Im Schatten der Vergeltung. Rebecca Michéle

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Im Schatten der Vergeltung - Rebecca Michéle


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unterdrückte ein Lächeln und zwinkerte ihrem Vater zu. Seine strengen Worte waren durch einen zärtlichen Unterton gemildert worden. Frederica wusste, dass er auf ihrer Seite stand, darum richtete sie das Wort an ihre Mutter:

      »Wenn du partout mein Glück zerstören willst, dann brenne ich mit George eben durch! Ihr habt nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass eure Eltern gegen eure Verbindung waren – warum, das habt ihr mir ja nie erzählt.« Anklagend blickte sie ihre Eltern an. »Eure Liebe zueinander war aber stärker als alle Konventionen, nicht wahr? Folglich kannst du mir nicht vorschreiben, wen ich zu heiraten habe, Mama!«

      Bevor Maureen etwas erwidern konnte, machte Frederica kehrt und schlug die Tür hinter sich zu. Maureen schnappte nach Luft.

      »Was sagt man dazu?«

      Philipp versuchte nicht, sein Lächeln zu verbergen.

      »Sie ist deine Tochter, daran besteht wahrlich kein Zweifel, und wo sie recht hat, hat sie recht, das musst du zugeben. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass du dich jemals dem Willen anderer Menschen gebeugt hast.«

      Die Erkenntnis, dass Frederica ihr langsam, aber sicher entglitt, machte Maureen traurig. Sie schob in der für sie typischen Geste die Unterlippe nach vorn und murmelte: »Ich werde nach Edinburgh fahren. Wenn du mich nicht begleiten möchtest, dann reise ich eben allein. Das ist mein Ernst!«

      2. Kapitel

      Edinburgh, Schottland - September 1780

      »Halten Sie, Mann! Halten Sie sofort an!«

      Noch bevor die Kutsche zum Stillstand gekommen war, riss Maureen die Tür auf und sprang hinaus. Sie versank bis zu den Knöcheln im Matsch der unbefestigten Straße, es kümmerte sie aber nicht.

      »Ist sie nicht wunderschön? Komm Frederica, du musst dir die Burg ansehen.«

      Unwillig streckte das Mädchen den Kopf aus dem Fenster und warf nur einen kurzen Blick auf die trutzige Festung, die majestätisch auf einem fast senkrecht abfallenden Felsen thronte.

      »Sind wir jetzt endlich da?«, fragte sie. »Mir ist kalt und ich habe Hunger.«

      Seit drei Stunden regnete es nicht mehr, der Himmel war aber immer noch mit dicken dunklen Wolken bedeckt, und der Wind war kalt. Je weiter die kleine Reisegruppe nach Norden gekommen war, desto seltener hatte sich die Sonne am Himmel blicken lassen, und der Regen war zu ihrem täglichen Begleiter geworden.

      Nach zuerst heftigem Widerstand hatte Frederica schließlich die Reise in eine ihr unbekannte Welt dann doch mit gespannter Erwartung angetreten. Bereits am zweiten Tag hatten jedoch der Regen, die Stürme und die teilweise unzumutbaren Unterkünfte ihr jede Freude verdorben, und es verging kein Tag, an dem Frederica nicht mit einem trotzigen Unterton sagte: »Wäre ich doch nur zu Hause geblieben!«

      Maureen reagierte gelassen auf die Launen ihrer Tochter. Ihre innerliche Anspannung wuchs von Meile zu Meile. Es war eine Mischung aus Vorfreude und Angst. Was würde sie in Edinburgh erwarten? In welcher Verfassung würde sie ihre Eltern antreffen? Lebte ihr Vater überhaupt noch, und wie würde ihre Mutter auf das unverhoffte Wiedersehen reagieren?

      Nach einer Nacht, in der Maureen und Philipp hin und her diskutiert hatten, hatte Philipp schließlich zugestimmt, Maureen nach Schottland zu begleiten. Widerwillig zwar, aber er wusste, dass Maureen tatsächlich ohne ihn reisen würde. Das würde einen unglaublichen Skandal bedeuten, den Philipp unter allen Umständen verhindern musste. So war es das kleinere Übel, wenn sich die ganze Familie auf die Reise begab. Philipp bestand darauf, bereits im Vorfeld eine geeignete Bleibe in Edinburgh zu suchen, auf keinen Fall wollte er in einer fremden Stadt ankommen und nicht wissen, wo seine Familie wohnen würde. Als junger Mann war er mit seinem Regiment einige Wochen in Edinburgh stationiert gewesen, kannte daher die Zustände in der überfüllten Stadt, die wie ein zerrupftes Krähennest auf dem mächtigen Vulkanfelsen thronte. Philipp erinnerte sich an Sir Gordon, einem Parlamentsmitglied aus London. Vor einiger Zeit hatte Sir Gordon erwähnt, sein neu erbautes Edinburgher Stadthaus würde Freunden jederzeit zur Verfügung stehen. Philipp hoffte auf die Aufrichtigkeit des Angebots, sandte eine Nachricht an Sir Gordon und bat ihn, die Bediensteten über ihre Ankunft zu unterrichten.

