Näher als du denkst - Ein Schweden-Krimi. Mari Jungstedt

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Näher als du denkst - Ein Schweden-Krimi - Mari  Jungstedt


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etwas über einen möglichen Mord in Gråbo gelesen. Stimmt das?«

      »Wir wissen noch nicht sehr viel.«

      »Was ist denn passiert?«

      Kurzes Schweigen. Johan konnte sich vorstellen, wie Knutas sich im Schreibtischsessel zurücksinken ließ und seine Pfeife stopfte. Sie hatten viel miteinander zu tun gehabt, als Johan von Gotland aus über die Morde berichtet hatte und dann selbst in die Ermittlungen verwickelt worden war.

      »Gestern Abend ist in einem Keller in der Jungmansgatan in Gråbo ein Mann tot aufgefunden worden.«

      »Wie alt war er?«

      »Geboren ’43.«

      »Der Polizei bekannt?«

      »Ja, aber nicht, weil er irgendwelche nennenswerten Verbrechen begangen hätte, sondern weil er ein ziemlich heruntergekommener Trinker war. Er lungerte mit seinen Kumpels in der Stadt herum. Also, du kennst die Sorte.«

      »War es ein Streit im Suff?«

      »Sieht so aus.«

      »Wann ist er umgebracht worden?«

      »Sein Körper lag einige Tage unentdeckt im Keller. Es kann sich um ungefähr eine Woche handeln.«

      »Wieso hat es so lange gedauert, bis er gefunden wurde?«

      »Er lag in einem verschlossenen Raum.«

      »Einem Kellerverschlag?«

      »Könnte man so sagen.«

      »Wer hat ihn gefunden?«

      »Der Hausmeister.«

      »Hatte jemand ihn vermisst gemeldet?«

      »Nein, aber ein Freund von ihm hatte sich an den Hausmeister gewandt.«

      Knutas klang jetzt langsam ungeduldig.

      »Ach. Und wer war das?«

      »Du, das kann ich dir nicht sagen. Ich muss jetzt aufhören, du musst dich bis auf weiteres mit diesen Auskünften zufrieden geben.«

      »Na gut. Wann, glaubst du, kannst du mehr sagen?«

      »Absolut keine Ahnung. Bis dann.«

      Johan schaltete sein Handy aus und dachte, der Mord hört sich für die Regionalnachrichten nicht spektakulär genug an. Streiterei im Suff mit Todesfolge. Das reichte wirklich nur für eine Kurzmeldung.

      Die Stockholmer U-Bahn ist an einem Montagmorgen im November bestimmt einer der deprimierendsten Orte, an denen ein Mensch sich überhaupt aufhalten kann, dachte Johan, als er am Fenster lehnte und die schwarzen Tunnelwände eine Armeslänge entfernt vorüberhuschen sah.

      Der Wagen war voll besetzt mit graubleichen Menschen, die unter Sorgen und Alltag zusammenzusacken schienen. Kaum jemand sagte etwas, nur das übliche Rattern und Scheppern der U-Bahn war zu hören. Hier und dort hustete jemand, ab und zu raschelte eine Gratiszeitung. Die Leute schauten die Decke an, die Werbeplakate, den Boden, sie schauten aus dem Fenster oder auf einen undefinierbaren Punkt in der Ferne. Sie schauten alles an, nur einander nicht.

      Der Geruch feuchter Kleidung mischte sich mit dem von Parfüm, Schweiß und auf den Heizkörpern verbranntem Staub. Jacken drückten gegen Mäntel, Schals gegen Mützen, Körper gegen Körper, Schuhe gegen Schuhe, dies alles jedoch, ohne Nähe herzustellen.

      Wie können sich so viele Menschen an ein und demselben Ort aufhalten, ohne dass es zu hören ist, überlegte Johan. Das Ganze hatte einfach etwas Krankes.

      An solchen Tagen kam es häufig vor, dass er sich weit weg sehnte.

      Als er am Karlaplan aus der U-Bahn stieg, erschien ihm das fast wie eine Befreiung. Hier konnte er immerhin atmen. Die Menschen in seiner Umgebung marschierten wie die Zinnsoldaten zu Bussen, Arbeitsplätzen, Schulen, Geschäften, Krankenhäusern, Anwaltskanzleien oder was immer nun ihr Ziel sein mochte.

      Er selbst ging durch den bei der Gustav-Adolfs-Kirche gelegenen Park. Die Kinder im Kindergarten saßen trotz des kalten Windes auf den Schaukeln. Ihre Wangen leuchteten wie reife Äpfel.

      Der Sender ragte wie ein Koloss in den Novembernebel. Johan schaute düster auf das Standbild des legendären Rundfunkmannes Lennart Hyland, dann betrat er das Foyer.

