herzklopfen, wenn ich auf einen Zirkus zugehe oder auf einen Rummel oder ins Theater, wenn der Gong schlägt und der Vorhang sich bewegt. Immer macht es „Bumm-bumm“ da drin, ein gleichzeitig beklemmendes und herrliches Gefühl. Und immer möchte ich die Zeit anhalten, damit es recht lange dauert, bis es vorbei ist. So auch diesmal.
Das