Es tut sich was im Landschulheim. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.die Leute zu rechnen … fürchtet meine Mutter jedenfalls … ,Die Kleine ist doch mindestens dreizehn, wahrscheinlich schon fünfzehn … und ihre Mutter muß doch zwanzig gewesen sein, als sie auf die Welt kam …‘ und so weiter und so fort. Ich hoffe du verstehst.“
„Aber sie brauchte sich doch nicht mit dir fotografieren zu lassen!“
„Hat sie auch seit Jahren schon nicht mehr getan. Trotzdem: Man kann so ein Trumm wie mich doch auf die Dauer nicht versteckt halten. Journalisten sind neugierig, weißt du. Das gehört zu ihrem Beruf.“
„Ja, das kann ich mir vorstellen.“
„Außerdem hat meine Mutter auch nicht genug Zeit für mich. Sie ist heftig dabei, Karriere zu machen.“
„Und dein Vater?“
„Ich hab drei davon. Mein erster, der wahrscheinlich mein richtiger ist, hat sich nie um mich gekümmert. Den kenne ich überhaupt nicht. Der zweite ist ganz große Klasse, aber leider längst geschieden, wieder verheiratet und hat zwei kleine Kinder. Dessen Frau bin ich ein Dorn im Auge. Der dritte, der jetzige also, ist ganz in Ordnung. Eigentlich hat meine Mutter mit Männern ziemliches Glück gehabt. Aber er darf sich nicht um mich kümmern, weil sie sonst wie eine Rakete in die Luft geht.“
„Du lieber Himmel!“
„Das sagst du wohl gut.“
Leona zog die Beine an und schlang die Arme um die Knie. „Wie heißt denn deine Mutter? Doch nicht van der Steek?“
„Natürlich nicht. Das ist der Name ihres Zweiten. Der hat mich adoptiert.“
„Also dann?“
Ute blickte Leona, ein Bündel Kleider auf den Armen, nachdenklich an. „Möchte ich eigentlich nicht sagen. Ist ja auch nicht wirklich interessant, oder …? Ein großer Star, wie du jetzt vielleicht denkst, ist sie jedenfalls nicht. Sie möchte bloß einer werden. Aber dazu ist es wahrscheinlich schon zu spät.“
„Wieso?“
„Wenn man als Schauspielerin über dreißig ist, ist man out … falls man es nicht geschafft hat, ein Begriff zu sein.“ Ute sprach ganz sachlich. „Deshalb auch diese panische Angst, man könnte nachrechnen, wie alt sie wirklich ist.“
Das war alles höchst interessant, und allmählich ging Leona auf, daß sie eine langweiligere Zimmergenossin hätte bekommen können.
„Und du?“ fragte sie. „Was willst du werden?“
„Wie soll ich das jetzt schon wissen? Schauspielerin jedenfalls nicht. Das wäre mir zu blöd.“ Ute hing ihre Kleider, die sie mit den Bügeln aus dem Koffer genommen hatte, über die Stange im Schrank. „Weißt du denn schon, was du später anfangen willst?“
„Architektur würde mich reizen … schöne Häuser bauen muß Spaß machen.“
„Kann schon sein. Bloß, die Architekten, die ich kenne, gehen ziemlich am Stock. Um zu bauen, muß man ja erst mal Auftraggeber haben, beziehungsweise das nötige Geld. Und daran scheint’s zur Zeit zu hapern.“
„Du kennst Architekten?“
„Na klar. Meine Mutter mimt ja auch im gesellschaftlichen Leben mit. Das gehört dazu, weißt du.“
„Das muß doch ziemlich aufregend für dich gewesen sein.“
„Gar nicht. Meine Mutter hat mich, wie ich schon sagte, ziemlich versteckt gehalten. Ich mußte froh sein, wenn ich Mäuschen spielen durfte.“
„Das hast du aber, scheint es, ausgiebig getan!“
„Auch nicht. Man schnappt so dieses und jenes auf, ob man nun will oder nicht.“ Ute blieb vor dem Becken stehen. „Für zwei Personen eine Waschgelegenheit!? Das finde ich aber ziemlich haarig!“
