Covent Garden Ladies: Ein Almanach für den Herrn von Welt. Хэлли Рубенхолд

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Covent Garden Ladies: Ein Almanach für den Herrn von Welt - Хэлли Рубенхолд


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laut ausposauntes Jakobitentum bekannte verleumderische Publikation, rollte so lange von einer versteckten Druckerpresse, bis die Behörden sie 1728 schließlich aufspürten und kurz und klein schlugen. Auch wenn sie ihr gehöriges Pensum im Gefängnis und am Pranger zu leisten haben, setzen Mist und seine zahlreichen Kollegen die Veröffentlichung ihrer Schmähschriften fort, nun unter dem Mantel des Fog’s Weekly Journal. Eine Reihe von Razzien macht bald jedoch auch diesem Unternehmen ein Ende. Zu der Handvoll regierungsfeindlicher Schreiber, die im Zuge der Verhaftungen dingfest gemacht werden, gehört auch Harris’ Vater.

      Wieder einmal erhofft sich Harris senior, nun in einem kleinen Gefängnisloch in der Nachbarschaft eingesperrt, in seiner Notlage Hilfe von seinen Freunden und politischen Verbündeten, doch keiner kommt. Jack erzählt: »Da niemand die Kaution stellte, blieb er mehrere Wochen dort in der Zelle. Kaum hatten sie von seinem Missgeschick Nachricht erhalten, ließen ihn all seine Genossen sogleich im Stich.« Sein Vater sei bald in eine unheilbar tiefe Depression gesunken. Und es wird alles nur schlimmer. Da die Behörden sein Verbrechen als sehr schwerwiegend betrachten, wird Harris senior ins King’s-Bench-Gefängnis verlegt und »zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren verurteilt«. Darüber hinaus wird »eine Geldstrafe von fünfhundert Pfund gegen ihn verhängt«, für Menschen in der Situation der Familie Harris eine erdrückend hohe Summe. Während dieser Zeit, Mitte der dreißiger Jahre, stattet Jack seinem Vater regelmäßig Besuche ab, »obzwar sein Wärter vorwandte, ausdrückliche Weisung erhalten zu haben, niemanden zu ihm zu lassen«. Rückblickend spricht Jack von der tiefen Wirkung, die es auf ihn gemacht habe, seinen Vater in einer so niedergeschlagenen und mitgenommenen Verfassung zu erleben. Harris senior war ein gebrochener Mann:

      Sein Unglück hatte sein natürliches Gemüt zu einem solchen Grade verbittert, dass er zu einem ausgemachten Menschenfeinde geriet. Die schändliche Behandlung, die er von beiden Seiten erfahren, hatte ihm den größten Abscheu gegenüber allen eingeflößt, und er schien nun ob seiner Gefangenschaft vor Kummer zu vergehn, allein weil es ihm nun an jeder Gelegenheit gebrach, die Welt so zu hintergehen, wie diese zuvor ihn hintergangen.

      Betrogen, entkräftet und krank, legt Harris senior seinem Sohn dringlich ans Herz, aus den Fehlern seines Vaters zu lernen und sich nicht an das Streben nach einem ehrlichen Leben zu verschwenden. Seine letzte väterliche Geste besteht darin, nach der Feder zu greifen, und seine Ratschläge zu Papier zu bringen. In seinem »Wholesome Advice to His Son for His Conduct in Life« (Hochnützlicher Fingerzeig für seinen Sohn, dessen Lebens-Conduite betreffend) fasst er all jene Gedanken zusammen, die er seinem Kinde bei ihrem Zusammensein in der Zelle vorgetragen hat. Da er kein Vermögen sein Eigen nenne, habe eine konventionelle Erziehung für ihn keinen Sinn, gemahnt Harris senior seinen Jungen. Zumindest habe er selbst die Erfahrung gemacht, dass es, wolle man »zu Geld kommen, kein größeres Hindernis« gebe, »als Bildung«. »Nein, mein Sohn«, fährt er fort, »ich habe dafür Sorge getragen, dich für ein ganz anderes Geschäft vorzubereiten«:

      Willst du Reichtum erlangen, mein Sohn – studiere die menschlichen Leidenschaften; benutze sie. Strebt ein Mann ehrgeizig nach Ruhm – setze Himmel und Erde in Bewegung, um aus ihm den größten Patrioten aller Zeiten zu machen; aber sichere dir deine Belohnung, bevor du seiner Reputation den tödlichen Streich versetzt. Liebt er das Huren – so ist die Kuppelei ein blühendes Geschäft. Sie muss ein rechtschaffenes Gewerbe sein, sonst würde es so mancher, der es heute ausübt, nicht betreiben. Will er einen Sitz im Parlament – stimme für ihn, besteche für ihn, schwöre für ihn; nichts von alledem ist von Übel. Ein allzu gewissenhafter Mann mag Einwände gegen einen Eid haben, weil er falsch ist; doch könnte er ja auch wahr sein. Lies ihn nicht, und dann wirst du das auch nicht wissen; auch nehmen sie ihn dir so schnell ab, dass du ihn nicht verstehst, selbst wenn du es eigentlich könntest. Wenn dein Gönner die Karten liebt, übe die Geschicklichkeit deiner Hand und betrüge, was du kannst. Sei vorsichtig, lass dich nicht ertappen, und wenn es doch geschieht, so fluche und tobe, fordere zum Kampf und töte, dann ist deine Ehre wiederhergestellt. Dies wird jeden Tag sehr erfolgreich so gehalten; nichts wäscht den Schandfleck der Niedertracht besser ab, als das Blut des Mannes, gegen den du dich versündigt hast! Lass die Gewissenszweifel nicht die Überhand gewinnen. Will man es in der Welt zu etwas bringen, darf man von jenem Gut kein Körnchen im Leibe haben.