      »Maureen, steige bitte wieder in die Kutsche, die Burg wird auch morgen noch da sein. Ich bin froh, wenn wir unser Ziel endlich erreicht haben«, sagte Philipp.

      Während der verbleibenden Fahrt starrte sie hinaus auf die vorüberziehende Landschaft. Sie knetete so nervös ihre Finger, dass die Gelenke knackten.

      »Sieh mal, das Nor’Loch ist fast völlig verschwunden!«, rief sie und drückte ihre Nase an die Scheibe. »Und da hinten wurde eine Brücke gebaut.«

      Endlich rumpelte die Kutsche über das Kopfsteinpflaster der Stadt. Es waren nur flüchtige Eindrücke, die Maureen und Philipp aufnahmen, sie bemerkten aber beide, dass sich die schottische Hauptstadt in den letzten Jahren stark verändert hatte. Im Norden, dort, wo sich früher ein Sumpfgelände befunden hatte, waren neue Straßen und Häuser entstanden. In diesem Gebiet, am Charlotte Square, einem quadratischen Platz, der den eleganten Wohnvierteln in London in nichts nachstand, befand sich auch das Haus von Sir Gordon. Das hohe und schmale Gebäude war im vergangenen Jahr fertig gestellt worden und lag inmitten einer Reihe von gleichartigen herrschaftlichen Wohnhäusern. In der Gesellschaft war es chic geworden, ein Haus in Edinburgh zu besitzen, auch wenn die Reise von Südenglang weit und anstrengend war, und die adligen Engländer nur selten das Land im Norden besuchten. Von den Schotten im Allgemeinen hielt man ohnehin nicht viel, aber Hauptsache, man folgte dem neuesten Trend. Schließlich wollte sich niemand nachsagen lassen, er könne sich kein Stadthaus leisten.

      Sie wurden bereits erwartet. Ein livrierter Diener führte Maureen, Philipp und Frederica in eine kleine Eingangshalle, dann sorgte er dafür, dass das Gepäck entladen wurde. Sie schlenderten durch das Haus, das von innen wesentlich geräumiger war, als sein Äußeres vermuten ließ. Im Erdgeschoss befanden sich neben der Halle die Bibliothek und ein kleineres Damenzimmer. Im ersten Obergeschoss lagen das Speisezimmer, der Salon und ein Raum, in den sich die Herren zum Rauchen zurückziehen konnten. Im nächsten Stockwerk waren drei Schlafzimmer, dann gab es noch zwei Dienstbotenkammern unterm Dach. Die Küche, Vorratsräume und weitere Dienstbotenquartiere befanden sich im Souterrain. Selbst das Kellergeschoss war gut ausgeleuchtet und durch einen Graben, den man sechs Fuß breit und neun Fuß tief zwischen sämtlichen Häusern gezogen hatte, gut belüftet. Der Graben war mit einem eisernen Geländer eingezäunt, und eine schmale Treppe führte zu dem separaten Kellereingang. Im ganzen Haus roch es nach Holz und frischer Farbe, und alle Räumlichkeiten waren mit modernen und hellen Möbeln eingerichtet.

      »Herzlich Willkommen, Sir … Mylady … Miss …« Ein junges, dünnes Mädchen mit einem starken schottischen Akzent knickte demütig. »Mein Name ist Jenny, ich werde Ihnen, Mylady, und Ihnen, Miss, als Zofe zur Hand gehen.«

      »Das ist sehr aufmerksam von Sir Gordon«, erwiderte Maureen freundlich. »Unsere eigene Zofe konnte uns leider nicht begleiten.«

      Ihre Zofe Nelly hatte Maureen nicht mitnehmen wollen, da sie niemandem den wahren Grund der plötzlichen Reise verraten hatte. Sie wusste nicht, was sie in Edinburgh erwartete – es konnte von Vorteil sein, wenn Nelly nicht wusste, dass sie ihre Eltern aufsuchen wollte.

      »Sie werden erschöpft sein«, fuhr Jenny fort. »Ich veranlasse sofort, dass ein Bad gerichtet wird, und die Köchin hat bereits alles für das Abendessen vorbereitet.«

      Ungeduldig schüttelte Maureen den Kopf. »Ich möchte sofort zu meinen Eltern«, sagte sie und holte den zerknitterten Brief mit der Adresse aus ihrer Rocktasche, wo sie ihn während der ganzen Reise aufbewahrt hatte.

      »Das halte ich für keine gute Idee«, gab Philipp zu bedenken. »Es wird bald dunkel. Wir sollten uns heute Abend ausruhen und morgen Vormittag erfrischt und in aller Form bei deinen Eltern vorsprechen. Maureen, wir haben eine lange und anstrengende Reise hinter uns. Frederica fallen vor Erschöpfung beinahe die Augen zu, und auch du siehst erschöpft aus.«

      »Ich werde nach dem Bad sofort ins Bett gehen.« Frederica gähnte hinter vorgehaltener


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