Rettet Wien! Roman aus der Zeit der Türkenbelagerung 1683. Rudolf Stratz

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Rettet Wien! Roman aus der Zeit der Türkenbelagerung 1683 - Rudolf Stratz


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buntscheckigen Wipfeln ragt im Grün des Efeus über grauem Bruchstein ein Turm — und das ist der Bergfried der uralten Feste Rimburg. Und vom Tal klingt ein Slöckchen. Da liegt das Kloster, und in dem Kloster sitzt ein Knabe über den Heiligenlegenden und will ein Mönch werden und Gott im stillen dienen. Und vor dem Kloster flutet der Rhein und Schiffe schwimmen in die Weite, und Wanderburschen singen und Mädchenstimmen lachen: „Hinaus in die Welt!“ — und ein Jüngling schlägt eines Morgens das Klostertor hinter sich zu. Jahrelang brütet er in muffigen Gewölben der Hochschule von Strassburg über Büchern und Papier, und die Anrast treibt ihn weiter, und aus dem Scholaren wird der junge Kavalier, der da unten an der Universität Bologna unter dem Adel Europas stolziert und den Stossdegen wie den Federkiel meistert, den Menuettschritt im Schäferspiel wie den Galopp des Gauls über Stock und Stein.

      Und in Rom, im ewigen Rom, eines Sommerabends, als die Sonne hinter der Campagna sinkt, und viele hundert Glocken läuten — der Ruf — der grosse Ruf: Erfülle dich! Du sollst ein Kämpfer sein! Ein Gotteskämpfer! Gott gab dir den Drang zu Abenteuern, die Lust am Wagnis, die Freude an Gefahr. Da draussen auf dem Meer flattert das Kreuz Christi. Nimm das Kreuz auf dich . . .

      Und nun nur noch die letzte Frage: In welcher Gestalt wird dir jetzt der Tod erscheinen?

      Die schwere Tür aus Palmenholz öffnete sich. Der schöne Jüngling Emin, der Sohn des Bassa, stand in seinem langen weissen Gewand auf der Schwelle, den weissen Turban über dem weichen, bräunlichen Gesicht. Dies Antlitz war tief ernst. Leise, schonend die Stimme:

      „Komme!“

      2

      Komme! . . . Wohin? In dem dunklen Gang hinter der offenen Türe schatteten die Umrisse von vier wilden Kerlen in blauen Jacken und Pluderhosen und weissen Filzmützen, den mächtigen Krummsäbel neben der blutfarbenen Leibschärpe, und vor den Mamelucken stand still, beinahe traurig der junge Sohn des Bassa, und es kam dem Malteser eine Jugenderinnerung aus seinem Brüten über schweinsledernen Folianten in der Klosterzelle, dass die grossen griechischen Heiden den Tod sich als einen schönen Jüngling in weissem Gewand vorgestellt hatten.

      Er glaubte, er würde jetzt hier in einem der unterirdischen Gewölbe der Burg des Bassa sein Leben ausbauchen. Aber der junge Emin liess durch einen Winkder schmalen, weissen Hand eine Hinterpforte öffnen. Er stieg leichtfüssig dem Christensklaven und den Mamelucken voraus einen engen Pfad durch stacheliges Kaktusgestrüpp und flammend roten Mohn hinab in das finstere, wie ein schwärzliches Schlangennest ineinander gekrümmte Gassengewirr von Rosetta.

      Die gefürchteten Mamelucken machten Platz durch die rasende Menge, die in diesen schattendüstern, engen, stinkenden Strassenschächten brandete. In ungläubigem Grauen sah der Malteserritter gleich einer tosenden Luftspiegelung das Heeresaufgebot des tiefsten Afrika sich nach dem Hafen, zur Fahrt nach Konstantinopel, zum Zug nach Wien wälzen.

      Er erblickte diese majestätisch mit Glöckchengeklingel schreitenden, mit Kupferpauken behängten Kamele, diese sonnengedörrten Skelette weissumflatterter Wüstenbeduinen mit Pantherdecken auf den Schimmelstuten, diese maurischen Ritter in Kettenhemden auf ebenso geschuppten Pferden, diese bronzefarbenen Bogenschützen auf Mauleseln, diese Büge von brüllenden bärtigen Derwischen mit braunen Zuckerhutmützen. Und er frug sich dazwischen immer wieder: Wann kommt der Tod?

      Aber der schöne Todesengel vor ihm schritt immer weiter durch das Tollhaus. Neger trugen lachend im Laufschritt einen eben von den Mamelucken erwürgten Bey nach Hause zu den Seinen. Sein Nachfolger hieb dort drüben vor der Moschee mit einem Schwertstreich seinem Pferd den Schwanz ab und heftete den Rossschweif unter tausendfachem Allahrufen als Feldzeichen wider Wien an seine Lanze. Besessene verfluchten heulend mit schäumendem Mund von Dattelballen herab die Ungläubigen, nackte Büsser zerfleischten mit blutigen Zähnen armdicke, wütend in ihren Fäusten sich windende lebende Giftschlangen. Im heiligen grünen Turban der Nachkommen des Propheten weissagte im Hafen ein rasender Heiliger vor den christlichen Fellachen in blauen Hemden, den Juden in rotgegürteten schwarzen Kaftanen den Untergang Wiens.