      Oben in der Redaktion war der Bär los. Die landesweiten Morgennachrichten wurden gerade ausgestrahlt, und vor dem Fahrstuhl eilten Gäste, Moderatoren, Kosmetikerinnen, Reporter und Redakteure zwischen Studios, Toiletten und Frühstückstisch hin und her. Die Aussicht aus den vielen hohen Fenstern zeigte Gärdet in Grau, davor waren fröhliche Hunde aus der Hundepension in der Grev-Magnus-Gata zu sehen. Braun, schwarz und gefleckt rannten und spielten sie auf dem großen Platz, ohne sich darum zu kümmern, dass es ein öder Montag im November war.

      Zur Morgenbesprechung der Regionalnachrichten hatten sich fast alle eingefunden. Fotografen, ein früh aufgestandener Redigierer, Reporter, Planer und Redakteure waren zur Stelle. Nachdem sie das Für und Wider der Sendung des Vortags diskutiert hatten, ging der leitende Redakteur Max Grenfors die Reportageliste des Tages durch. Aber während der Besprechung konnte sie sich durchaus noch ändern. Irgendwer hatte noch eine neue Idee, andere protestierten so energisch gegen ein Thema, dass es im Papierkorb landete, oder die Diskussion nahm eine Wendung, die dafür sorgte, dass jegliche Planung über den Haufen geworfen wurde. Doch gerade so muss es in einer Nachrichtenredaktion zugehen, dachte Johan, der diese Besprechungen liebte.

      Er erzählte den anderen kurz, was er über den Mord auf Gotland wusste. Alle fanden, dass es wenig spektakulär klang. Johan wurde aufgetragen, sich ein Bild von der Lage zu machen, da er am nächsten Tag ohnehin nach Gotland musste, um über Streitigkeiten um einen von der Schließung bedrohten Campingplatz zu berichten.

      Die Redaktion der Regionalnachrichten arbeitete ständig unter Zeitdruck. Jeden Tag mussten sie eine zwanzig Minuten lange Sendung sozusagen aus dem Nichts aufbauen. Ein Beitrag von zwei Minuten verlangte normalerweise mehrere Stunden für die Aufnahmen und dann noch zwei zum Redigieren. Johan versuchte immer wieder, den Chefs klarzumachen, dass die Reporter mehr Zeit brauchten.

      Ihm gefielen die Veränderungen nicht, die eingetreten waren, seit er zehn Jahre zuvor als Fernsehreporter angefangen hatte. Dass die Reporter inzwischen kaum noch die Zeit hatten, ihr Material durchzusehen, ehe es zum Schneiden ging. Das hatte weitreichende Auswirkungen auf die Kreativität. Gute Bilder, in die der Kameramann sehr viel Arbeit investiert hatte, konnten verloren gehen, weil in der Eile niemand auf sie achtete. Nicht selten waren die Kameraleute enttäuscht, wenn sie den fertigen Beitrag sahen. Und wenn bereits am Umgang mit den Bildern gespart wurde, die doch die ganze Stärke des Fernsehens waren, dann war man auf einem schlechten Weg, und Johan weigerte sich, einen Text zu schreiben und zu redigieren, ehe er sein Material nicht in Ruhe gesichtet hatte.

      Natürlich gab es Ausnahmen. Wenn die Zeit wirklich drängte und man zwanzig Minuten vor Sendebeginn schneiden musste und trotzdem einen Beitrag zustande brachte.

      Die Unvorhersehbarkeit war das Schönste an der Arbeit in der Nachrichtenredaktion. Morgens wusste Johan nie, wie der Tag aussehen würde. Er arbeitete vor allem als Kriminalreporter, und die Kontakte, die er im Laufe der Jahre aufgebaut hatte, waren für die Redaktion von unschätzbarem Wert. Er war es auch, in dessen Ressort Gotland fiel, das seit mehr als einem Jahr im Verantwortungsbereich der Lokalnachrichten lag. Die roten Zahlen, in die das Schwedische Fernsehen gerutscht war, hatten der Redaktion auf Gotland den Garaus gemacht, und die Zuständigkeit für die Insel wurde von Norrköping nach Stockholm verlegt. Johan hatte Gotland, dem schon von Kindheit an seine Liebe gehörte, nur zu gern übernommen. Und mittlerweile war es nicht nur die Insel, die ihn so anzog.

      Pricken riss an der Leine. Dass er auch nie lernen kann, bei Fuß zu laufen, dachte Fanny wütend, aber sie brachte es nicht über sich, ihn auszuschimpfen. Die Straßen des Wohnviertels, durch das sie ging, waren leer. Ein dunkler Nebel hatte sich über Visby gesenkt, und der Asphalt funkelte in einem stillen Regen. Die mit Vorhängen geschmückten Fenster in den Wohnhäusern leuchteten einladend. Alles sah so ordentlich aus. Blumen auf den Fensterbänken, saubere Wagen


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