Die Abenteuer des Huckleberry Finn. Mark Twain

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Die Abenteuer des Huckleberry Finn - Mark Twain


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er sich besoffen, fiel vom Schrotsilo und hat sich unten plattgelegt wie ein Brett; und sie haben ihn, statt in einen Sarg, hochkant zwischen zwei Scheunentore geschoben und so begraben, sagt man, aber gesehn hab ich’s nicht. Pap hat’s mir erzählt. Jedenfalls aber ist alles davon gekommen, weil er so in den Mond geguckt hat, wie ein Idiot.

      Die Tage gingen rum, und der Fluss fiel wieder in sein altes Bett; und so ziemlich als erstes haben wir an einen von den großen Haken ein abgehäutetes Kaninchen als Köder gehängt und ausgelegt; und damit haben wir einen großen Katzenwels gefangen, der so groß war wie ein Mann, sechs Fuß und zwei Zoll lang und über zweihundert Pfund schwer. Natürlich sind wir mit dem nicht fertig geworden; der hätt uns glatt nach Illinois rübergeschleudert. Wir saßen einfach da und haben zugesehn, wie er rumschoss und -zerrte, bis er ersoffen ist. Wir fanden in seinem Magen einen Messingknopf, einen runden Klumpen und sonst noch ne Menge Plunder. Den Klumpen haben wir mit dem Beil aufgespalten, und da war eine Spule drin. Der Fisch müsst sie lange drin gehabt haben, meinte Jim, sonst hätt er sie nicht so ummanteln und zu einem Klumpen machen können. Ich glaub nicht, dass je schon mal ein größerer Fisch im Mississippi gefangen worden ist. Jim sagte, er hätt auch noch nie einen größern gesehn. Und im Dorf drüben wär er auch ne ganze Menge wert gewesen. Einen Fisch wie den schlagen die in der Markthalle dort pfundweise los; alle kaufen was; sein Fleisch ist schneeweiß und gibt einen prima Braten.

      Am nächsten Morgen sagte ich, es würd mir allmählich stinklangweilig, und ich hätt mal Lust auf was Aufregendes; ich wollt mich gern übern Fluss stehlen und rausfinden, was drüben vor sich ging. Jim fand das ne gute Idee; aber ich müsst im Dunkeln fahren und scharf aufpassen. Dann hat er sich’s durch den Kopf gehn lassen und gefragt, ob ich nicht ein paar von den alten Klamotten anziehn und mich als Mädchen verkleiden könnte. Das war auch ne gute Idee. Wir machten also eins von den Kattunkleidern kürzer, und ich rollte meine Hosenbeine bis zu den Knien rauf und bin reingeschlüpft. Jim machte hinten die Haken zu, und es saß so einigermaßen. Ich setzte den Sonnenhut auf und band ihn unterm Kinn fest, und wenn mir jetzt einer ins Gesicht gucken wollte, musst er wie durch ein Stück Ofenrohr runtergucken. Sogar bei Tag würd mich kaum jemand erkennen, meinte Jim. Ich hab den ganzen Tag rumprobiert, um den richtigen Dreh rauszukriegen, und mit der Zeit könnt ich mich ziemlich gut drin bewegen; bloß, meinte Jim, würd ich nicht wie ein Mädchen gehn; und ich müsst aufhören mit dem Kleidhochziehn, um an meine Hosentasche zu kommen. Ich hab’s mir gemerkt und besser gemacht.

      Gleich nach Dunkelwerden fuhr ich mit dem Kanu am Illinois-Ufer rauf.

      Ein wenig unterhalb vom Fährenlandeplatz fuhr ich rüber zum Dorf, und die Strömung hat mich am untern Ortsende an Land getrieben. Ich machte fest und bin am Ufer lang zum Dorf. In einer kleinen Hütte, die lang nicht bewohnt gewesen war, brannte ein Licht, und ich war gespannt, wer sich da wohl einquartiert hatte. Ich bin hingeschlichen und schielte zum Fenster rein. Eine Frau, so um die vierzig, saß da und strickte bei einer Kerze, die auf einem Kieferntisch stand. Ihr Gesicht hab ich nicht gekannt; sie war eine Fremde, weil in dem Kaff nicht mal einer hätt ne Miene verziehn können, die ich nicht kannte. War das jetzt ein Glück, weil meine Kräfte nachließen; ich bekam Angst, weil ich hergekommen war; die Leute könnten mich an der Stimme erkennen und entdecken, wer ich bin. Aber wenn diese Frau in dem Kaff bloß zwei Tage gewesen war, konnte sie mir sicher alles sagen, was ich wissen wollte; also hab ich an die Tür geklopft und nahm mir vor, ja nicht zu vergessen, dass ich ein Mädchen bin.

      Kapitel 11

      Sie sind hinter uns her!

      »Herein«, sagt die Frau, und ich ging rein. »Nimm dir ’n Stuhl«, sagt sie.

