Die Hand der Fatme. Rudolf Stratz

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Die Hand der Fatme - Rudolf Stratz


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Atem: „Ich bin’s auch, Gaston!“

      „Ach wo!“ Der kleine Soldat im Bett schüttelte hartnäckig den Kopf und sprach mehr zu sich selbst als zu ihr: „Das bild’ ich mir nur ein ... weil ich zu schwach bin ... da seh’ ich dich ... und die Mama ... dich hab’ ich noch nie so gesehen ... aus der Nähe ... sonst immer nur fern ... in einem weissen Kleid am Fluss ... ich hab’ euch gar nicht schreiben wollen ... hast du denn meinen Brief gekriegt?“

      „Gewiss, Gaston, deswegen bin ich ja hier!“ Sie kniete neben seinem Bett auf den Backsteinboden und legte ihren Arm um seine hagere Schulter und lachte ihm herzhaft mit zuckenden Lippen ins Gesicht. „Erkennst du mich denn wirklich nicht, du Dummchen?“

      Und nun leuchtete das Verständnis in seinem ängstlich abwehrenden, bedrückten Antlitz auf. Das wurde strahlend klar vor überwältigendem Glück ... „O Gott ... Yvonne!“ schluchzte er hellauf, sich krampfhaft an sie klammernd wie ein Kind an die Mutter. Dann liefen ihm die Tränen über die eingesunkenen Backen. Er stiess in ersticktem Jubel hervor: „Yvonne ... Yvonne ... ach Gott ... Yvonne ... du gute Yvonne ... du Liebste, Bravste ... bist zu mir gekommen ... von so weit her ... bloss weil ich geschrieben hab’, wie krank ich bin ... du bist doch immer derselbe tapfere kleine Kerl ... du bist ein ganz anderer Kerl als ich. Er umhalste sie kraftlos und barg sich weinend und aufatmend an ihrer Brust: „Aber jetzt sterb’ ich auch nicht! Nein! Nein! wenn du nicht gekommen wärst, wär’ ich gestorben! Aber jetzt bleib’ ich am Leben!“

      „Ja — das tust du, Gaston!“ sagte sie bekräftigend und mitleidig und streichelte ihm sein ganz kurz geschorenes Stoppelhaar. Ihre Stimme schwankte und klang umflort. Die Rührung des Wiedersehens überwältigte auch sie — nur dass sie mannhafter sein wollte als ihr Bruder und es nicht verraten. Mit all der Willenskraft, die in ihr wohnte, nahm sie sich zusammen, und es gelang ihr auch. Da sah sie, immer noch vor dem Bett kniend, an dessen Rand einen dunklen Punkt ... ein totes Insekt ... und der junge Soldat, der ihren schreckensstarren Blick bemerkte, nickte kummervoll mit dem leidenden Köpfchen: „Ach Gott, ja, Yvonne, Wanzen gibt es hier viel!“

      Das war mehr, als Yvonne Roland ertragen konnte! Gegen das grosse Unglück hatte sie sich gewappnet gehabt. Aber dass ihr Bruder in einem Bett mit Wanzen liegen würde, das war zu furchtbar.

      Der bleiche kleine Kerl sah angstvoll in das gebräunte, jugendlich schöne Mädchengesicht über ihm, das in diesem Augenblick für ihn etwas von einer Madonna hatte, so liebevoll und mild schaute es, immer noch von dem weissen Schleier im Nacken umrahmt, auf ihn nieder. „Schickt dich die Mama?“ fragte er leise.

      „Nein, Gaston! Ich bin heimlich fort und hab’ einen Brief aus Marseille nach Hause geschrieben!“ Yvonne Roland kämpfte mit sich und sagte dann hastig, während ein ganz feines aufsteigendes Rot ihr für eine Sekunde die Wangen färbte: „... ich bin nämlich verlobt ... Gaston ... seit einem Vierteljahr ... und mein Bräutigam ... wir verstehen uns darin nicht ... er ist furchtbar schroff und streng in solchen Dingen — er würde es nie und nimmer dulden, dass ich solch eine abenteuerliche Reise unternähme. Ich bin bei Nacht und Nebel ausgerückt. Und von Tunis mit zwei Engländerinnen weiter, zu Schiff und mit der Bahn und auf dem Wagen, und jetzt allein die Nacht durch, na — und da bin ich ...“

      Sie lachte ihn an und schlug mit der flachen Hand auf das Bett. Er musste auch lachen. Dabei hatten die beiden Geschwister noch nasse Wimpern. Da ging die Türe auf. Der lange Sergeant, derselbe, der ihr vorhin den Eintritt verwehrt hatte, kam geschäftig herein, den Krankenrapportzettel und das Fieberthermometer in der Hand und rief: „Roland ... gleich kommt der Arzt!“

      Jetzt erst bemerkte er Yvonne und blieb stehen. „Um Gottes willen, Madame, Sie hier? Wie sind Sie denn hier hereingekommen?“

      „Ich bin über die Mauer geflogen, Monsieur!“ sagte sie sanftmütig.

