Der japanische Garten. Marie Louise Fischer

Читать онлайн книгу.

Der japanische Garten - Marie Louise Fischer


Скачать книгу
stand sie auf, und jetzt erst, als sie die Augen von ihm abwandte, nahm er den Raum, in dem sie ihn empfangen hatte, wirklich wahr. Er war sehr hell, die Wände weiß und schmucklos, die Möbel, schlicht und modern, schienen aus Schweden zu stammen. Blickpunkt des Zimmers aber war die Fensterbank. Sie war fast einen Meter breit und sicher doppelt so lang und mit satter, dunkler Erde bedeckt. Auf ihr standen winzige Bäume, Eichen, Fächerahorn, Kiefern, ein kleines Birkenwäldchen und ein blühendes Mandelbäumchen. Sie waren so gepflanzt, daß der Eindruck einer harmonischen Landschaft entstanden war. Dazwischen gab es winzige Blumen, Moos und Steine, die wie Felsen wirkten, und durch die Anlage schlängelte sich ein Bach, der, unterirdisch gespeist, frisches Wasser über Kieselsteine plätschern ließ. Ein kunstvoll gedrechseltes hölzernes Brückchen führte von einem Ufer zum anderen. Die Illusion war vollkommen.

      Anja hatte sein Staunen gespürt, ja, wohl auch erwartet. »Gefällt Ihnen mein japanischer Garten?« fragte sie, sich an der Tür umwendend. »Ich liebe ihn sehr.«

      »Er ist wunderbar!«

      »Ja, nicht wahr? Die Bäume sind Bonsais. Ich beschneide sie selber.« Mit einem leichten Schulterzucken fügte sie hinzu: »Das ist eine der wenigen Kunstfertigkeiten, die ich beherrsche.«

      Er fragte nicht danach, wie der Bach zustande gekommen war; er konnte sich vorstellen, daß er von einer Pumpe betrieben wurde, die möglicherweise ihr verstorbener Mann installiert hatte.

      Wie immer führte er ihre Untersuchung im Schlafzimmer durch, wobei von keiner Seite ein persönliches Wort fiel. Sie waren jetzt nur Arzt und Patientin. Als sie noch bettlägerig gewesen war, hatte er danach immer noch eine Weile bei ihr gesessen und, um sie zu entspannen, ein wenig mit ihr geplaudert. So folgte er ihr jetzt, nachdem sie wieder in ihren Kimono geschlüpft war, ganz selbstverständlich in das Zimmer mit dem japanischen Garten.

      »Darf ich Ihnen etwas anbieten?« fragte sie und dann, fast im gleichen Atemzug, einen erschrockenen Ausdruck in den tiefdunklen Augen: »Oder haben Sie keine Zeit?«

      Er lächelte beruhigend. »Ich werde sie mir nehmen!« Tatsächlich hatte er sie als letzte auf die Liste seiner Hauspatienten gesetzt, so daß nur seine Familie auf ihn warten mußte.

      »Was möchten Sie?«

      Er wäre nicht überrascht gewesen, wenn sie jetzt mit einer rituellen Teezeremonie begonnen hätte. Aber sie öffnete die Klappe eines niedrigen Schranks aus Eschenholz, und eine gut ausgestattete kleine Bar kam zum Vorschein.

      »Einen Sherry?« fragte sie. »Nein, Sie ziehen sicher einen Scotch vor. Es ist auch Eis und Wasser da!«

      Nach einem Blick auf seine Armbanduhr – es war schon sechs vorbei –, nahm er den verlockenden Vorschlag an, ließ sich den Whisky aber stark verdünnen. Sie selber trank nicht. Der Sessel, in dem er sich niederließ, war bequem. Er streckte die Beine von sich, trank in kleinen Schlucken und fühlte sich wohl. Sie sprachen wenig und beobachteten, wie sich sachte die Dämmerung über die kunstvolle Fensterlandschaft senkte.

      Es war sehr still. Die Schwester, die er jeweils nur beim Eintritt zu Gesicht bekam, verstand es lautlos zu hantieren. Es schien weder Radio noch einen Fernseher zu geben. Er wußte nicht, ob es die Stille war, die ihn verzauberte, oder der Anblick des japanischen Gartens. Jedenfalls hätte er stundenlang so sitzen bleiben können und raffte sich erst auf, als es beinahe vollends dunkel geworden war und sie die eine Leuchte anknipste, die den Garten illuminierte. Das Licht brach den Zauber keineswegs, und es kostete ihn Willensanstrengung sich zu verabschieden.

      In seinem eigenen Haus war es dann ganz wie immer. Die Zwillinge, Jockel und Hinkel, schon in ihren Schlafanzügen, tobten und zeterten, weil sie noch nicht zu Bett wollten. Karla, die Älteste, saß vor dem Fernseher und schrie, daß sie endlich Ruhe haben wollte. Seine Frau versuchte die Zwillinge zu bändigen, für die es jetzt, da sie den Vater heimkommen hörten, kein Halten mehr gab. Sie stürmten auf nackten Füßen die hölzerne Treppe hinunter, rannten gegen ihn an und klammerten sich an seine Beine, um Aufmerksamkeit für ihre Heldentaten des verflossenen Tages zu erlangen.

