Der Nachsommer. Adalbert Stifter

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Der Nachsommer - Adalbert Stifter


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es, was die Leute meinem Vater übelnahmen, sondern sie sagten, er hätte mir einen Stand, der der bürgerlichen Gesellschaft nützlich ist, befehlen sollen, damit ich demselben meine Zeit und mein Leben widme und einmal mit dem Bewußtsein scheiden könne, meine Schuldigkeit getan zu haben.

      Gegen diesen Einwurf sagte mein Vater, der Mensch sei nicht zuerst der menschlichen Gesellschaft wegen da, sondern seiner selbst willen. Und wenn jeder seiner selbst willen auf die beste Art da sei, so sei er es auch für die menschliche Gesellschaft. Wen Gott zum besten Maler auf dieser Welt geschaffen hätte, der würde der Menschheit einen schlechten Dienst tun, wenn er etwa ein Gerichtsmann werden wollte: wenn er der größte Maler wird, so tut er auch der Welt den größten Dienst, wozu ihn Gott erschaffen hat. Dies zeige sich immer durch einen inneren Drang an, der einen zu einem Dinge führt, und dem man folgen soll. Wie könnte man denn sonst auch wissen, wozu man auf der Erde bestimmt ist, ob zum Künstler, zum Feldherrn, zum Richter, wenn nicht ein Geist da wäre, der es sagt, und der zu den Dingen führt, in denen man sein Glück und seine Befriedigung findet. Gott lenkt es schon so, daß die Gaben gehörig verteilt sind, so daß jede Arbeit getan wird, die auf der Erde zu tun ist, und daß nicht eine Zeit eintritt, in der alle Menschen Baumeister sind. In diesen Gaben liegen dann auch schon die gesellschaftlichen, und bei großen Künstlern, Rechtsgelehrten, Staatsmännern sei auch immer die Billigkeit, Milde, Gerechtigkeit und Vaterlandsliebe. Und aus solchen Männern, welche ihren innern Zug am weitesten ausgebildet, seien auch in Zeiten der Gefahr am öftesten die Helfer und Retter ihres Vaterlandes hervorgegangen.

      Es gibt solche, die sagen, sie seien zum Wohle der Menschheit Kaufleute, Ärzte, Staatsdiener geworden; aber in den meisten Fällen ist es nicht wahr. Wenn nicht der innere Beruf sie dahin gezogen hat, so verbergen sie durch ihre Aussage nur einen schlechten Grund, nämlich daß sie den Stand als ein Mittel betrachten, sich Geld und Gut und Lebensunterhalt zu erwerben. Oft sind sie auch, ohne weiter über eine Wahl mit sich zu Rate zu gehen, in den Stand geraten oder durch Umstände in ihn gestoßen worden und nehmen das Wohl der Menschheit in den Mund, das sie bezweckt hätten, um nicht ihre Schwäche zu gestehen. Dann ist noch eine eigene Gattung, welche immer von dem öffentlichen Wohle spricht. Das sind die, welche mit ihren eigenen Angelegenheiten in Unordnung sind. Sie geraten stets in Nöten, haben stets Ärger und Unannehmlichkeiten, und zwar aus ihrem eigenen Leichtsinne; und da liegt es ihnen als Ausweg neben der Hand, den öffentlichen Zuständen ihre Lage schuld zu geben, und zu sagen, sie wären eigentlich recht auf das Vaterland bedacht, und sie würden alles am besten in demselben einrichten. Aber wenn wirklich die Lage kömmt, daß das Vaterland sie beruft, so geht es dem Vaterlande, wie es früher ihren eigenen Angelegenheiten gegangen ist. In Zeiten der Verirrung sind diese Menschen die selbstsüchtigsten und oft auch grausamsten. Es ist aber auch kein Zweifel, daß es solche gibt, denen Gott den Gesellschaftstrieb und die Gesellschaftsgaben in besonderem Maße verliehen hat. Diese widmen sich aus innerem Antriebe den Angelegenheiten der Menschen, erkennen sie auch am sichersten, finden Freude in den Anordnungen und opfern oft ihr Leben für ihren Beruf. Aber in der Zeit, in der sie ihr Leben opfern, sei sie lange oder sei sie ein Augenblick, empfinden sie Freude, und diese kömmt, weil sie ihrem innern Andrange nachgegeben haben.

      Gott hat uns auch nicht bei unseren Handlungen den Nutzen als Zweck vorgezeichnet, weder den Nutzen für uns noch für andere, sondern er hat der Ausübung der Tugend einen eigenen Reiz und eine eigene Schönheit gegeben, welchen Dingen die edlen Gemüter nachstreben. Wer Gutes tut, weil das Gegenteil dem menschlichen Geschlechte schädlich ist, der steht auf der Leiter der sittlichen Wesen schon ziemlich tief. Dieser müßte zur Sünde greifen, sobald sie dem menschlichen Geschlechte oder ihm Nutzen bringt. Solche Menschen sind es auch, denen alle Mittel gelten, und die für das Vaterland, für ihre Familie und für sich selber das Schlechte tun. Solche hat man zu Zeiten, wo sie im Großen wirkten, Staatsmänner geheißen, sie sind aber nur Afterstaatsmänner, und der augenblickliche Nutzen, den sie erzielten, ist ein Afternutzen gewesen und hat sich in den Tagen des Gerichtes als böses Verhängnis erwiesen.

