Der Majoratsherr. Band II.. Nataly von Eschstruth

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Der Majoratsherr. Band II. - Nataly von Eschstruth


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dem Schutz von Onkel und Tante, die Reiterin, welche Sie dort sehen, ist jedoch meine Cousine, deren Mutter im Wagen noch folgen wird. Die Kleine liebt es sehr, mich Schwester zu nennen, um sich dadurch einen heissen Wunsch in der Einbildung wenigstens zu erfüllen. Sie hat leider nie Geschwister besessen und wird von den Eltern in weitgehendster Weise verwöhnt; auf ihren Wunsch mussten wir diese fatale Eselpartie unternehmen und unser behagliches Stillleben auf dem Dampfschiff unterbrechen.“

      Er lächelte und sah die Sprecherin mit seltsamem Blick an.

      „So bin ich dem kleinen Fräulein zu besonderem Dank verpflichtet, denn ohne den treuen Hans würde ich wohl nicht die Freude gehabt haben, Sie kennen zu lernen!“ —

      „Die Freude dürfte wohl eine sehr geteilte sein. Sie kommen um meinetwillen nur sehr langsam vom Fleck!“ —

      „Ich habe nichts zu versäumen und sagte Ihnen bereits, gnädiges Fräulein, dass ich armer Einsiedler für jede Minute, welche ich in so liebenswürdiger Gesellschaft verleben darf, dankbar bin!“

      „Es wäre doch wohl besser, ich kehrte um und ging den Meinen entgegen!! Hans kommt wohl in Begleitung seiner Grete sicher in Rüdesheim an!“

      Der Assessor blieb abermals stehen und faltete mit düsterem Blick die Brauen. „Ihr Wille ist mir Befehl!“ antwortete er resigniert. „So waren diese Minuten der Freude gar kurz und gezählt!“

      „Aber, Fräuleinchen, warum wollen Sie sich denn so müde machen und zu Fuss laufen!“ — mischte sich der Eseltreiber in das Gespräch, — „in zehn Minuten sind die anderen Herrschaften bei uns und dann können Sie allesamt bequem im Sattel sitzen!“

      Pia nickte. „Sie haben recht, — also zählen wir die Minuten weiter, Herr Assessor.“

      Sein Blick leuchtete auf, — unwillkürlich schritt er schneller aus, als wolle er die Entfernung zwischen dort und hier vergrössern, anstatt verringern.

      „Werden Sie in Rüdesheim bleiben, gnädiges Fräulein?“ —

      „Wohl nur heute nacht, um morgen in aller Bequemlichkeit die Partie nach dem Niederwald machen zu können. Wir verschmähen die Bergbahn und hoffen mehr Genuss von einer Wagenpartie zu haben, welche in Assmannshausen endigen soll.“ —

      „Just so lautet auch mein Plan, — nur mit dem Unterschied, dass ich die Tour zu Fuss machen wollte! Sie ist ja nicht im mindesten anstrengend und würde auch Ihnen sicherlich zusagen!“

      „Ohne Zweifel, ich wandere ausserordentlich gern durch Gottes schöne Welt! Fränzchen und Onkel würden wohl auch meiner Ansicht sein, aber die arme Tante ist sehr schlecht zu Fuss und gezwungen, Wagen oder Reittier zu benutzen. Werden Sie längeren Aufenthalt in Assmannshausen nehmen? Das dortige Kurhaus soll eine der herrlichsten Sommerfrischen sein, welche man aufsuchen kann!“ —

      Er schüttelte langsam den Kopf: „Dazu fehlt mir die Zeit! Ich habe mir vorgenommen, gar viel Schönes zu sehen, wollte, wenn irgend möglich, noch einen Abstecher nach der Mosel machen und vielleicht auch Ems ansehen, — der Urlaub aber ist nicht allzulang bemessen, und da heisst es, rüstig ausschreiten, um alles geniessen und ausnutzen zu können!“ —

      Ein paar Landleute kamen singend des Weges daher.

      „Und die Welt so offen — und das Herz so weit!

      Ach, wie wunderschön ist die Frühlingszeit!“ —

      „Ja, wie wunderschön ist sie, die Jugend- und die Frühlingszeit!“ atmete der Assessor tief auf, und sein Blick schweifte wie trunken über Strom und Gelände und haftete an dem wallenden Blondhaar seiner Nachbarin, welches der Wind leicht und duftig wie einen goldenen Schleier hob. „Singen Sie auch?“ — fragte er plötzlich. Sie schüttelte sehr energisch das Köpfchen: „Nur dann, wenn es mir danach zu Sinne ist! Ich bedarf einer besonderen Stimmung zum Singen.“

      „Und ist die glückselig jubelnde Lenzesstimmung nicht da? Liegt sie nicht zauberhaft in der Luft und lockt die Lieder über die Lippe?“

      Sie lächelte: „Diese Stimmung — so sehr sie mich auch in jedem Lufthauch umgibt, ist mir doch zu fremd, um mich derart beeinflussen zu können! Nur was mir selber aus tiefinnerstem Herzen quillt, wird zu Sang und Klang! Der Frühling entzückt mich wohl, aber er bewegt mich nicht so tief, dass er mir Lieder gibt!“ —

      „O, wie gerne möchte ich Sie einmal singen hören!“ sagte er leise. „Ein Lied von Ihnen ist gleich einem Blick in Ihr Herz.“ —

      Sie strich jählings die wehenden Goldlöckchen hinter das rosige Ohr und wandte sich so weit zur Seite, dass er nur ihr zartes Profil gegen den funkelnden Wasserspiegel sah.

