Der Nachsommer. Adalbert Stifter

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Der Nachsommer - Adalbert Stifter


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immer weiter gegen Sonnenuntergang vor. Ich streifte weit und breit herum und war oft mehrere Tage von meiner Wohnung abwesend. Ich ging die einsamen Pfade, welche zwischen den Feldern oder Weingeländen hinliefen und sich von Dorf zu Dorf, von Ort zu Ort zogen und manche Meilen, ja Tagereisen in sich begriffen. Ich ging auf den abgelegenen Waldpfaden, die in Stammholz oder Gebüschen verborgen waren und nicht selten im Laubwerk, Gras oder Gestrüppe spurlos endeten. Ich durchwanderte oft auch ohne Pfad Wiesen, Wald und sonstige Landflächen, um die Gegenstände zu finden, welche ich suchte. Daß wenige von unseren Stadtbewohnern auf solche Wege kommen, ist begreiflich, da sie nur kurze Zeit zu dem Genusse des Landlebens sich gönnen können und in derselben auf den breiten herkömmlichen Straßen des Landvergnügens bleiben und von anderen Pfaden nichts wissen. An der Mittagseite war das ganze Hügelland viele Meilen lang von Hochgebirge gesäumt. Auf einer Stelle der Basteien unserer Stadt kann man zwischen Häusern und Bäumen ein Fleckchen Blau von diesem Gebirge sehen. Ich ging oft auf jener Bastei, sah oft dieses kleine blaue Fleckchen und dachte nichts weiter als: das ist das Gebirge. Selbst da ich von dem Hause meines ersten Sommeraufenthaltes einen Teil des Hochgebirges erblickte, achtete ich nicht weiter darauf. Jetzt sah ich zuweilen mit Vergnügen von einer Anhöhe oder von dem Gipfel eines Hügels ganze Strecken der blauen Kette, welche in immer undeutlicheren Gliedern ferner und ferner dahinlief. Oft, wenn ich durch wilde Gestrüppe plötzlich auf einen freien Abriß kam und mir die Abendröte entgegenschlug, weithin das Land in Duft und roten Rauch legend, so setzte ich mich nieder, ließ das Feuerwerk vor mir verglimmen, und es kamen allerlei Gefühle in mein Herz.

      Wenn ich wieder in das Haus der Meinigen zurückkehrte, wurde ich recht freudig empfangen, und die Mutter gewöhnte sich an meine Abwesenheiten, da Ich stets gereifter von ihnen zurückkam. Sie und die Schwester halfen mir nicht selten, die Sachen, die ich mitbrachte, aus ihren Behältnissen auspacken, damit, ich sie in den Räumen, die hiezu bestimmt waren, ordnen konnte.

      So war endlich die Zeit gekommen, in welcher es der Vater für geraten fand, mir die ganze Rente der Erbschaft des Großoheims zu freier Verfügung zu übertragen. Er sagte, ich könne mit diesem Einkommen verfahren, wie es mir beliebe, nur müßte ich damit ausreichen. Er werde mir auf keine Weise aus dem Seinigen etwas beitragen, noch mir je Vorschüsse machen, da meine Jahreseinnahme so reichlich sei, daß sie meine jetzigen Bedürfnisse, selbst wenn sie noch um vieles größer würden, nicht nur hinlänglich decke, sondern daß. sie selbst auch manche Vergnügungen bestreiten könne, und daß doch noch etwas übrigbleiben dürfte. Es liege somit in meiner Hand, für die Zukunft, die etwa größere Ausgaben bringen könnte, mir auch eine größere Einnahme zu sichern. Meine Wohnung und meinen Tisch dürfe ich nicht mehr, wenn ich nicht wolle, in dem Hause der Eltern nehmen, sondern wo ich immer wollte. Das Stammvermögen selber werde er an dem Orte, an welchem es sich bisher befand, liegen lassen. Er fügte bei, er werde mir dasselbe, sobald ich das vierundzwanzigste Jahr erreicht habe, einhändigen. Dann könne ich es nach meinem eigenen Ermessen verwalten. „Ich rate dir aber“, fuhr er fort, „dann nicht nach einer größeren Rente zu geizen, weil eine solche meistens nur mit einer größeren Unsicherheit des Stammvermögens zu erzielen ist. Sei immer deines Grundvermögens sicher und mache die dadurch entstehende kleinere Rente durch Mäßigkeit größer. Solltest du den Rat deines Vaters einholen wollen, so wird dir derselbe nie entzogen werden. Wenn ich sterbe oder freiwillig aus den Geschäften zurücktrete, so werdet ihr beide auch noch von mir eine Vermehrung eures Eigentums erhalten. Wie groß dieselbe sein wird, kann ich noch nicht sagen, ich bemühe mich, durch Vorsicht und durch gut gegründete Geschäftsführung sie so groß als möglich und auch so sicher als möglich zu machen; aber alle stehen wir in der Hand des Herrn, und er kann durch Ereignisse, welche kein Menschenauge vorher sehen kann, meine Vermögensumstände bedeutend verändern. Darum sei weise und gebare mit dem Deinigen, wie du bisher zu meiner und zur Befriedigung deiner Mutter getan hast.“

      Ich war gerührt über die Handlungsweise meines Vaters und dankte ihm von ganzem Herzen. Ich sagte, daß ich mich stets bestreben werde, seinem Vertrauen zu entsprechen, daß ich ihn inständig um seinen Rat bitte, und daß ich in Vermögensangelegenheiten wie in anderen nie gegen ihn handeln, und daß ich auch nicht den kleinsten Schritt tun wolle, ohne nach diesem Rat zu verlangen. Eine Wohnung außer dem Hause zu beziehen, solange ich in unserer Stadt lebe, wäre mir sehr schmerzlich, und ich bitte in dem Hause meiner Eltern und an ihrem Tische bleiben zu dürfen, solange Gott nicht selber durch irgendeine Schickung eine Änderung herbeiführe.

