Der japanische Garten. Marie Louise Fischer
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Marie Louise Fischer
Der japanische Garten
Roman
Originalausgabe
SAGA Egmont
Der japanische Garten
Der japanische Garten
Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof A/S
Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de) represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)
Originally published 1967 by F. Schneider, Germany
All rights reserved
ISBN: 9788711718537
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.
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Der japanische Garten
Er wußte nicht, wie unzufrieden er mit seinem Leben war, bevor er sie kennenlernte.
Um genau zu sein: es überkam ihn nicht im ersten Augenblick, sondern erst nach und nach. Je öfter er ihr begegnete, desto nagender wurde sein Gefühl von innerer Leere und Verdrossenheit. Bis es ihm bewußt wurde, dauerte es eine Weile. Es ging ihm, so diagnostizierte er sich selber, wie einem Menschen, der über Monate, ja, vielleicht sogar über Jahre hinaus an einer Blinddarmreizung leidet, ohne besonders darauf zu achten, bis es dann, eines Tages, zur Appendizitis kam, die nicht mehr wegzuleugnen war.
Der Vergleich mag etwas seltsam anmuten, aber Doktor Karl Malthaus war Arzt, praktischer Arzt, und er pflegte in medizinischen Terminologien zu denken. Seit acht Jahren war er verheiratet, und das Schicksal hatte ihn in diese trostlose kleine Industriestadt verschlagen, die ihm allerdings erst so trostlos erschien, seit Anja in sein Leben getreten war. Seinerzeit, als er eben geheiratet hatte und Renate ihr erstes Kind erwartete, war es ihnen beiden als ein Glücksfall erschienen, daß er hier diese gutgehende Praxis übernehmen konnte. Er liebte seine Frau, und er freute sich auf das Kind, und es war ihm nicht schwergefallen, seine Träume von einer Karriere als Facharzt oder gar als Wissenschaftler an den Nagel zu hängen. Aber jetzt, nach all den Jahren der Ehe und dem täglichen Umgang mit ungewaschenen, uneinsichtigen und unbelehrbaren Patienten, stellte sich ihm die Frage, ob es das wert gewesen war. Bald würde er vierzig sein, und sein Leben war ihm unter den Händen zerronnen. Jedenfalls kam es ihm so vor.
Zum erstenmal war er kurz nach dem Tod ihres Mannes zu Anja Miller gerufen worden. Anja war auf der Beerdigung zusammengebrochen. Ihre Schwester, eine unansehnliche, aber freundliche Person, hatte ihn holen lassen. Anja hatte nicht geweint und nicht eine Spur von Hysterie gezeigt, wie Dr. Malthaus es erwartet hatte. Sie war nur totenblaß gewesen und hatte am ganzen Leib gezittert. Ihre Augen, tiefdunkel und riesengroß in dem sehr weißen kleinen Gesicht, hatten ihn mit einem hilflosen und verletzlichen Ausdruck angesehen, der ihn sehr berührt hatte. Sie hatte zu sprechen versucht, ja, sogar zu lächeln, aber sie war unfähig gewesen, ein Wort hervorzubringen. Die Schwester hatte ihm berichtet, daß sie am offenen Grab in Ohnmacht gefallen war, aus der sie erst erwacht war, als man sie zu Hause auf ihr Bett gelegt hatte.
»Es war ein solcher Schreck!« sagte sie. »Ich dachte schon, sie wäre…« Aber sie hatte sich beherrscht und nicht ausgesprochen, daß sie Anjas Tod gefürchtet hatte.
Dr. Malthaus hatte versucht sie zu beruhigen, »Machen Sie sich nicht zu große Sorgen! Eine Kreislaufstörung. So etwas kommt vor. Wahrscheinlich waren die letzten Tage sehr strapaziös für die Patientin. Helfen Sie mir, bitte, sie freizumachen.«
Gemeinsam hatten sie die sehr schmale, zarte junge Frau aus ihrem schwarzen Gewand gepellt.