      Daß bei dem Vater kein Eigennutz herrschte, beweist der Umstand, daß er im Rate der Stadt ein öffentliches Amt unentgeltlich verwaltete, daß er öfter die ganze Nacht in diesem Amte arbeitete, und daß er bei öffentlichen Dingen immer mit bedeutenden Summen an der Spitze stand.

      Er sagte, man solle mich nur gehen lassen, es werde sich aus dem Unbestimmten schon entwickeln, wozu ich taugen werde und welche Rolle ich auf der Welt einzunehmen hätte.

      Ich mußte meine körperlichen Übungen fortsetzen. Schon als sehr kleine Kinder mußten wir so viele körperliche Bewegungen machen, als nur möglich war. Das war einer der Hauptgründe, weshalb wir im Sommer auf dem Lande wohnten, und der Garten, welcher bei dem Vorstadthause war, war einer der Hauptbeweggründe, weshalb der Vater das Haus kaufte. Man ließ uns als kleine Kinder gewöhnlich so viel gehen und laufen, als wir selber wollten, und machte nur ein Ende, wenn wir selber aus Müdigkeit ruhten. Es hatte in der Stadt sich eine Anstalt entwickelt, in welcher nach einer gewissen Ordnung Leibesbewegungen vorgenommen werden sollten, um alle Teile des Körpers nach Bedürfnis zu üben und ihrer naturgemäßen Entfaltung entgegenzuführen. Diese Anstalt durfte ich besuchen, nachdem der Vater den Rat erfahrener Männer eingeholt und sich selber durch den Augenschein von den Dingen überzeugt hatte, die da vorgenommen wurden. Für Mädchen bestand damals eine solche Anstalt nicht, daher ließ der Vater für die Schwester in einem Zimmer unserer Wohnung so viele Vorrichtungen machen, als er und unser Hausarzt, der ein Begünstiger dieser Dinge war, für notwendig erachteten, und die Schwester mußte sich den Übungen unterziehen, die durch die Vorrichtungen möglich waren. Durch die Erwerbung des Vorstadthauses wurde die Sache noch mehr erleichtert. Nicht nur hatten wir mehr Raum im Innern des Hauses, um alle Vorrichtungen zu Körperübungen in besserem und ausgedehnterem Maße anlegen zu können, sondern es war auch der Hofraum und der Garten da, in denen an sich körperliche Übungen vorgenommen werden konnten, und die auch weitere Anlagen möglich machten. Daß wir diese Sachen sehr gerne taten, begreift sich aus der Feurigkeit und Beweglichkeit der Jugend von selber. Wir hatten schon in der Kindheit schwimmen gelernt und gingen im Sommer fast täglich, selbst da wir in der Vorstadt wohnten, von wo aus der Weg weiter war, in die Anstalt, in welcher man schwimmen könnte. Selbst für Mädchen waren damals schon eigene Schwimmanstalten errichtet. Auch außerdem machten wir gerne weite Wege, besonders im Sommer. Wenn wir im Freien außer der Stadt waren, erlaubten die Eltern, daß ich mit der Schwester einen besonderen Umgang halten durfte. Wir übten uns da im Zurücklegen bedeutender Wege oder in Besteigung eines Berges. Dann kamen wir wieder an den Ort zurück, an welchem uns die Eltern erwarteten. Anfangs ging meistens ein Diener mit uns, später aber, da wir erwachsen waren, ließ man uns allein gehen. Um besser und mit mehr Bequemlichkeit für die Eltern an jede beliebige Stelle des Landes außerhalb der Stadt gelangen zu können, schaffte der Vater in der Folge zwei Pferde an, und der Knecht, der bisher Gärtner und gelegentlich unser Aufseher gewesen war, wurde jetzt auch Kutscher. In einer Reitschule, in welcher zu verschiedenen Zeiten Knaben und Mädchen lernen konnten, hatten wir reiten gelernt und hatten später unsere bestimmten Wochentage, an denen wir uns zu gewissen Stunden im Reiten üben konnten. Im Garten hatte ich Gelegenheit, nach einem Ziele zu springen, auf schmalen Planken zu gehen, auf Vorrichtungen zu klettern und mit steinernen Scheiben nach einem Ziele oder nach größtmöglichster Entfernung zu werfen. Die Schwester, so sehr sie von der Umgebung als Fräulein behandelt wurde, liebte es doch sehr, bei sogenannten gröberen häuslichen Arbeiten zuzugreifen, um zu zeigen, daß sie diese Dinge nicht nur verstehe, sondern an Kraft auch die noch übertreffe, welche von Kindheit an bei diesen Arbeiten gewesen sind. Die Eltern legten ihr bei diesem Beginnen nicht nur keine Hindernisse in den Weg, sondern billigten es sogar. Außerdem trieb sie noch das Lesen ihrer Bücher, machte Musik, besonders auf dem Klaviere und auf der Harfe, zu der sie auch sang, und malte mit Wasserfarben.

      Als ich den letzten Lehrer verlor, der mich in Sprachen unterrichtet hatte, als ich in denjenigen wissenschaftlichen Zweigen, in welchen man einen längeren Unterricht für nötig gehalten hatte, weil sie schwieriger oder wichtiger waren, solche Fortschritte gemacht hatte, daß man einen Lehrer nicht mehr für notwendig erachtete, entstand die Frage, wie es in bezug auf meine erwählte wissenschaftliche Laufbahn zu halten sei, ob man da einen gewissen Plan entwerfen und zu dessen Ausführung Lehrer annehmen sollte. Ich bat, man möchte mir gar keinen Lehrer mehr nehmen, ich würde die Sachen schon selber zu betreiben suchen.


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