„Das ist nur für die Katzenwäsche. Im Keller gibt es mehrere Duschräume und übrigens auch ein schönes Schwimmbad. Das ist im Winter geheizt.“
„Klingt schon besser.“
„Es ist alles ziemlich primitiv hier, aber man gewöhnt sich daran. Natürlich, wenn man aus seinem schönen Zimmer von zu Hause kommt, ist es ein ziemlicher Schock.“
Ute baute ihre Schönheitsutensilien auf der Hälfte des Bordes über dem Waschbecken auf, die Leona für sie frei gelassen hatte. „Und wer macht hier die Betten und so?“
„Wir selber. Auch staubwischen, das Waschbecken und den Spiegel putzen fällt in unser Ressort. Nur für das Ausfegen und Auswischen, Papierkörbe leeren, Fensterputzen und Toiletten sauberhalten gibt’s Fachkräfte.“
„Ach, du dickes Ei! Das artet ja in Arbeit aus!“
„Du bist es wohl gewohnt, vorn und hinten bedient zu werden?“
„Und du? Hast du zu Hause mitgeholfen?“
„Ja. Ich habe meiner Mutter immer geholfen.“
„Braves Kind. Und zum Dank hat sie dich dann abgeschoben.“
Obwohl Leona das gerade eben noch selber gesagt hatte, konnte sie es aus dem Mund der anderen nicht ertragen. „Wie kannst du das sagen?“ Sie fuhr hoch. „Meine Eltern haben es für richtiger gehalten mich hierherzugeben. Zu meinem eigenen Besten.“
„Entschuldige schon. Ich habe dich nicht kränken wollen. Mir kam es nur ziemlich ungerecht vor.“
„Mir auch“, gestand Leona nach einigem Zögern, „aber inzwischen habe ich eingesehen, daß es wirklich das Beste so war … für alle Teile.“
„Wie weise!“
„Du brauchst dich gar nicht lustig über mich zu machen!“
„Tue ich ja nicht. Hat dir schon mal jemand gesagt, daß du überempfindlich bist?“
„Nein.“
„Mir kommt es aber so vor. Obwohl ich zugeben muß, daß ich dazu neige, den Leuten auf die Zehen zu treten.“ Ute hatte ihre Sachen fortgeräumt. „Und was wird mit den Koffern?“
„Stell sie vorläufig auf den Gang. Die bringen wir später auf den Dachboden.“
„Dachboden? So nennt ihr den Speicher, ja?“
„Wird wohl so sein.“
Ute hatte bewundernswert hübsche Bettwäsche – ein leuchtend rotes Laken, einen weiß-blau-rot gestreiften Bezug und einen mit einem roten Herz geschmückten blauen Kopfkissenbezug – auf ihr Bett gelegt. Jetzt warf sie Kopfkissen und Federbett auf den Boden und machte sich ans Überziehen. Sie ging dabei nicht besonders geschickt vor, man merkte, daß es ihr an Übung fehlte. Aber ihre Bewegungen waren anmutig.
„Du bist sehr hübsch“, sagte Leona unwillkürlich.
„Zu dick!“ Ute klopfte sich auf den Po.
„Aber gar nicht! Ich wollte, ich wäre nicht so spindeldürr!“
Ute lächelte zu ihr hinüber und gestand, ohne es auszusprechen, daß sie sehr wohl wußte, nicht wirklich zu dick zu sein, sondern hübsche weibliche Formen zu haben. „Wart es ab! Das wird sich ganz von selber ändern!“
Leona seufzte neidvoll.
„Eigentlich“, sagte Ute, „müßte ich ja zu stolz sein … aber ich bin es nicht!“
„Wovon sprichst du jetzt?“
Ute rückte mit der Sprache heraus. „Obwohl du dir nicht hast helfen lassen, wäre ich dir dennoch dankbar, wenn du beim Überziehen des Plumeaus mit anpacken würdest.“
Leona war das Wort Plumeau sehr ungewohnt, dennoch begriff sie natürlich sofort, was gemeint war. „Ein komischer Ausdruck“, sagte sie und ließ sich vom Fensterbrett gleiten.
„Was sagt ihr denn zu Plumeau?“
„Federbett.“
„Na