»Sie war so tapfer«, hatte die Schwester weiter berichtet, »sie ist immer so. Sie wollte sich nichts anmerken lassen, hat noch alle Formalitäten selbst erledigt, wollte keinen Trost entgegennehmen. Eigentlich wollte sie mich gar nicht hierhaben. Ich bin nur froh, daß ich trotzdem gekommen bin.«
Er hatte Herz und Lungen abgehorcht, ohne andere Symptome zu finden als jene, die in einer solchen Situation zu erwarten waren. »Jedenfalls sollten Sie sie in der nächsten Zeit nicht allein lassen.«
»Ich bleibe natürlich, obwohl mein Mann…« Wieder hatte die Schwester sich unterbrochen. »Aber er muß es eben einsehen.«
Dr. Malthaus hatte der Patientin eine Spritze gegeben und ein Rezept für Beruhigungs- und Stärkungsmittel aufgeschrieben. »Warten Sie, bis sie eingeschlafen ist«, hatte er gesagt, »das sollte sie wieder auf die Beine bringen.«
»Aber Sie kommen doch wieder, Herr Doktor?«
»Morgen nachmittag werde ich noch einmal nach ihr schauen.«
Aber damit war der Fall, der ihn anfangs kaum beeindruckt hatte, noch keinesfalls für ihn erledigt gewesen. Es zeigte sich, daß die Patientin an Anämie, Appetitlosigkeit und einer leichten Störung des Herzrhythmus litt. Normalerweise hätte er sie an einen Facharzt überwiesen, und er versuchte es auch.
Aber dagegen sträubte sie sich. »Ich kann es nicht, Herr Doktor«, sagte sie flehend, »ich kann es wirklich nicht!«
»Aber man wird Ihnen doch nicht weh tun, Frau Miller. Ich möchte einfach, daß Sie einmal gründlich untersucht werden.«
»Wozu? Ich weiß doch selber, was mir fehlt, und Sie wissen es auch!« Ihre Stimme war sanft und melodisch, aber sie hatte sie immer noch nicht ganz in der Gewalt; das Sprechen machte ihr deutlich Schwierigkeiten.
»Ich verstehe, daß der Tod Ihres Mannes Sie sehr erschüttert hat. Aber es gibt auch Anzeichen für eine gesundheitliche Störung, die…«
»Mein Mann ist untersucht worden! So oft. Und er hat Wochen in der Klinik gelegen. Aber es war alles vergebens. Sie wollen mir dasselbe doch nicht auch antun?«
»Ich bitte Sie, Frau Miller, das ist doch kein Vergleich!« Er wußte inzwischen, daß Egon Miller, sehr viel älter als seine junge Frau, an einer Leberzirrhose zugründe gegangen war. »Dann kommen Sie wenigstens demnächst in meine Praxis!«
Sie lächelte nur, und er wußte, daß sie das nicht tun würde. Er selber konnte sie sich auch nur schlecht in seinem nüchternen Wartezimmer unter seinen gewöhnlichen Patienten vorstellen, nicht einmal in seiner Ordination. Sie schien nur hierher zu gehören, in das gepflegte kleine Schlafzimmer mit den hellen Farben, zu dem ihre tiefdunklen Augen und das rabenschwarze Haar einen so auffallenden und sonderbaren Kontrast bildeten.
»Ich bin in Sorge um Sie«, sagte er also nur noch und merkte selber, daß es lahm klang.
»Das brauchen Sie nicht. Ich werde schon wieder ganz gesund werden. Wenn Sie mich nur nicht im Stich lassen.«
Das konnte er um so leichter versprechen, da sie privatversichert war. Ihr Mann war offenbar recht wohlhabend gewesen und hatte sie ohne materielle Sorgen zurückgelassen.
Als er das nächste Mal kam, führte ihre Schwester ihn in ein anderes Zimmer, das er zuvor noch nie betreten hatte. Danach verschwand sie sehr still, wie es ihre Art war.
Anja saß zwischen einem Berg bunter Kissen auf einer Couch und blickte ihm mit sanftem Lächeln entgegen. »Sie sehen, es geht mir schon viel besser!« sagte sie, und als sie ihm die Hand gab, rutschte der weite Ärmel ihres schwarzen Kimonos zurück und gab ihren schlanken weißen Arm bis zum Ellenbogen frei.
»Freut mich«, erwiderte er und kam sich vor wie ein Tölpel.