      „Aber das ist verboten.“

      „Ja — das weiss ich!“

      „Ich meine, es ist verboten, sich hier bei den Kranken aufzuhalten! Sie müssen sofort weg! Wenn der Arzt Sie sieht ...“

      „Ach, er wird schon schrecklichere Dinge im Leben gesehen haben!“

      Der Sergeant musste lachen. „Das glaube ich selbst, Madame! Aber mich trifft die Schuld.“

      „Ich werde Sie entschuldigen.“

      „Gut, Madame! Ich muss Rapport erstatten!“ erklärte der lange Unteroffizier und ging. Dabei zuckte ein verstohlenes Lächeln unter seinem aufgestutzten Schnurrbärtchen.

      Ihr Bruder berührte sie am Arm. „Rasch Yvonne ... ehe die alle da ’reinkommen ... am Ende schickt dich der Doktor doch weg ... vielleicht sehen wir uns erst morgen wieder ... erzähle mir doch noch schnell von deinem Bräutigam ... du bist verlobt, sagst du ... wie ist denn das gekommen?“

      „Gott“, sagte Yvonne, den Kopf ein wenig abwendend, und ihr schmales, verfinstertes Gesicht zeigte nicht gerade das stille Glück einer Braut. „Er ist ein sehr stattlicher Mensch — überall in der Welt herumgekommen, hat sehr viel gesehen und erlebt — dadurch hat er mir imponiert — er ist auch gut fünfzehn Jahre älter als ich — schon nicht mehr sehr weit von den Vierzig — und ich, in meiner Ahnungslosigkeit, ich sag’ noch: ‚Sie haben’s gut, Hugo Wallot ... Sie sind überall auf der Erde zu Hause. Und unsereins — das steckt in solch einem Winkel und kann nicht heraus!‘ Da sah er mich so merkwürdig an — aber er hat nichts darauf erwidert! Aber ein paar Tage später — da machte er seinen Besuch. Mich hat er dabei eigentlich kaum angesehen ... aber trotzdem, wie er weg war — das Geschrei und Gelaufe von all den Tanten und Basen kannst du dir denken ... ‚Der kommt wieder!‘ trompeteten sie der armen Mama rechts und links ins Ohr! ‚Pass nur auf! Der hält um Yvonne an!‘ Und richtig — nach kaum vierzehn Tagen hat er’s getan!“

      „Und da hast du eben ‚Ja‘ gesagt, Yvonne?“

      „Zuerst wollt’ ich nicht!“

      „Und schliesslich hast du ihn doch genommen?“

      Yvonne Roland war aufgesprungen und schritt in dem Zimmer hin und her. „Ach, da haben sie mir in den Ohren gelegen, Gaston — die Persönlichkeit — das viele Geld — die Stellung — die Aussicht auf eine grosse Karriere ... rein verrückt und krank haben sie mich damit gemacht, und da hab’ ich denn eines schönen Tages erst ein Stündchen geweint und dann ‚Ja‘ gesagt ...“

      „Aber hör mal, Yvonne“, meinte der kleine Soldat im Bett nachdenklich. „Sosehr scheinst du ihn aber wirklich nicht zu lieben!“

      Yvonne Roland zuckte die Schultern. „Ich weiss nicht, Gaston! Später kam dann eine Zeit — da hatt’ ich ihn wirklich gern — da gewöhnte ich mich an ihn und fügte mich ihm — er ist ja auch soviel älter und klüger als ich — da kam dein Brief an mich. Dass er mir da verbieten wollte — das hat ihn mir wieder ganz fremd gemacht. Ich hab’ förmlich Furcht vor seiner Strenge gehabt und behalten.“

      Sie schaute vor sich hin. Ihr hübsches Gesicht war sehr ernst, fast traurig. Vom Hof her klangen Fusstritte und Männerstimmen durcheinander.

      „Das ist der Doktor!“ sagte Gaston Roland aufgeregt und ein wenig ängstlich. „Das wird schön! Am Ende versteckst du dich doch noch, Yvonne!“

      „Wo denn, um Gottes willen?“

      „Das Zimmer gegenüber, auf der anderen Seite vom Flur, das ist leer. Es ist für Frauen reserviert — wenn eine von den paar Europäerinnen in der Oase plötzlich krank werden sollte ...“

      „Ach — jetzt weiss ich schon, was ich tu’!“ sagte Yvonne Roland. Sie regte sich nicht von der Stelle, bis der Arzt eintrat, gefolgt von einem ganzen Schwarm weisse Schürzen tragender, eifriger, seine Anweisungen mit Bleistift notierender Lazarettgehilfen und Krankenwärter, unter ihnen der lange Sergeant, der seinen Vorgesetzten mit ein paar Flüsterworten auf den Eindringling aufmerksam machte.

      Er hatte dabei ein dienstlich ernstes Gesicht, aber es zwinkerte ihm doch merkwürdig in den Augen, und der Doktor, ein kleiner, dicker, strammer Herr mit schwarzem Knebelbärtchen


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