Geschichten vom Pferdehof. Lise Gast

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Geschichten vom Pferdehof - Lise Gast


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Bei Rupert bedankten wir uns immer wieder, mit ihm zusammen ist alles immer schöner, er ist wirklich wie ein ganz, ganz guter großer Bruder. Ich sagte das, und da wurde er ein bißchen ernst.

      „Ja, Bruder“, sagte er und faßte uns fester in den Arm, uns alle beide, „ich hatte auch mal eine Schwester.“

      Hatte? Wir schwiegen beide, man kann doch nicht fragen: Ist sie tot? Dann aber fuhr er von selbst fort.

      „Ja. Sie vertrug sich mit meinen Eltern nicht gut, und eines Tages ging sie einfach weg. Später haben wir dann gehört, daß sie geheiratet hat, nach Amerika – durch Bekannte erfuhren wir es. Aber heimgekommen ist sie noch nicht wieder. Ich hab’ mir vorgenommen, sobald ich genug Geld zusammengespart habe, fliege ich in die Staaten und suche sie. Ich weiß ja, wie traurig meine Eltern darüber sind. Deshalb arbeite ich ja auch in den Ferien und verdiene mir Geld. Onkel Albrecht bezahlt mich gut. Und die Tage, an denen ihr nicht hier seid, werde ich tüchtig ausnutzen.“

      Auch in Ruperts Leben, der doch so gern lachte, gab es also Trauriges. Ich hätte ihn so gern getröstet, aber wie?

      „Du findest sie bestimmt“, sagte ich schnell, und er nickte mir zu. Dann aber fragte er, ob wir nicht Bella und Boss beibringen wollten, auf zwei Beinen zu laufen und den Hut im Maul zu tragen. Dann könnten wir doch bei jedem Besucher, der zu Tante und Onkel kommt, Geld sammeln und für den Zirkus geben. Ob das nicht eine gute Idee wäre.

      Penny meinte etwas nachdenklich, so schnell lernten Hunde das vielleicht nicht, denn der Zirkus ziehe ja bald schon weiter. Aber da machte Rupert ein geheimnisvolles Gesicht und sagte: „Vielleicht doch nicht so bald ...“

      „Sag, wieso!“ drängelten wir und hatten im Augenblick vergessen, was er von seiner Schwester gesagt hatte. Dann rückte er damit heraus, daß der Zirkus vielleicht – vielleicht! –, wenn der Bürgermeister nichts dagegen hatte, sein Winterquartier hier in Hohenstaufen aufschlagen würde, denn im Winter zögen die Zirkusse nicht herum. Wir waren begeistert.

      „Den ganzen Winter?“ fragten wir, und er tat ganz entsetzt und meinte, nun habe er doch verraten, was er uns nicht sagen sollte, und wir sollten es uns ja nicht fest einbilden oder gar herumreden ...

      „Aber ‚hoffentlich‘ dürfen wir doch denken?“ sagte Penny abschließend, als wir am Haus angekommen waren. Das dürften wir, meinte Rupert. „‚Hoffentlich‘ darf man immer denken“, sagte er, und ich merkte, daß er damit nicht nur den Zirkus meinte. Aber ich sagte nichts, ich gab ihm nur ganz, ganz fix einen Kuß auf die Backe; das hatte ich bis dahin noch nie getan. Und dann bin ich die Treppe hinaufgelaufen und hab’ nur „Gut’ Nacht!“ zurückgerufen, und erst oben fiel mir ein, daß wir ja jetzt in der Werkstatt wohnen. Da bin ich umgekehrt und wieder hinuntergegangen, und die beiden haben mich schrecklich ausgelacht, ob ich etwa Onkel Albrecht oder Tante Trullala aus dem Bett gescheucht hätte – aber ich hatte es schon im Flur gemerkt. Es war wirklich ein aufregender Tag gewesen, wir fielen wie die Steine ins Bett. Und vielleicht würden wir morgen wieder ...

      Mit diesem Gedanken müssen wir eingeschlafen sein alle beide, denn ich erinnere mich an nichts mehr, was wir gesprochen haben, und Penny ging es genauso.

      Meist folgen auf aufregende Tage langweilige, so jedenfalls hab’ ich es oft erlebt. Aber auch der nächste Tag fing gleich mit etwas Aufregendem an: Tante Trullala kam an unser Bett und sagte, sie habe eine große Bitte an uns. Ob wir ihr einen Gefallen tun wollten.

      „Natürlich, was denn?“ fragten wir und dachten an Beete umgraben oder Komposterde ausbuddeln oder so was, was man ja nicht so gerne tut, aber es war etwas ganz anderes. In einer kleinen Stadt im Remstal, vielleicht zwölf Kilometer von Hohenstaufen entfernt, gäbe es eine sehr nette Forstmeistersehefrau, die hatte Tante Trullala eben angerufen. Sie hätte eine Bitte.

      „Was will sie denn?“ fragten wir neugierig. Tante Trullala setzte sich auf die untere Bettkante und fing an zu erzählen.