      Der Vater und die Mutter waren über die Worte erfreut. Die Mutter sagte, daß sie mir zu meiner bisherigen Wohnung, die mir doch als einem nunmehr selbständigen. Manne besonders bei meinen jetzigen Verhältnissen zu klein werden dürfte, noch einige Räumlichkeiten zugeben wolle, ohne daß darum der Preis unverhältnismäßig wachse. Ich war natürlicherweise mit allem einverstanden. Ich mußte gleich mit der Mutter gehen und die mir zugedachte Vergrößerung der Wohnung besehen. Ich dankte ihr für ihre Sorgfalt. Schon in den nächsten Tagen richtete ich mich in der neuen Wohnung ein.

      Den Winter benutzte ich zum Teile mit Vorbereitungen, um im nächsten Sommer wieder große Wanderungen machen zu können. Ich hatte mir vorgenommen, nun endlich einmal das Hochgebirge zu besuchen und in ihm so weit herumzugehen, als es mir zusagen würde.

      Als der Sommer gekommen war, fuhr ich von der Stadt auf dem kürzesten Wege in das Gebirge. Von dem Orte meiner Ankunft aus wollte ich dann in ihm längs seiner Richtung von Sonnenaufgang nach Sonnenuntergang zu Fuße fortwandern. Ich begab mich sofort auf meinen Weg. Ich ging den Tälern entlang, selbst wenn sie von meiner Richtung abwichen und allerlei Windungen verfolgten. Ich suchte nach solchen Abschweifungen immer meinen Hauptweg wiederzugewinnen. Ich stieg auch auf Bergjoche und ging auf der entgegengesetzten Seite wieder in das Tal hinab. Ich erklomm manchen Gipfel und suchte von ihm die Gegend zu sehen und auch schon die Richtung zu erspähen, in welcher ich in nächster Zeit vordringen würde. Im ganzen hielt ich mich stets, soweit es anging, nach dem Hauptzuge des Gebirges und wich von der Wasserscheide so wenig als möglich ab.

      In einem Tale an einem sehr klaren Wasser sah ich einmal einen toten Hirsch. Er war gejagt worden, eine Kugel hatte seine Seite getroffen, und er mochte das frische Wasser gesucht haben, um seinen Schmerz zu kühlen. Er war aber an dem Wasser gestorben. Jetzt lag er an demselben so, daß sein Haupt in den Sand gebettet war und seine Vorderfüße in die reine Flut ragten. Ringsum war kein lebendiges Wesen zu sehen. Das Tier gefiel mir so, daß ich seine Schönheit bewunderte und mit ihr großes Mitleid empfang. Seih Auge war noch kaum gebrochen, es glänzte noch in einem schmerzlichen Glanze, und, dasselbe, sowie das Antlitz, das mir fast sprechend erschien, war gleichsam ein Vorwurf gegen seine Mörder. Ich griff den Hirsch an, er war noch nicht kalt. Als ich eine Weile bei dem toten Tiere gestanden war, hörte ich Laute in den Wäldern des Gebirges, die wie Jauchzen und wie Heulen von Hunden klangen. Diese Laute kamen näher, waren deutlich zu erkennen, und bald sprang ein Paar schöner Hunde über den Bach, denen noch einige folgten. Sie näherten sich mir. Als sie aber den fremden Mann bei dem Wilde sahen, blieben einige in der Entfernung stehen und bellten heftig gegen mich, während andere heulend weite Kreise um mich zogen, in ihnen dahinflogen und in Eilfertigkeit sich an Steinen überschlugen und überstürzten. Nach geraumer Zeit kamen auch Männer mit Schießgewehren. Als sich diese dem Hirsche genähert hatten und neben mir standen, kamen auch die Hunde herzu, hatten vor mir keine Scheu mehr, beschnupperten mich und bewegten sich, und zitterten um das Wild herum. Ich entfernte mich, nachdem die Jäger auf dem Schauplatze erschienen Waren, sehr bald von ihm.

      Bisher hatte ich keine Tiere zu meinen Bestrebungen in der Naturgeschichte aufgesucht, obwohl ich die Beschreibungen derselben eifrig gelesen und gelernt hatte. Diese Vernachlässigung der leiblichen wirklichen Gestalt war bei mir so weit gegangen, daß ich, selbst da ich einen Teil des Sommers schon auf dem Lande zubrachte, noch immer die Merkmale von Ziegen, Schafen, Kühen aus meinen Abbildungen nicht nach den Gestalten suchte, die vor mir wandelten.

      Ich schlug jetzt einen andern Weg ein. Der Hirsch, den ich gesehen hatte, schwebte mir immer vor den Augen. Er war ein edler gefallner Held und war ein reines Wesen. Auch die Hunde, seine Feinde, erschienen mir berechtigt wie in ihrem Berufe. Die schlanken, springenden und gleichsam geschnellten Gestalten blieben mir ebenfalls vor den Augen. Nur die Menschen, welche das Tier geschossen hatten, waren mir widerwärtig, da sie daraus gleichsam ein Fest gemacht hatten. Ich fing von der Stunde


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