      Ich hab mich gesetzt. Sie guckte mich von oben bis unten mit ihren kleinen, glänzenden Augen an und sagt:

      »Wie heißt du denn?«

      »Sarah Williams.«

      »Und wo wohnst du? Hier in der Gegend?«

      »Nee, in Hookerville, sieben Meilen weiter unten. Ich bin den ganzen Weg gelaufen und bin halbtot.«

      »Hungrig sicher auch, nehm ich an. Ich hol dir was.«

      »Nee, Hunger hab ich keinen. Ich hab so ’n Hunger gehabt, dass ich zwei Meilen weiter unten auf ner Farm anhalten musste; drum hab ich keinen mehr. Deswegen bin ich auch so spät dran. Meine Mutter liegt krank im Bett und hat kein Geld und nichts, und ich komm, um’s meinem Onkel Abner Moore zu sagen. Er wohnt am oberen Dorfende, hat sie gesagt. Ich bin noch nie hier gewesen. Kennen Sie ihn?«

      »Nein; aber ich kenn ja noch nicht alle. Ich wohne noch nicht mal zwei Wochen hier. Es ist ziemlich weit bis zum oberen Dorfende. Du bleibst besser die Nacht über hier. Nimm mal deinen Hut runter.«

      »Nee«, sag ich, »ich ruh mich nur ’n bisschen aus, denk ich, und geh dann weiter. Ich hab keine Angst vorm Dunkeln.«

      Sie sagte, sie wollt mich nicht allein gehn lassen, aber bald müsst ihr Mann hier sein, so in anderthalb Stunden, und den will sie mit mir losschicken. Dann fing sie an, von ihrem Mann zu erzählen, und von ihren Verwandten flussauf und von ihren Verwandten flussab, und wieviel besser sie’s früher gehabt haben, und dass sie nicht wüssten, ob sie nicht doch einen Fehler gemacht haben, in unser Dorf zu ziehn, statt die Finger davon zu lassen – und so weiter und so fort, dass ich schon Angst hatte, ich hätt einen Fehler gemacht, weil ich zu ihr kam, um zu erfahren, was im Dorf so vor sich ging; aber dann kam sie doch noch auf Pap und den Mord zu sprechen, und da hab ich nichts mehr dagegen gehabt, dass sie weiterplapperte. Sie erzählte dann von mir und Tom Sawyer, wie wir die sechstausend Dollar gefunden hatten (bloß, sie machte zehntausend draus), und alles von Pap, und was für ein Nichtsnutz er war, und was für einer ich, und endlich war sie dann bei meinem Mord gelandet. Ich frag sie:

      »Wer war’s denn? Wir haben in Hookerville unten schon einiges von der Geschichte gehört, aber niemand weiß so genau, wer eigentlich den Huck Finn umgebracht hat.«

      »Na, ich glaube, hier gibt es ne ganze Menge, die gern wüssten, wer den umgebracht hat. Manche denken, der alte Finn ist’s selber gewesen.«

      »Was – wirklich?«

      »Bald alle haben das zuerst gedacht. Er wird gar nicht wissen, wie nah er dran war, dass sie ihn gelyncht hätten. Aber es war noch nicht Abend, da haben sie sich’s anders überlegt; ein weggelaufner Nigger namens Jim wär’s, meinten sie jetzt.«

      »Wieso der –«

      Ich hab mich gebremst. Lieber bin ich still, denk ich mir. Und sie schwatzte in einem fort und hat gar nicht gemerkt, dass ich sie unterbrochen hatte.

      »Ja, der Nigger ist nämlich in der gleichen Nacht weggelaufen, wo man Huck Finn umgebracht hat. Deswegen haben sie eine Belohnung auf ihn ausgesetzt – dreihundert Dollar. Und auch auf den alten Finn haben sie ne Belohnung ausgesetzt – zweihundert Dollar. Am Morgen nach dem Mord kam er nämlich ins Dorf und hat davon erzählt und war auch bei der Suchaktion auf der Fähre mit draußen, aber dann ist er auch gleich auf und davon. Noch vor Sonnenuntergang wollten sie ihn lynchen, aber jetzt war er ja weg. Und am andern Morgen haben sie entdeckt, dass auch der Nigger verschwunden war; sie haben rausbekommen, dass man ihn seit zehn Uhr in der Nacht, wo der Mord passiert ist, nicht mehr gesehn hat. Also haben sie’s auf den geschoben; und als sie schon an nichts andres mehr denken, kommt am andern Tag der alte Finn zurück und rennt jammernd zum Richter Thatcher, der soll ihm Geld geben, damit er ganz Illinois nach diesem Nigger absuchen kann. Und der Richter gibt ihm was, und am Abend hat er sich besoffen und war bis nach Mitternacht unterwegs mit zwei ziemlich verwegen dreinschauenden Burschen; mit denen ist er dann auch abgehauen. Seitdem ist er nicht mehr aufgetaucht, und auch niemand erwartet ihn zurück, bis etwas Gras über die Sache gewachsen ist; sie glauben nämlich jetzt, dass er seinen Jungen umgebracht und das Ganze dann so hingebogen hat, dass man glauben sollte, Räuber seien’s gewesen; und dann wollte er wohl an Hucks Geld rankommen, ohne sich noch lange mit einem Prozess rumschlagen zu müssen. Dem war das tatsächlich zuzutrauen, sagen sie. Oh, der ist gerissen, glaub ich. Wenn er ein Jahr lang nicht wiederkommt, ist er fein heraus. Man kann ihm ja nichts nachweisen; bis dahin hat sich alles beruhigt, und er


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