      Auch wenn er über die Empfehlungen seines Vaters zunächst entsetzt ist, lernt Harris schließlich doch, die Logik hinter ihnen zu begreifen. Als ihm dieses Vermächtnis seines Vaters nach dessen Tod ausgehändigt wird, geht ihm die Eindringlichkeit seiner Botschaft tief zu Herzen.

      Bei seinem Ableben hat Harris senior seiner Familie nichts als die Aussicht auf den Hungertod hinterlassen. Er hat auch die Saat des Lasters in seinen jüngsten Sohn gepflanzt. Gewappnet mit des Vaters Ratschlägen, die er »als mein einziges persönliches Besitztum« betrachtet, stürzt er sich kopfüber in eine kriminelle Karriere. Um das Vertrauen der Gesellschaft zu gewinnen, besteht sein erster Schritt darin, sich eine überzeugende Erscheinung zuzulegen, mit der passenden Kleidung und dem richtigen Auftreten, und in die Rolle eines ehrenwerten Gentlemans zu schlüpfen. Hierbei sind »Unkunde und Unverschämtheit, die ja fürwahr die Errungenschaften des modernen Menschen erst so groß machen, die einzigen Ansprüche auf diesen Rang«, die er geltend machen kann. Leider bedarf es, wie er einräumt, einiger minder erfolgreicher Anläufe, bis er seine wahre Berufung entdeckt. Zuerst trifft er Anstalten, ein Politrabauke und Beutelschneider zu werden, der vom Eintreiben von Bestechungsgeldern lebt. Für diesen Zweck habe er »ein Haus in Westminster bezogen, in der Hoffnung, durch Wahlen mein Vermögen zu machen. Da aber zunächst keine allgemeinem Wahlen folgten, musste ich, nebst meinem Hause, all meine diesbezüglichen Hoffnungen aufgeben.« Daraufhin versucht Harris sein Glück als Falschspieler und übt sich in der Kunst, wie man »beim Spiel betrügt«, muss aber zu seinem großen Bedauern feststellen, dass es ihm »wenig fruchtet«, da er »im Rechnen unbegabt und in den Zahlen nicht firm« ist. Kurze Zeit später erkennt er dann irgendwann, wo seine eigentlichen Begabungen liegen. Dienstfertig gibt das Schicksal seinem vorbestimmten Lebensweg endlich die seiner Persönlichkeit entgegenkommende Wende, so dass ihm sein wahres Ziel in den Blick tritt. »Die Natur«, verkündet er rundheraus, »hat mich zum Kuppler geschaffen.«

      So weit Harris’ traurige Geschichte. Jene, die sie nach ihrem Erscheinen im Rahmen der Memoirs of the Celebrated Miss Fanny Murray gelesen haben, dürften dem aufrichtig-ernsten Tonfall des Erzählers sauber auf den Leim gegangen sein. Es war eine Geschichte, die gut zur seiner angenommenen Identität passte, seiner Legende Leben und Substanz gab. Da Jack Harris es freilich generell vorzog, ein unauffälliges Leben zu führen, er das helle Licht der Öffentlichkeit scheute und sich lieber im fahlgelben Kerzenschein der Schankhäuser aufhielt, waren diese wenigen Schnipsel alles, was die meisten seiner Kunden je über ihn erfahren haben. Nur einige wenige kannten die Wahrheit. 1779, zwanzig Jahre nach Drucklegung von Jack Harris’ Lebensbeichte, entschloss sich ein altes und gereiftes Mitglied des libertinen Hellfire-Clubs die Nebel der Ungewissheit ein für alle Mal zu zerstreuen. In Nocturnal Revels, seiner Chronik der Londoner Dirnenhalbwelt, geht er mit der Legende ins Gericht: »Ein Mann namens Harris (wie er genannt wird), ein Kuppler, existiert nicht, und es hat ihn vermutlich überhaupt nie gegeben.« Er hatte natürlich recht. Harris hieß eigentlich John Harrison, und seine Lebensgeschichte unterscheidet sich beträchtlich von jener, die er um seinen Decknamen herum erfand.

      Anders als Harris verbrachte Harrison eine ausgesprochen unspektakuläre Jugend. Geboren wurde er als Sohn von George Harrison, Inhaber in spe der Bedford Head Tavern in der Maiden Lane, einer Straße, die die Randbezirke des Covent-Garden-Areals gerade noch streifte. Auch wenn sich John Harrison schwerlich brüsten konnte, aus einer Familie von Gutsbesitzern zu stammen, gibt es doch einige wenige entfernte Parallelen zwischen den beiden Lebensgeschichten. So gehörte etwa auch die Familie Harrison, wie die von Harris, zur Zeit von Johns Geburt offenbar noch nicht zur Kirchengemeinde von St. Paul’s, Covent Garden. Als das Bedford Head (eines von mehreren Bierhäusern dieses Namens im Umkreis) 1740 seine Türen öffnete und Harrison senior dessen Eigentümer wurde, muss John bereits ein kleines Kind gewesen sein. Die Schenke mit ihrer frisch geschnitzten hölzernen Innenausstattung war damals ein nagelneues Lokal und noch nicht durch beißenden Kohlenrauch, den säuerlichen Gestank von Alkohol und die Ausdünstungen menschlicher Körper verunreinigt. Für einen Wirt war kaum ein Ort so gut zur Eröffnung eines Gasthauses


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