      „Im erstürmten Konstantinopel schlug Mohammed der Eroberer seine blutige Hand zehn Ellen über dem Boden an eine Säule, so hoch stand sein Ross auf Leichen. Noch höher wird jetzt Mehmet der Kalif mit seiner Hand den Stefansdom zur Moschee weiben!“

      Wann kommt der Tod?

      Stumm wandert der weisse Todesengel. Still und menschenleer liegen schon umber die Palmenhaine und Fruchtgärten vor der Stadt. Tausendfach wehen die gefiederten Schöpfe der hohen Papyrusstauden in der Nilmündung über dem Rosa der Flamingoschwärme. Ein kalter salziger Hauch liegt in der Luft. Möwen schreien. Und da breitet sich, soweit das Auge reicht, das Mittelmeer. Der Wind vom Lande pflügt sein tiefes Blau zu weissen Schaumkämmen, und durch sie gleitet fern im Sonnenschein mit geblähten Segeln an beiden Masten eine hochgewölbte Galeere, wendet, kreuzt ihren Weg zurück. Die Fitzarnalda, das rettende Malteserschiff, ist nahe und doch ewig unerreichbar.

      Denn jetzt begriff Herr Adrian von Rimburg: diese Einsamkeit hier war die Todesstätte, in der er ungesehen für immer verschwinden sollte. Er sah schon vor sich sein vorbereitetes Grab — eine tief in den Schlamm ausgeschachtete, oberflächlich durch Papyrusstauden verdeckte Grube mit senkrechten Wänden.

      Aber einer der Mamelucken grollte: „Mahmud! Komme aus der Krokodilfalle heraus!“ Ein mahagonifarbener, nur mit einem Lendenschurz bekleideter Greis kroch durch das Blätterwerk aus der Grube empor, in der sich nachts die Panzerechsen fangen sollten und tagsüber er sich vor dem Sonnenbrand geborgen hatte. Er legte vor dem Jüngling Emin zum Zeichen des Gehorsams die Horntatze an die grau behaarte Brust und stapfte den andern voraus durch das Röhricht zu einer Bucht, die sich zum offenen Nil und freien Meer hinaus öffnete. Auf dem Sandufer lag ein kleines Segelboot. Der Alte stemmte sich mit den Soultern gegen den Kiel und hob es in das seichte Wasser.

      „Herr! Ich, dein Fussstaub, habe deinen Befehl ausgeführt!“ sprach er. „Das Fahrzeug ist seebereit!“

      Und dann hörte der Ritter von Rimburg an seinem Ohr die leise Stimme des Jünglings Emin:

      „Steige ein!“

      Und da er nicht gleich begriff, noch einmal:

      „Steige ein! Dort drüben kreuzt die Galeer! Fahre heim zu den Deinen!“

      Plötzlich ein unterdrückter Angstruf des jungen Emin. Seine Hand wies in die Ferne: dort wuchs am Horizont rasch ein zweites Segel aus dem bleiernen Mittagsdunst der See. Auch die Mamelucken schirmten die Augen mit der Rechten. Es zuckte frohlockend über ihre finsteren Mienen.

      „Allah ist gross! Ein Türkenschiff!“

      „Mein Vater hat es aus dem Hafen von Damiette entboten, um eure Galeere aus der Nilmündung zu vertreiben! Eile dich, dass du sie noch vorher erreichst!“ keuchte der Jüngling Emin.

      Er berührte die ihm in verständnislosem, stummem Dank hingestreckte Rechte des Christen nicht. Er sprang scheu bis an den Rand der Schilfwand zurück. Der Malteser wusste nicht, wie ihm geschah. Er schwang sich in das Boot. Er trieb es mit dem Ruder hinaus, in den freien Strom. Er zog das Segeltau an. Die Leinwand straffte sich unter dem Landwind. Die Wellen rauschten. Das schleichende Graugrün des Nil wandelte sich in das Tiefblau des Meers. Delphine schossen pfeilschnell durch die weissen Wogenkämme und wiesen den Weg zu dem Malteserschiff, das den Flüchtling erkannt hatte und wie ein Tausendfüssler mit Hunderten von Rudern arbeitend ihm entgegensteuerte.

      Das Kielwasser schäumte vor seinem Gallionbild — dem achteckigen Stern über dem Kreuz. Schon sah Adrian von Rimburg die schwarzen Kanonenmäuler in den Bordluken, das Geflatter der weissen Federn auf den Eisenhauben der Malteserritter, die dichtgedrängt in der Mitte des Schiffs standen, er sah die Musketen der dienenden Brüder sich über die Reling recken, er erkannte den Kapitän, den blondbärtigen stiernackigen Schwaben mit dem Kaplan und dem Medicus, breitbeinig, den Degen in der Hand, auf dem Dach der Mittelkammer.

      Von drüben schoss, schräg liegend, unter Türmen von Leinwand, lang, schmal, flink wie ein Hecht das Schiff des Islam heran. Der Ritter von Rimburg stemmte sein Ruder gegen die Bordwand des Christenschiffs, um nicht im Wellentanz an ihr zerschellt zu werden.


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