      „Diese Frau Forstmeister Engel hatte schon mehrmals Rehkitze aufgezogen, überhaupt allerlei Getier, das die Leute ihr brachten. Einmal ein Eichhörnchen, einmal sogar zwei Wildschweine, Frischlinge nennt man die in der Jägersprache, und fünf Rehkitze. Immer wieder werden Rehkitze von unvernünftigen Leuten angefaßt und mitgenommen, obwohl überall und überall Schilder stehen: ‚Hände weg vom Jungwild‘. In der Zeitung wird davor gewarnt und in der Schule auch. Hat man sie auch nur angefaßt oder gestreichelt, so nehmen die Mütter sie nicht mehr an. Und dann verhungern sie, oder der Fuchs holt sie. Es gibt auch immer wieder Kitze, die angemäht werden, früher von Sensen, jetzt von Mähdreschern. Sie verlieren einen Lauf und müssen elend umkommen. Wenn man diese Tiere mitnimmt, ist es natürlich etwas anderes. Das Rehkitz, das sie diesmal im Haus haben, ist gesund, nur ...“

      Und jetzt kam es. Frau Engel und ihr Mann und die große Tochter waren zu einer Taufe eingeladen, und nun suchten sie jemanden, der sich während der zwei Tage, die sie weg waren, um das Rehkitz kümmerte. Auch um die Hunde, aber die könnte man notfalls immernoch Bekannten anvertrauen. Sie wüßte jedoch niemanden, der für zwei Tage ins Haus käme und das Reh versorgte. Ob Tante Trullala nicht ... Na, da brauchte sie nicht weiterzusprechen!

      „Dürfen wir?“ riefen wir beide wie aus einem Mund, und Tante Trullala nickte und sagte, sie habe der Forstmeisterin gleich zugesagt. Heute schon? Heute schon! Herrlich, wir sprangen aus den Betten.

      Während wir uns duschten und abtrockneten, fragten wir der Tante wahre Löcher in den Bauch. Wie alt das Kitz sei, und was es bekäme, und wie es hieße, und ob es ein Böckchen wäre oder eine kleine Ricke. Und Tante Trullala versuchte, alles zu beantworten, aber vieles wußte sie selber nicht. Sie lief dann schnell ans Telefon und sagte der Forstmeisterin zu, daß wir kämen, Rupert würde uns hinfahren.

      Wunderbar! Im Augenblick war sogar der Zirkus vergessen.

      Beim Frühstück aber dachten wir wieder an ihn. Rupert sagte, er bliebe bestimmt noch ein paar Tage, auch wenn er nicht hier ins Winterquartier ginge. Da waren wir beruhigt. Nur zwei Tage sollten wir die Forstmeisterei hüten, dann kamen wir wieder.

      „Wir freuen uns schon aufs Wiederkommen“, versicherten wir Tante Trullala, „aber jetzt freuen wir uns erst mal auf das Reh.“

      Rupert machte ein sehr nachdenkliches Gesicht. Wir beide allein mit dem Reh in einem fremden Haus – das könnte nie gutgehen. Da müßte er eigentlich auch mit, aber er hätte gerade für heute Onkel Albrecht versprochen, ihm etwas in der Werkstatt zu helfen, einen Ofen umzubauen oder so etwas, was man nicht aufschieben konnte. Er würde uns zwar hinfahren, aber bleiben könnte er nicht. Und die Hunde sollten wir auch nicht mitbringen, das sahen wir ein. Wenn man ein Reh betreut, kann man keine fremden Hunde brauchen.

      Wir waren über beides ein bißchen enttäuscht. Die Hunde würden sicher traurig sein, wenn sie hierbleiben mußten. Und daß Rupert nicht dabeisein konnte, tat uns auch leid. Mit ihm zusammen wird immer alles so lustig. Trotzdem freuten wir uns auf das Reh, Rupert mußte uns fest versprechen, daß er noch dasein würde, wenn wir wiederkämen. Das tat er auch.

      „Der hält, was er verspricht“, sagte Penny fest überzeugt, „du siehst ja, daß er Onkel hilft, wo er doch so gern mitkäme!“

      Wir packten in Eile, was wir für zwei Tage brauchten, trösteten Bella und Boss noch ausführlich und verabschiedeten uns dann von Tante Trullala mit tausend Versprechungen, ja ordentlich und vernünftig zu sein und höflich und unsere Betten zu machen – was Erwachsene einem jedesmal in die Ohren blasen, obwohl man es schon auswendig kann. Dann stiegen wir höchst vergnügt ins Auto, und Rupert fuhr los.

      Wenn man aus Hohenstaufen herauskommt, geht es rechts über den Asrücken zum Rechberg hinüber, geradeaus aber hinunter in das Dorf, in dem Penny einmal ein Krokodil gefüttert hat und dann ins Krankenhaus kam, weil es sie in den Arm biß. Die Straße macht, ehe man in dieses Dorf kommt, große Serpentinen, also riesige Schlangenlinien, weil es ziemlich steil bergab geht. Früher führte ein Weg hinunter, ganz steil, und dort, wo der von der Autostraße abgeht, hielt Rupert.

      „So, hier könnt ihr aussteigen und direkt hinunterlaufen, ich lass’ den Wagen im Leerlauf rollen, mal sehen, wer eher unten ist.“

      Das


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