Der japanische Garten. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.Jockel und zeigte eine doch recht beträchtliche Länge mit Daumen und Zeigefinger an. »Aber ich hab’ ihn vorher abgewaschen.«
Karl Malthaus runzelte die Stirn. Er wußte, daß Jockel ein kleiner Aufschneider war und glaubte nicht recht daran, daß er den Regenwurm wirklich gegessen hatte. Wahrscheinlich hatte er nur so getan, um seinen Bruder zu erschrecken und, möglicherweise, um die Eltern zu beeindrucken. »Schön dumm von dir«, sagte er deshalb nur.
»Muß er jetzt sterben?« fragte Hinkel eifrig.
»Nein. Regenwürmer sind nicht giftig. Manche Leute essen sie sogar zu Mittag. Aber natürlich gekocht.«
»Is das auch wahr?«
»Ja.«
»Siehste«, sagte Jockel, sehr mit sich zufrieden, »hab’ ich gleich gewußt!«
»Das sollte für dich aber doch kein Grund sein, einen rohen Regenwurm zu verschlingen. Warum hast du das getan?«
»Wollte mal fobieren, wie er schmeckt.«
»Aber, Jockel, du bist doch kein Baby mehr! Nur ganz kleine Babys stecken alles in den Mund, um es zu probieren.«
Jockel reckte die Schultern und ballte die kleinen Fäuste. »Bin schon ein großer Junge!«
»Na also. Dann laß den Quatsch! Oder soll ich eure Mutter bitten, dir morgen einen schönen Salat zu machen aus Regenwürmern, Spinnen, Käfern und Froschschenkeln?«
»Iiiihhh!« riefen beide Jungen gleichzeitig, schaudernd und amüsiert zugleich.
Karl Malthaus lachte. »Habe ich mir doch gedacht! Also Schluß mit dem Unsinn! Ich erzähle euch jetzt noch eine kleine Geschichte, und dann wird geschlafen.«
Als er die beiden endlich zur Ruhe gebracht hatte, war der Abendbrottisch in der Eßecke der Küche gedeckt.
Karla hatte sich von dem Fernseher gelöst und umarmte den Vater heftig. Sie war ein dünnes, großes Mädchen mit strahlendblauen Augen und langem, glatten blonden Haar. Ihre Erscheinung war elfenhaft, und Karl Malthaus wünschte sich sehr, daß ihr Benehmen entsprechend wäre. Aber sie erwehrte sich ihrer kleinen Brüder, seit sie auf den Beinen standen, mehr mit Grobheit, mit Püffen und Knüffen, statt mit Diplomatie. In der Schule mußte sie sich jetzt gegen Gleichaltrige durchsetzen und war noch rauher geworden. Sie hatte einige sehr schlimme Worte aufgeschnappt und scheute sich nicht, sie mit Engelsmiene auszusprechen.
»Laß dich mal ansehen«, sagte er und schob sie auf Armeslänge von sich, »ob du nicht schon einen viereckigen Kopf bekommen hast!«
Sie lachte unbekümmert. »Du hast ja keine Ahnung, wie spannend es war!« Sie sah ihn mit schiefgelegtem Kopf aufmerksam an. »Bist du mir etwa böse, weil ich dich nicht gleich begrüßt habe?«
»Ein bißchen enttäuscht. Deine Familie sollte dir eigentlich wichtiger sein als ein Fernsehspiel.«
»Oh, euch habe ich doch alle Tage«, erklärte sie mit schöner Offenheit, »aber das Stück ist schon aus.«
Renate merkte, daß seine Tochter ihn verletzt hatte, und machte ihm über Karlas Kopf hinweg mit einem lächelnden Augenzwinkern ein Zeichen, das Kind doch nur ja nicht ernst zu nehmen. Aber er erwiderte ihr Lächeln nicht.
Karla musterte inzwischen den Tisch. »Wo ist der Pudding von heute mittag?«
»Den haben deine Brüder verputzt. Als kleine Zwischenmahlzeit sozusagen.«
»Oh, Scheiße! Nicht schon wieder!«
»Karla!« sagte er streng.