      „Sie sind gewiss selber sehr musikalisch, dass Sie sich sogar lebhaft für Leistungen interessieren, welche gar keine Garantie für irgend welche Schönheit oder Vollkommenheit bieten! — Welches Instrument meistern Sie?“ —

      Sie versuchte zu scherzen und er stimmte heiter in ihren Ton ein: „Dasjenige, welches hier am Rhein ganz besondere Existenzberechtigung hat! Zwar bin ich kein Trompeter von Säckingen, habe auch noch keiner Margarete ein Ständchen gebracht und keinen Hidigeigei in seinen edelsten Empfindungen verletzt, — aber „Hirsch tot“ — und „Wasserfanfare“ und was sonst das edle Gejaid noch für Sang und Klang mit sich bringt, das blase ich mit grosser Virtuosität!“

      „Wie gern würde ich Sie blasen hören!“ — persiflierte sie ihn voll feiner Ironie. „Solch ein Hornsignal würde einen Blick in die schönste Treibjagd bedeuten!“

      „Auch Amor hält ein fröhliches Jagen mit Pfeil und Bogen, und bei ihm herrscht umgekehrte Welt! Da bläst der Jäger nicht, wenn er den Hirsch im Feuer fallen sah, sondern wenn er selbst das tödliche Geschoss im Herzen trägt!“ —

      „So viel ich weiss, haben aber die Herzen jetzt noch Schonzeit!“ lachte sie mit schelmischem Seitenblick.

      Er machte ein desto ernsteres Gesicht: „Sie irren, mein gnädiges Fräulein, gerade der Lenz öffnet dem Morden Thür und Thor! Amors Übermut ist nie so gross, als wie jetzt, wo die Menschen ihre einsamen, sicheren Stübchen verlassen und sich im goldenen Sonnenschein ahnungslos zu seinen Zielscheiben machen! — Wenn der Fuchs im Bau sitzt, hält es schwer, ihn zur Strecke zu bringen, wenn er aber — von milder Frühlingsluft bethört, ein sehnsüchtig Wandern anhebt, kann es ihm leicht passieren, dass eine „Jägerin — schlau im Sinn“ — weiss in Eil — Pfeil auf Pfeil — aus dem Aug’ zu schicken!“ —

      „Solche Pfeile ritzen nur ein wenig die Haut und lassen sich sehr bequem wieder abschütteln! Die Frauen studieren heutzutage allerdings alles Mögliche und Unmögliche, dass sich aber schon eine zur Scharfschützin ausbildete, hörte ich noch nie!“

      „Weil das überflüssig sein würde. Auf diesem Gebiet wird jede Dame als Meisterin geboren!“

      „Ich bedanke mich bestens im Namen aller meiner Mitschwestern. Wenn Sie aber die Gefahren des Lenzes so gut kennen, warum fordern Sie Ihr Schicksal so leichtsinnig heraus?“ —

      „Ja, leichtsinnig, das ist das rechte Wort, es liegt wohl so in der Natur des Mannes, dass er gern der Gefahr in das Auge sieht. Ich habe mir, ehe ich diese Reise antrat, sehr oft klar gemacht, dass die ‚Warnung vor dem Rhein‘ sehr gerechtfertigt sei. Ich sagte mir, dass ich möglicherweise der Zauberin Lorelei begegnen könne, welche schon so manch armen Bursch zu Grunde gerichtet — — und doch ... trotz dieser Befürchtung zog ich dennoch an den Rhein!“

      „Dieser Mut imponiert mir nicht, denn jeder ‚arme Bursch‘ weiss es heutzutage, dass die Hexe Lorelei nur ein schönes Märchen ist!“

      „Wahrlich ein Märchen?“ Ein wunderliches Lächeln huschte um seine Lippen, er bog den Kopf zurück und schaute auf ihr Haar. „Ich habe nie so sehr an holde Märchen geglaubt wie heute!“

      Pia empfand, dass ihr das Blut abermals in die Wangen stieg, sie war so leichtsinnig gewesen, den Sprecher anzusehen, und nun brannte sein Blick in ihrem Auge und sprach von soviel glückseligem Lenzesjubel, von soviel wonniger, sonniger


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