Der Majoratsherr. Band II.. Nataly von Eschstruth

Читать онлайн книгу.

Der Majoratsherr. Band II. - Nataly von Eschstruth


Скачать книгу

      „Wenn Sie ritterlich sein und mir eine grosse Strafpredigt ersparen wollen, thun Sie es, bitte! Tante Luxor huldigt sehr strengen Ansichten, sie würde es höchst unpassend finden, wenn ich mit einem fremden jungen Herrn allein auf der Landstrasse gewandert wäre!“

      Er neigte das Haupt ein wenig und sah ihr forschend in die Augen. „Not kennt kein Gebot!“ sagt er leise. „Ihre Begegnung mit mir war keine freiwillige Wahl, das Schicksal führte uns zusammen, wie der Sturm zwei Blumenblätter vereinigt, voll denen das eine auf dem Berg, das andere fern im Thal entsprossen! Sie in diesem Punkt völlig zu entschuldigen, würde ich Ihrer Frau Tante gegenüber zuversichtlich wagen! — Aber ein anderes! Unsere Reise führt uns denselben Weg! Ich würde es als hohes Glück erachten, dürfte ich mich Ihnen fernerhin anschliessen. Würde ich als unverheirateter Mann nicht so sehr auf die freundliche Genehmigung Ihrer Frau Tante zu rechnen haben, wie als würdiger Gatte und Vater?“ —

      Pia blickte zu Boden, ihre langen Wimpern lagen wie dunkle Schatten auf den rosigen Wangen, eine reizende Verwirrung bemächtigte sich ihrer. „Fränzchen ist so sehr eifersüchtig beanlagt und würde ärgerlich sein, wenn ich nicht ganz allein zu ihrer Unterhaltung da wäre; — Tante ist leicht von ihr beeinflusst, so dass es jedenfalls ein viel fröhlicheres und harmloseres Verkehren sein würde, wenn jener Grund, welcher eventuell beanstandet werden könnte, wegfiele!“

      „Ich danke Ihnen“, antwortete er mit leuchtenden Augen. „Ich werde alles thun, um Fräulein Fränzchen gnädig zu stimmen!“

      Es lag ein so jubelnder Klang in seiner Stimme, dass Pia erschrak. Hatte sie recht gethan, ihn zu der kleinen Komödie zu bestimmen? Sie glaubte, er werde die Sache nur als heiteren Scherz, als Neckerei für Fränzchen aufsassen, und nun mit einem Mal, ehe sie es selber recht wusste und wollte, hat sie ihm verraten, dass die kleine List für ihren Verkehr notwendig sei.

      Sie gestand ihm unbewusst ein, dass sie bereits die Möglichkeit einer gemeinsamen Reise erwogen hatte! Sie gab es zu, dass sie ihm Hindernisse aus dem Weg räumen und ihm behilflich sein wollte, die kleine Gegnerin Fränzchen zu gewinnen!

      Das Blut stieg ihr bei diesen Gedanken in die Wangen, sie begriff sich selber nicht! Sie, die stolze, zurückhaltende Pia! War sie von Sinnen, diesen fremden Mann ohne klingenden Namen, ohne hervorragende Stellung, vielleicht ebensowenig bemittelt wie sie selber, in ihre Nähe zu fesseln? — Sie sah und empfand es, dass sie starken Eindruck auf ihn machte, dass es wie Spuk und Zauber über ihn gekommen war, als habe er thatsächlich die Hexe Lorelei im Arm gehalten, und doch ist sie nicht vernünftig und stolz genug, diesen Zauberbann so schnell wie möglich zu brechen und ihn ziehen zu lassen, ehe es zu spät ist! Gewiss, sie muss es sein, sie hat sich thöricht benommen, sie hat sich momentan hinreissen lassen ... wovon?! — Wüsste sie es selber nur! — er gefällt ihr so gut, — so gut, wie noch keiner je zuvor, — es liegt ein Ausdruck in seinem ernsten und doch wieder so liebenswürdigen Gesicht, welcher sie wunderbar anzieht und fesselt.

      Sie las es manchmal in Romanen, dass das Auge eines jungen Mannes eine grosse, rätselhafte Gewalt auf die Mädchenherzen ausüben könne, und sie lachte solcher Phantasterei und glaubte es nicht! Und nun stand sie selber vor diesem Rätsel und suchte vergeblich nach seiner Lösung. Er gefiel ihr so gut! — nichts weiter!

      Es durchrieselte sie so warm und wonnig, wenn er sie ansah, wenn es sein Blick verriet, dass sie ihn entzücke. — Warum? Es war ihr doch sonst so gleichgültig gewesen, ob sie den Männern gefiel oder nicht! —

      Und als er sie im Arm gehalten und Auge in Auge ruhte im ersten Sehen, da hatte sie das Gefühl, das dunkle, ahnungsvolle gehabt: — „Du kennst ihn! Wer ist es aber? Er ist dir nicht fremd und doch weisst du seinen Namen nicht!