»Ist was?«
»Wie oft habe ich dir schon verboten, dieses scheußliche Wort in den Mund zu nehmen!«
»Ist doch nichts dabei.«
»Ich glaube, ich sollte dir einmal erklären, was das überhaupt heißt.«
»Das ist kein sehr nettes Tischgespräch«, sagte Renate begütigend, »findet ihr nicht auch?«
»Du solltest deine Tochter besser erziehen! Deine Söhne übrigens auch.«
»Die kann man nicht erziehen, Vati«, erklärte Karla ernsthaft, »schlimm genug, daß wir sie ertragen müssen. Ich verstehe immer noch nicht, warum ihr sie euch überhaupt zugelegt habt.«
»Jetzt aber genug, Karla«, befahl die Mutter, »hör auf, das kleine Biest vom Dienst zu spielen! Ich weiß genau, daß du deine Brüder genauso liebhast wie wir dich. Und daß dir dein Vater wichtiger ist als der Fernseher. Also versuch mal ausnahmsweise, dich von deiner Schokoladenseite zu zeigen!«
Karla zuckte die Achseln. »Ich finde es einfach ungerecht, daß die immer alles kriegen und ich nicht.«
»Was … alles?«
»Den Pudding zum Beispiel.«
»Erstens war es nur ein kleiner Rest, und zweitens gibt es so vieles, was Jockel und Hinkel noch nicht essen dürfen … Ölsardinen zum Beispiel und Thunfisch und Tartar…«
»Ich finde, es besteht kein Grund zu irgendeiner Diskussion!« fuhr Karl Malthaus dazwischen. »Könnt ihr mich nicht, bitte, mein Essen in Ruhe verzehren lassen?«
Karla war noch nicht bereit aufzugeben. »Aber wir haben doch gar nichts getan!«
Renate gab ihr unter dem Tisch einen leichten Tritt gegen das Schienbein, worauf sie aufzuckte, dann aber tatsächlich verstummte. Aber Karl hatte es gemerkt und sah seine Frau so vernichtend an, daß sie errötete. Mit einer versöhnlichen Geste streckte sie die Hand aus und berührte ihn über den Tisch hinweg. Aber er tat so, als wäre er zu sehr mit Messer und Gabel beschäftigt, um es zu bemerken.
Das Ende der Mahlzeit verlief schweigend. Dann stand er auf und zog sich in sein Arbeitszimmer zurück.
»Was hat Vati bloß?« fragte Karla, während sie der Mutter half, den Tisch abzudecken.
»Er wünscht sich so sehr eine zärtliche, brave und manierliche kleine Tochter!«
»Aber ich bin, wie ich bin! Ich kann mich nicht dauernd verstellen!«
»Etwas mehr zusammennehmen könntest du dich schon.«
»Tut er ja auch nicht! Dieser blöde Witz mit dem viereckigen Fernsehkopf, wie oft er den schon gemacht hat! Bildet er sich ein, ich fände das lustig? Ich weiß doch, daß er mich damit nur ärgern will. Dabei sehe ich doch gar nicht so oft fern … nur halb so oft wie die anderen!«
»Aber leider meistens gerade dann, wenn er nach Hause kommt.«
»Weil gerade dann die schönsten Sendungen sind! Was vorher kommt, ist doch alles Kleinkinderkram. Wenn ich abends länger aufbleiben dürfte…«
»Bitte, Mäuschen, komm nicht wieder damit! Ich verstehe sehr gut, wie sehr du dir das wünschst. Ich kann es dir nachfühlen. Aber erstens bist du noch zu jung und zweitens mußt du morgens früh aufstehen…«
»Du immer mit deinem erstens und zweitens!« fiel Karla ihr ins Wort. »Sei doch wenigstens ehrlich! Vati will es nicht! Du würdest mich schon manchmal aufbleiben lassen, wenn am nächsten Tag keine Schule ist … wenigstens bis neun.«
»Dein Vater will nur dein Bestes, das mußt du doch einsehen. Er ist Arzt, und er weiß, wie schlecht Fernsehen gerade für junge Menschen ist.«
»Quatsch mit Senf! Es stört ihn bloß, wenn ich dabei bin. Er will seine heilige Ruhe haben.«
»Auf die hat er ja auch ein Recht nach einem langen Arbeitstag.«
»Du entschuldigst ihn mal wieder, das sieht dir ähnlich. Soll ich dir mal was sagen?« Karla knallte die leere Salatschüssel auf die Spülmaschine. »Er hat uns überhaupt nicht mehr lieb!«
Renate, die dabei gewesen war, das gebrauchte Geschirr einzuräumen, richtete sich auf. »Wie kannst du so etwas sagen?«
»Wenn es doch wahr ist! Sag bloß nicht, du hast