Die Hand der Fatme. Rudolf Stratz

Читать онлайн книгу.

Die Hand der Fatme - Rudolf Stratz


Скачать книгу
auf den Strengen hinauszuspielen.

      Er wischte sich seine kleine Hand an der Schürze ab und reichte sie dann Yvonne. „Ich gratuliere Ihnen, Madame! Diese Zitadelle, in der wir uns befinden, ist, wie Ihnen vielleicht bekannt, von dem byzantinischen Feldherrn Belisar erbaut. Sie hat seitdem unzähligen Feinden Widerstand geleistet. Sarazenen, Araber, Türken haben sie nicht zu bezwingen vermocht. Sie sind der erste Angreifer, der, noch dazu am hellen Morgen, über die Mauer gestiegen ist!“

      „Ja — der Sergeant kann nichts dafür!“ sagte Yvonne Roland schnell. Sie wollte dem gutmütigen, langen Burschen keine Ungelegenheiten bereiten.

      „Und darf man fragen, was Sie hier suchen, Madame?“ fuhr der Doktor, komisch finster die buschigen Augenbrauen runzelnd, fort.

      „Ärztliche Hilfe — weiter nichts!“

      „Wa — was?“

      Yvonne Roland legte die Hand in das Genick und sagte dann: „Ich hab’ mir einen furchtbaren Sonnenstich zugezogen. Das brennt so heftig! Und da doch das Zimmer für die Frauen nebenan leer ist, da könnte ich doch gleich dableiben und, wenn es mir wieder besser geht, meinen Bruder pflegen helfen.“

      Der rundliche kleine, stämmige Arzt schaute im Kreis seiner Getreuen umher und sagte, vergnügt sich die Hände reibend, als hätte er einen sehr guten Witz gehört: „Sie kennt nicht einmal die Symptome des Sonnenstichs! Sie steht da und flunkert und flunkert — und ... notieren Sie, Sergeant: ‚Die Kranke erhält wegen nervöser Schwindelanfälle bis auf weiteres Aufnahme und die Erlaubnis, ihren Bruder zu besuchen!‘ Es ist doch auch wirklich Ihr Bruder, Madame?“

      „Nun, natürlich!“ sagte Yvonne erbittert und wurde ein wenig rot.

      „Und da er sich Roland nennt, heissen Sie wohl ebenso?“

      Sie nickte. In kurzem war die Tabelle ausgefüllt, wonach Yvonne Roland, zweiundzwanzig Jahre alt, katholisch, ohne Beruf, aus Strassburg gebürtig, sich als Insassin des Militärlazaretts der Oase El-Ariana betrachten durfte.

      Nun streckte sie dankbar dem Doktor die Hand hin, und der schüttelte sie und lachte dazu aus voller Kehle dröhnend und schrie zu dem Bett hin: „Roland ... jetzt werden Sie gesund!“

      „Jawohl!“ kam es von dort gehorsam zurück, und der Doktor nickte und sagte im Weggehen zu seiner neuen Patientin: „Eigentlich fehlt ihm nichts mehr! Den Typhus hat er glücklich hinter sich. Es ist nur die Schwäche. Wir kriegen ihn nicht hoch. Die Lebenskraft fehlt. Da müssen Sie jetzt helfen und ein bisschen davon hergeben. Mir scheint, Sie haben genug!“

      Er lachte noch einmal, trocknete sich den Schweiss von der Stirne, denn es fing schon wieder an, glühend heiss zu werden, und der Himmel draussen zeigte ein tiefes Blau, und rief: „Auf Wiedersehen!“ Er setzte, halb im Trab, seinen Rundgang fort. Die anderen folgten ihm, vergnüglich grinsend und auf Yvonne zurückblickend. Nur ein blasses, zahnlückiges Weib blieb übrig und trat näher. Das war die Wärterin des Frauengemachs. Sie lud Yvonne Roland ein, ihr zu folgen und sich nebenan ein Bett auszusuchen und häuslich einzurichten. Der Kranke brauche jetzt ohnedies etwas Ruhe!

      „Ja, ich komme schon!“ sagte Yvonne, blieb aber noch stehen und sagte rasch und gepresst, als habe sie lange mit dem Entschluss, die Frage herauszubringen, gekämpft: „Sag nur noch, Gaston ... kennst du einen Mann ... so eine Art Jäger oder so etwas ... sie nennen ihn Sidi Frank ...“

      „Ja, gewiss!“ sagte der kleine Soldat zu seiner Schwester, die auf einmal ihr Gesicht von ihm weggewandt hatte und eifrig zum Fenster hinausblickte, als wäre da etwas sehr Merkwürdiges an den Palmzweigen zu entdecken. Das Stückchen Wange, das unter dem feinen Braunhaar noch sichtbar blieb, war lebhaft gerötet — wie ihm schien, von der darauf flimmernden Sonne. „Gewiss! Er war früher auch Soldat, und wie unser Regiment hierherkam, hab’ ich ihn kennengelernt. Draussen, noch jenseits des grossen Salzmeers — hast du das schon gesehen?“

