Der Nachsommer. Adalbert Stifter

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Der Nachsommer - Adalbert Stifter


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antwortete: „Wir haben eine Zeichnung gemacht, die ungefähr darstellte, wie die Füße und das Gerüste ausgesehen haben mögen.“

      Auf meine neue Frage, wie man denn das wissen könne, antwortete er: „Diese Dinge haben so gut wie bedeutendere Gegenstände ihre Geschichte, und aus dieser Geschichte kann man das Aussehen und den Bau derselben zusammensetzen. Im Verlaufe der Jahre haben sich die Gestaltungen der Geräte immer neu abgelöset, und wenn man auf diese Abfolge sein Augenmerk richtet, so kann man aus einem vorhandenen Ganzen auf verlorengegangene Teile schließen und aus aufgefundenen Teilen auf das Ganze gelangen. Wir haben mehrere Zeichnungen entworfen, in deren jede immer die Tischplatte einbezogen war, und haben uns auf diese Weise immer mehr der mutmaßlichen Beschaffenheit der Sache genähert. Endlich sind wir bei einer Zeichnung geblieben, die uns nicht zu widersprechend schien.“

      Auf meine Frage, ob er denn immer Arbeit für seine Anstalt habe, antwortete er: „Sie ist nicht gleich so entstanden, wie Ihr sie hier sehet. Anfangs zeigte sich die Lust an alten und vorelterlichen Dingen, und wie die Lust wuchs, sammelten sich nach und nach schon die Gegenstände an, die ihrer Wiederherstellung entgegensahen. Zuerst wurde die Ausbesserung bald auf diesem, bald auf jenem Wege versucht und eingeleitet. Viele Irrwege sind betreten worden. Indessen wuchs die Zahl der gesammelten Gegenstände immer mehr und deutete schon auf die künftige Anstalt hin. Als man in Erfahrung brachte, daß ich altertümliche Gegenstände kaufe, brachte man mir solche oder zeigte mir die Orte an, wo sie zu finden wären. Auch vereinigten sich mit uns hie und da Männer, welche auf die Dinge des Altertums ihr Augenmerk richteten, uns darüber schrieben und wohl auch Zeichnungen einsandten. So erweiterte sich unser Kreis immer mehr. Ungehörige Ausbesserungen aus früheren Zeiten gaben ebenfalls Stoff zu erneuerter Arbeit, und da wir anfangs auch an verschiedenen Orten arbeiten ließen und häufig genötigt waren, die Orte zu wechseln, ehe wir uns hier niederließen, so verschleppte sich manche Zeit, und die Arbeitsgegenstände mehrten sich. Endlich gerieten wir auch auf den Gedanken, neue Gegenstände zu verfertigen. Wir gerieten auf ihn durch die alten Dinge, die wir immer in den Händen hatten. Diese neuen Gegenstände wurden aber nicht in der Gestalt gemacht, wie sie jetzt gebräuchlich sind, sondern wie wir sie für schön hielten. Wir lernten an dem Alten; aber wir ahmten es nicht nach, wie es noch zuweilen in der Baukunst geschieht, in der man in einem Stile, zum Beispiele in dem sogenannten gotischen, ganze Bauwerke nachbildet. Wir suchten selbständige Gegenstände für die jetzige Zeit zu verfertigen mit Spuren des Lernens an vergangnen Zeiten. Haben ja selbst unsere Vorfahren aus ihren Vorfahren geschöpft, diese wieder aus den ihrigen, und so fort, bis man auf unbedeutende und kindische Anfänge stößt, Überall aber sind die eigentlichen Lehrmeister die Werke der Natur gewesen.

      „Sind solche neugemachte Gegehstände in Eurem Hause vorhanden?“ fragte ich.

      „Nichts von Bedeutung“, antwortete er, „einige sind ah verschiedenen Punkten der Gegend zerstreut, einige sind in einem anderen Orte als in diesem Hause gesammelt. Wenn Ihr Lust zu solchen Dingen habt, oder sie in Zukunft fassen solltet, und Euer Weg Euch wieder einmal hieher führt, so wird es nicht schwer sein, Euch an den Ort zu geleiten, wo Ihr mehrere unserer besten Gegenstände sehen könnt.“

      „Es sind der Wege sehr verschiedene“, erwiderte ich, „die die Menschen gehen, und wer weiß es, ob der Weg, der mich wegen eines Gewitters zu Euch heraufgeführt hat, nicht ein sehr guter Weg gewesen ist, und ob ich ihn nicht noch einmal gehe.“

      „Ihr habt da ein sehr wahres Wort gesprochen“, antwortete er, „die Wege der Menschen sind sehr verschiedene. Ihr werdet dieses Wort erst recht einsehen, wenn Ihr älten seid.“

      „Und habt Ihr dieses Haus eigens zu dem Zwecke der Schreinerei erbaut?“ fragte ich weiter.

