Im Schwindeln eine Eins. Marie Louise Fischer

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Im Schwindeln eine Eins - Marie Louise Fischer


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ich gar nicht verstehen.“

      „Sie ist jetzt schon zwanzig, Tessie – das ist eine Zeit, weißt du, wo ein junges Mädchen anfängt, ans Heiraten zu denken.“

      „Anfängt? Ruth denkt doch schon dauernd daran. Warum eigentlich? Sie haťs doch gut bei uns zu Hause, und Vater braucht sie im Büro. Sie verdient genug, sie hat anzuziehen, was sie will … sie kriegt alles erlaubt. Warum will sie dann unbedingt heiraten?“

      „Das verstehst du nicht, Tessie.“

      „Hätte ich mir denken können.“

      Als die Küche aufgeräumt war, zog Tessie sich in ihr Zimmer zurück und machte sich an die Schulaufgaben. Das Lernen fiel ihr nicht schwer, wenn sie wollte. In knapp zwei Stunden war sie mit allem fertig, außer dem Aufsatz über die Elefanten. Sie sah auf ihre Armbanduhr und ärgerte sich selbst, daß sie Ruths Angebot nicht angenommen hatte.

      Warum war sie nicht ins Kino gegangen? Ruths Verehrer waren immer langweilig und zimperlich, der neue würde auch nicht besser sein. Was hatte sie hier zu Hause verloren? Am besten wäre es, sie fragte mal nach, ob Ruth ihr Angebot aufrechterhielt.

      Tessie schlenderte über den Flur, schaute im Vorbeigehen in die Küche, wo die Mutter damit beschäftigt war, Kaffee zu kochen, öffnete die Tür zu Ruths Zimmer – die große Schwester war nirgends zu finden. Auch im Wohnzimmer war niemand, die Türen zur Dachterrasse standen weit offen.

      Tessie hörte Ruths Stimme, in jenem, wie ihr schien, affektierten Ton, in dem sie immer zu ihren Verehrern sprach: „Ach, Heino“, sagte sie gerade, „ich versteh dich gar nicht. Moderne Malerei ist doch furchtbar interessant. Natürlich muß man sich ein bißchen damit beschäftigen. Aber glaub mir, es lohnt sich wirklich. Picasso zum Beispiel …“

      Tessie nahm einen Tennisball, der – sie wußte selber nicht wie – in den großen kupfernen Aschenbecher auf den Rauchtisch geraten war, ließ ihn hüpfen und trat auf die Terrasse hinaus. Sie ging, den Tennisball immer wieder zu Boden schlagend, bis zur Brüstung und wieder zurück und tat so, als wenn sie weder Ruth noch ihren Freund bemerkte. Dabei beobachtete sie die beiden scharf aus den Augenwinkeln. Sie saßen nebeneinander in der HollywoodSchaukel – Tessie fand das kitschig –, und Ruth redete auf den jungen Mann ein, der eine Zigarette rauchte und dabei Ringe in die Luft blies.

      „Hallo, junge Dame“, rief der junge Mann plötzlich.

      Tessie fuhr herum und starrte ihn an. Sie ärgerte sich, weil sie über und über rot wurde.

      „Das ist nur meine kleine Schwester“, sagte Ruth herablassend. „Ein schreckliches Kind. Am besten, du läßt dich gar nicht erst mit ihr ein.“

      Tessie konnte sich nicht mehr halten. Sie wies mit ihrem nicht mehr sehr sauberen Zeigefinger auf Ruth und sagte: „Das ist meine große Schwester – mit der würde ich mich an Ihrer Stelle auch nicht einlassen, sie ist nämlich eine furchtbar alberne Ziege!“

      „Tessie!“ Ruth war mit einem Satz auf beiden Beinen.

      In diesem Augenblick trat Frau Tobruck mit dem Kaffeetablett auf die Terrasse. „Mutter!“ sagte Ruth, „du mußt Tessie unbedingt mal verhauen. Sie benimmt sich dermaßen unverschämt, es ist nicht zu beschreiben! “

      „Du hast angefangen!“ trompete Tessie. „Ich habe dir überhaupt nichts getan, da hast du gesagt …“

      „Tessie!“ sagte die Mutter ärgerlich. „Was hast du überhaupt hier zu suchen? Du weißt doch, daß Ruth Besuch hat.“

      „Natürlich weiß ich das. Warum darf ich mir den jungen Mann nicht mal ansehen? Ich denke, sie hat ihn eingeladen, um ihn der Familie vorzustellen?“