      „An den Rhein, an den Rhein, zieh nicht an den Rhein,

      Mein Sohn, ich rate dir gut!“

      klang es abermals dicht bei ihnen von dem Strom herüber:

      „Dich bezaubert der Laut.

      Dich bethört der Schein,

      Entzücken fasst dich und Graus.“ —

      Ja, bethört! — das ist es, nicht der blinkende Strom, nicht die kosend weiche Luft, nicht der Hall und Schall ringsum bezaubert die Seele, — man bildet es sich lediglich ein, dass man am Rhein etwas ganz Besonderes erleben muss, und diese Einbildung bethört den Menschen und lässt die Gespenster am hellen Tage sehen!

      Gehört sie etwa auch zu den sentimentalen, bleichsüchtigen Mädchen, welche sich in Empfindungen und Schwärmereien hineinzwingen, welche ihnen im Grunde genommen ganz fern liegen, welche nur krankhaft sind? —

      Die willensstarke, kühlherzige Pia, welche sich noch für keinen Mann begeistert, wird diesem traditionellen Rheinzauber gewiss nicht zum Opfer fallen.

      Sie reisst mit energischer Hand die Dunstschleier entzwei und sieht — sieht einen jungen, eleganten, liebenswürdigen Mann, welcher ihr gefällt und mit welchem sie gern plaudert. — Weiter nichts.

      Nein, — nicht sentimental werden; es wäre lächerlich. Mit frohem Herzen will sie seine Gesellschaft geniessen und sich durch ihn die Reise amüsant und wechselreich gestalten, ebenso wie er den Genuss dankbar empfinden wird, diese schöne Natur im Kreise heiterer Menschen zu schauen. Harmlos, ganz harmlos; sie müssen sich beide ruhig kommen und ruhig gehen sehen — und so wird es auch sein.

      Pia atmete hoch auf und streicht mit der Hand über die Stirn, als wolle sie alles wegwischen, was die gefährliche Rheinluft ihr an thörichtem Empfinden eingeblasen hat. —

      Nun sieht sie klar und ist einig mit sich, das wird ihr die alte Ruhe und kühle Gelassenheit zurückgeben.

      „Und im Strome, da tauchet die Nix’ aus dem Grund,

      Und hast du ihr Lächeln gesehen,

      Und sang dir die Lurlei mit bleichem Mund,

      Mein Sohn, so ist es geschehen!“

      Fränzchen blieb lachend stehen und winkte übermütig nach dem Schiffchen hinüber, Hellmuth aber wandte jählings den Kopf und blickte Pia an. Sie zuckte zusammen — und wieder, doch allen guten Vorsätzen zum Trotz wallte es heiss nach ihrem Herzen. Warum sieht er sie so an?

      Was flimmert und flirrt vor ihren Blicken? Ist es doch vielleicht die süsse, lichte, schwüle Luft ...

      Wagenrollen ertönt hinter ihnen in der Ferne, sie atmet erleichtert auf.

      Tante Johanna! — Nun kann sie vielleicht allzu grosse Ermüdung vorschützen und die letzte kleine Strecke bis Rüdesheim fahren.

      Dann ist sie einer Unterhaltung mit ihm enthoben und sein Blick kann sie nicht mehr verfolgen wie bisher.

      Wie er mit Fränzchen plaudert und lacht! Welch ein Wohlklang in der sonoren Stimme. Er scheint sich in der That sehr zu bemühen, die Kleine für sich zu gewinnen, und das Backfischchen strahlt vor Vergnügen über diesen ersten Verehrer. Es wird nicht lange dauern, dann hängt sie sich in ihrer ungenierten Weise an seinen Arm und Onkel Willibald, der sonst so vornehm denkende Mann, wird absolut nichts bei diesem Benehmen finden, wie er ja alles gutheisst, was der Übermut seiner Einzigen in Scene setzt! —

      Der Assessor hat gefragt, ob die Kleine viel an die amerikanische Heimat zurückdenkt, und ob sie dieselbe sehr geliebt hat. —

      Und nun beginnt Fränzchen in einer Art und Weise aufzuschneiden, die geradezu unerhört ist.

      Alle Abenteuer des Lederstrumpfs und sonstiger Indianerlitteratur verarbeitet sie voll kühner Phantasie als eigene Erlebnisse, und der unnatürliche Vater geht schmunzelnd zur Seite und lacht heimlich in sich hinein, dass seine korpulente kleine Gestalt schüttelt!“

      Ob der Assessor diese himmelschreienden Lügengeschichten glaubt? — Er thut so, — wohl auch aus kluger Höflichkeit.

      Hier und da, wenn Fränzchen es gar zu bunt treibt, zittern die Spitzen seines dunklen Schnurrbartes wie unter verhaltenem Lachen.

      Im grossen ganzen scheint er sich aber himmlisch


Скачать книгу