      „Den unheimlichen weissen Schein überall am Horizont ... meinst du das?“

      „Ja — also da drüben, ganz im Süden, hat sich ein alter vornehmer Colonel angesiedelt — eigentlich auch kein rechter Franzose, sondern Elsässer wie wir. Der haust da mit seinen Viehherden und seinen Arabern in der Wüste, mitten in einer riesenhaften, verlassenen Römerstadt, deren Namen man nicht einmal mehr kennt. Und Frank lebt bei ihm, halb als Gefährte, halb als Verwalter und Aufseher. Oft liegt er auch wochenlang irgendwo in den Bergen auf der Jagd — wenn er dann hier durchkommt, dann besucht er mich jedesmal ...“

      „Aber du weisst nicht, wer es eigentlich ist?“

      „Nein. Er spricht nie von sich. Die älteren Soldaten sagten, es sei ein Wunder, dass er noch am Leben sei. Aber ihm ist nie etwas geschehen, und bloss deswegen habe er, wie seine Jahre um waren, den Dienst verlassen und sei zu dem Colonel in die Wüste gezogen.“

      „Und dabei muss es doch ein gebildeter Mann sein, nicht wahr?“

      „Ja, gewiss! Das merkt man doch!“

      Er verstummte, und auch Yvonne fragte nicht weiter.

      „So ... solch ein Mensch ist das!“ sagte sie endlich langsam, nickte dem Bruder noch einmal zu und folgte der zahnlückigen Aufwärterin in das Zimmer nebenan.

      Drittes Kapitel

      Gegen Abend hatte sich Yvonne Roland im Militärlazarett von El-Ariana häuslich eingerichtet und den Hauptteil der Zeit hindurch sich ihrem Bruder gewidmet. Nun sollte der Ruhe haben. Sie hatte ihm für heute gute Nacht gesagt, obwohl es noch heller Tag war und nur das allmähliche Nachlassen der Gluthitze auf das Sinken des Sonnenballes hinter dem schwarzen Palmengefieder der Oase deutete, und schritt dem Ausgang des Spitals zu. Jetzt mussten die beiden Missionarinnen, wenn sie heute früh die Karawanserei in der Steppe verlassen hatten, in El-Ariana eingetroffen sein. Sie wollte einmal sehen, ob sie schon da waren. Sie blieb auf dem Platze vor der Zitadelle, den sie unterdessen erreicht hatte, stehen und schaute um sich. Der weite Raum, den die grauen, zinnengekrönten und von Palmen überragten Römermauern schon zur Hälfte beschatteten und dessen andere Seite Reihen niedriger, fensterloser, blendendweiss getünchter arabischer Häuser abschlossen, war jetzt in der beginnenden Kühle des Feierabends lange nicht mehr so still und menschenleer wie heute früh beim Morgengrauen. Dutzende von braunen Gestalten, die weissen Mäntel malerisch um die Schultern geschlungen, bewegten sich auf ihm, hockten als weiss flimmernde Kreise auf den Fersen im gelben Staub beisammen und schimmerten als ebensolche schneeige, nur durch vereinzelte Farbenflecke der Turbane und Gürtel unterbrochene Massen dichtgedrängt mit gekreuzten Beinen aus dem schwärzlichen Inneren einer nach vorn offenen Kaffeebude. Dazwischen watschelten da und dort als abenteuerliche schwarze Glocken die verhüllten Maurinnen, die ehrbaren Bürgerfrauen der Stadt. Auch rannte unverschleiert, nur mit flatternden, purpurroten Hemden bekleidet, und mit lachenden blau tätowierten Gesichtern ein Trupp Beduinenmädchen, lustige Bauerndirnen aus der Wüste, dahin, dass der Staub hinter ihren mageren flinken Beinen aufwirbelte und die Hunde kläffend sprangen und die blumengeschmückten, lautlos da und dort spielenden und huschenden Kinder aus ihren grossen dunkeln Augen erstaunt hinterher sahen.

      Mitten durch diese Gruppen karrte ein kleiner, hinten mit Gepäck beladener Planwagen. Es flimmerte in ihm von zwei blonden Köpfen. Yvonne lief zu dem Fahrzeug und streckte ihre Hände hinein, damit jede der beiden Missionarinnen die ihre bekäme. Sie hörte zwischen all dem Geschüttel und Begrüssen, dass die zwei Missionarinnen nur diese Nacht in El-Ariana, im Hause eines Vetters ihres arabischen Kärrners, rasten und dann gleich weiter nach Süden, nach den heiligen Oasenplätzen Tosêr und Nephta, den letzten Saharastädten am Rand des unwirtlichen und unbewohnten Gebietes der Sanddünen, ziehen wollten.

      „Also Sie haben Ihren Bruder gefunden?“ sagte die eine. „Da hätten Sie die Nacht auch noch bei uns in der Karawanserei bleiben können. Dann hätte die Botschaft heute früh Sie dort erreicht!“

      „Was für eine Botschaft?“ fragte Yvonne. Ihr wurde unbehaglich zumut.

      Die Britinnen wussten nichts Genaues. Sie hatten noch geschlafen und es nur von dem arabischen Hausmeister gehört. Kurz vor Sonnenuntergang


Скачать книгу