      „Dir doch nicht!“ rief Ruth. „Den Eltern!“

      „Hör mal, Ruth“, sagte Heino, „ich finde, Tessie hat ganz recht. Sie hat dir ja gar nichts getan, sondern bloß mit dem Ball gespielt.“ Der junge Mann stand auf und trat auf Tessie zu. „Tag, Tessie“, sagte er und reichte ihr die Hand. „Ich bin Heino Tillmann, stud. med. im neunten Semester.“

      „Neun Semester!“ Tessie riß die Augen auf. „Wieviel müssen Sie denn da noch?“

      „Na, mehr als die Hälfte habe ich jedenfalls überstanden.“

      „Dann können Sie wohl bald heiraten, wie?“

      „Tessie!“ rief Ruth dazwischen. „Du benimmst dich unmöglich!“

      „Na, ich werd doch wohl fragen dürfen.“

      „Natürlich darfst du das“, sagte Heino und grinste. „Und um dir eine klare Antwort zu geben – mit dem Heiraten werde ich noch ein paar Jahre warten müssen, denn wenn ich meine Prüfungen gemacht habe, muß ich erst noch als Assistenzarzt arbeiten und so weiter. Es wird einige Zeit dauern, bis ich eine eigene Praxis aufmachen kann.“

      „Gott sei Dank“, sagte Tessie.

      „Wieso freut dich das denn?“

      Tessie wollte schon antworten, da sah sie, daß Ruth vor Verzweiflung den Tränen nahe war. Sie verkniff sich ihre freche Bemerkung und sagte statt dessen: „Wenn Sie soviel studiert haben …“

      „Du kannst ruhig,du’zu mir sagen!“

      „Wirklich? Fein. Also, Heino, kannst du mir zufällig etwas über Elefanten erzählen?“

      „Ich will ja nicht Tierarzt werden. Wozu brauchst du denn das?“

      „Aufsatz.’’

      „Dann wirst du die Elefanten doch sicher vorher durchgenommen haben.“

      „Nö. Überhaupt nicht. Ich muß den Aufsatz ja auch für Mathematik schreiben.“

      „Bitte, Heino, komm jetzt“, drängte Ruth. „Der Kaffee wird sonst kalt.“ Sie faßte Heino unter den Arm und zog ihn zu dem gedeckten Tisch. „Es hat wirklich keinen Sinn, sich mit Tessie zu unterhalten“, sagte sie leise, „sie ist ein gräßliches Kind. So was von verlogen kannst du dir nicht vorstellen.“

      „Du brauchst gar nicht zu flüstern, Ruth“, rief Tessie böse, „ich verstehe trotzdem, was du sagst! Daß du es nur weißt, ich lüge nicht. Ich muß einen Aufsatz über Elefanten in Mathematik schreiben. Was kann ich denn dafür?“

      „So was gibt’s doch gar nicht“, sagte die Mutter.

      „Bitte, dann frag den Hiltermann. Ja, bitte, fragt ihn doch, wenn ihr es nicht glauben wollt! Ihr seid alle so gemein! Ihr könnt immer nur auf mir herumhacken, anstatt mir zu helfen.“ Tessie war nahe daran, in Tränen auszubrechen.

      „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“, sagte Ruth ungerührt.

      „Paß mal auf, Tessie, ich will dir einen Tip geben“, versuchte Heino Tessie zu helfen. „Ihr habt dich sicher ein Lexikon oder Brehms Tierleben – schau doch da mal nach unter Elefanten. Bestimmt steht da ’ne Menge drin, was du brauchen kannst. Willst du das nicht versuchen?“

      „Auf alle Fälle verschwinde jetzt hier!“ sagte Ruth wütend. „Wir haben genug von deiner Unterhaltung.“

      „Ja, Tessie … bitte, hol den Vater!“ sagte die Mutter. „Und sei nicht traurig, wir lassen dir bestimmt noch Kuchen übrig.“

      Tessie wandte sich um und ging hocherhobenen Hauptes davon, jeder Zoll eine beleidigte Schönheit. Sie knallte die Wohnzimmertür hinter sich zu, daß es nur so schepperte. Aber auch das war nur ein geringer Trost für die Demütigung, die ihre Familie ihr wieder einmal zugefügt hatte.

      Mondscheinpartie

      Tessie hatte ihren Elefantenaufsatz gerade mühsam zusammengestoppelt, als die Mutter ins Zimmer trat. „Hör mal, Tessie“, sagte sie freundlich, „Vater will uns alle morgen früh zum See hinausfahren. Wenn sich das Wetter hält, natürlich nur … ist das nicht fein?“

      „Ja!“ sagte Tessie zögernd, denn sie wußte


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