      Renate kam ihnen nachgelaufen, die Pantöffelchen in der Hand und rief: »Zieht wenigstens eure Pantoffeln an! Ihr erkältet euch sonst noch! Ja, ja, wenn ihr brav seid, könnt ihr noch ein Viertelstündchen aufbleiben und Vati erzählen!« Erst als sie die Füßchen in das Schuhwerk gezwängt hatte, richtete sie sich auf, wandte das erhitzte Gesicht mit dem blonden, zerzausten Haar ihrem Mann zu und gab ihm einen raschen Kuß. »Oh, Whisky?« fragte sie ein wenig erstaunt.

      »Ich habe mir einen kleinen Aperitif erlaubt«, erklärte er steif.

      »Warum auch nicht?« gab sie vergnügt zurück. »Bitte, kümmere dich um die beiden! Wenn du sie dabei ins Bett bekommst, bist du ein Zaubermann. Ich muß in die Küche!« Dann rief sie, sehr laut, um den Fernseher zu übertönen: »Karla! Vati ist da! Willst du ihn nicht begrüßen? Mach endlich den Kasten aus!«

      »Ja, ja, gleich!« ertönte die Stimme seiner Tochter. »Hört bloß auf mich zu stören! Es ist ja sowieso gleich aus.«

      Renate verzog sich in die Küche, aus der kurz darauf die Klänge eines Transistorradios erschallten.

      Karl Malthaus blieb nichts anderes übrig, als sich Jockel und Hinkel links und rechts unter den Arm zu klemmen und sie die Treppe hinauf in ihr Zimmer zu tragen. Niemand kümmerte sich darum, ob er dazu in Stimmung war oder nicht. Bisher hatte er sich immer gern mit den beiden Kleinen beschäftigt, wann immer er Zeit für sie hatte. Aber heute fand er ihre Schreierei schier unerträglich.

      Oben angekommen stellte er sie unsanft auf den Boden, schüttelte sie und herrschte sie an: »Wollt ihr wohl endlich den Mund halten?«

      Die Buben, ganz bestürzt, weil sie einen solchen Ton nicht gewohnt waren, wurden tatsächlich still und starrten den Vater an, als hätte er sich vor ihren Augen in ein Ungeheuer verwandelt.

      Diese Blicke konnte er nicht etragen. »Na, na, na, ist ja schon gut«, sagte er, »war nicht so gemeint. Aber müßt ihr denn wirklich immer so laut sein? Wenn man den ganzen Tag schwer gearbeitet hat, will man am Abend seine Ruhe haben.«

      Aus Hinkels Auge kullerte ein Tränchen.

      Aber Jockel stemmte die Arme in die Hüften und erklärte trotzig: »Is ja gar nich wahr!«

      »Was ist nicht wahr?«

      »Daß du schwer arbeiten tust. Bist doch ein Doktor!«

      »Du glaubst, nur Steine heben ist schwere Arbeit?«

      »Und Häuser bauen und Kranfahren und … und … und…« Jockel gingen die Vergleiche aus.

      »Das ist ein Irrtum, mein Sohn. Auch ein Doktor muß schuften. Das erkläre ich dir, wenn du älter geworden bist.«

      »Aber ich wollte doch nur«, setzte Hinkel an, tapfer sein Schluchzen unterdrückend, »wollte doch nur…«

      »Ins Bett mit euch, dann könnt ihr mir alles erzählen.« Karl Malthaus verstaute seine kleinen Söhne in die Betten.

      Das Zimmer sah aus, als hätten sie eine Spielzeugschlacht darin geschlagen. Bauklötze lagen umher, aufgeschlagene Bilderbücher, Bälle, kleine Autos, eine hölzerne Lokomotive, Stoffpuppen, Steine aus dem Garten und zerfetztes Papier. Er wußte, daß sich Renate später, wenn die beiden Rangen erst eingeschlafen waren, auf Zehenspitzen hereinschleichen und alles aufräumen würde. Aber er fragte sich doch, ob es denn nicht möglich sein könnte, ihnen selber schon ein wenig Ordnung beizubringen.

      Die Buben ließen ihm keine Sekunde Zeit zum Nachdenken.

      »Du mußt Jockel op’rieren«, verlangte Hinkel, »Bauch aufschneiden!«

      »Ach ja? Aber warum denn?«

      »Damit er nicht sterbt!«

      Der Vater fühlte Jockel die Stirn. »Bist du denn krank?«

      »Bin ich nicht!«

      »Biste doch!«

      »Was ist denn los mit euch beiden?«

      »Er


Скачать книгу