      „Ja“, antwortete er, „wir haben es eigens zu diesem Zwecke erbaut. Es ist aber viel später entstanden als das Wohnhaus. Da wir einmal so weit waren, die Sachen zu Hause machen zu lassen, so war der Schritt ein ganz leichter, uns eine eigene Werkstätte hiefür einzurichten. Der Bau dieses Hauses war aber bei weitem nicht das Schwerste, viel schwerer war es, die Menschen zu finden. Ich hatte mehrere Schreiner, und mußte sie entlassen. Ich lernte nach und nach selber, und da trat mir der Starrsinn, der Eigenwille und das Herkommen entgegen. Ich nahm endlich solche Leute, die nicht Schreiner waren und sich erst hier unterrichten sollten. Aber auch diese hatten wie die frühern eine Sünde, welche in arbeitenden Ständen und auch wohl in andern sehr häufig ist, die Sünde der Erfolggenügsamkeit oder der Fahrlässigkeit, die stets sagt: ,Es ist so auch recht’, und die jede weitere Vorsicht für unnötig erachtet. Es ist diese Sünde in den unbedeutendsten und wichtigsten Dingen des Lebens vorhanden, und sie ist mir in meinen früheren Jahren oft vorgekommen. Ich glaube, daß sie die größten Übel gestiftet hat. Manche Leben sind durch sie verloren gegangen, sehr viele andere, wenn sie auch nicht verloren waren, sind durch sie unglücklich oder unfruchtbar geworden, Werke, die sonst entstanden wären, hat sie vereitelt, und die Kunst, und was mit derselben zusammenhängt, wäre mit ihr gar nicht möglich. Nur ganz gute Menschen in einem Fache, haben sie gar nicht, und aus denen werden die Künstler, Dichter, Gelehrten, Staatsmänner und die großen Feldherren. Aber ich komme von meiner Sache ab. In unserer Schreinerei machte sie bloß, daß wir zu nichts Wesentlichem gelangten. Endlich fand ich einen Mann, der nicht gleich aus der Arbeit ging, wenn ich ihn bekämpfte; aber innerlich mochte er recht oft erzürnt gewesen sein und über Eigensinn geklagt haben. Nach Bemühungen von beiden Seiten gelang es. Die Werke gewannen Einfluß, in denen das Genaue, und Zweckmäßige angestrebt war, und sie wurden zur Richtschnur genommen. Die Einsicht in die Schönheit der Gestalten wuchs, und das Leichte und Feine wurde dem Schweren und Groben vorgezogen. Er las Gehilfen auf und erzog sie in seinem Sinne. Die Begabten fügten sich bald. Es wurde die Chemie und andere Naturwissenschaften hergenommen, und im Lesen schöner Bücher wurde das Innere des Gemütes zu bilden versucht.“

      Er ging nach diesen Worten gegen den Mann, der mit dem Aussuchen der Hölzer nach dem vor ihm liegenden Plane der Tischplatte beschäftigt war, und sagte: „Wollt Ihr nicht die Güte haben, uns einige Zeichnungen zu zeigen, Eustach?“

      Der junge Mann, an den diese Worte gerichtet waren, erhob sich von seiner Arbeit und zeigte uns ein ruhiges, gefälliges Wesen. Er legte die grüne Tuchschürze ab, welche er vorgebunden hatte, und ging aus seiner Arbeitsstelle zu uns herüber. Es befand sich neben dieser Stelle in der Wand eine Glastür, hinter welcher grüne Seide in Falten gespannt war. Diese Tür öffnete er und führte uns in ein freundliches Zimmer. Das Zimmer hatte einen künstlich eingelegten Fußboden und enthielt mehrere breite, glatte Tische. Aus der Lade eines dieser Tische nahm der Mann eine große Mappe mit Zeichnungen, öffnete sie und tat sie auf der Tischplatte auseinander. Ich sah, daß diese Zeichnungen für mich zum Ansehen herausgenommen worden waren und legte daher die Blätter langsam um. Es waren lauter Zeichnungen von Bauwerken, und zwar teils im Ganzen, teils von Bestandteilen derselben. Sie waren sowohl, wie man sich ausdrückt, im Perspektive ausgeführt als auch in Aufrissen, in Längen- und Querschnitten. Da ich mich selber geraume Zeit mit Zeichnen beschäftigt hatte, wenn auch mit Zeichnen anderer Gegenstände, so war ich bei diesen Blättern schon mehr an meiner Stelle als bei den alten Geräten. Ich hatte immer bei dem Zeichnen von Pflanzen und Steinen nach großer Genauigkeit gestrebt und hatte mich bemüht, durch den Schwarzstift die Wesenheit derselben so auszudrücken, daß man sie nach Art und Gattung erkennen sollte. Freilich waren die vor mir liegenden Zeichnungen die von Bauwerken. Ich hatte Bauwerke nie gezeichnet, ich hatte sie eigentlich nie recht betrachtet. Aber andererseits waren die Linien, die hier vorkamen, die von großen Körpern, von geschichteten Stoffen und von ausgedehnten Flächen, wie sie bei mir auch an den Felsen und Bergen erschienen; oder sie waren die leichten Wendungen von Zieraten, wie sie bei mir die Pflanzen boten. Endlich waren ja alle Bauwerke aus Naturdingen entstanden, welche die Vorbilder gaben, etwa aus Felsenkuppen oder Felsenzacken oder selbst aus Tannen, Fichten oder anderen Bäumen. Ich betrachtete daher die Zeichnungen recht genau und sah sie um ihre Treue und Sachgemäßheit an. Als ich sie schon alle durchgeblättert hatte, legte ich sie wieder um und schaute noch einmal jedes einzelne Blatt an.

      Die Zeichnungen waren sämtlich mit dem Schwarzstifte ausgeführt. Es war Licht und Schatten angegeben, und die Linienführung war verstärkt oder gemäßigt, um nicht bloß die Körperlichkeit der Dinge, sondern auch das sogenannte Luftperspektive darzustellen. In


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