Das Moordorf. Max Geißler

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Das Moordorf - Max Geißler


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nächsten Tag in der Frühe kamen Hinnerk und Gesche Stelljes in Begleitung Kaisers über das Moor, die Hütte Ham Rugens zu besehen.

      Ham Rugen wollte den „Altenteil“ haben, dafür aber das urbar gemachte Land mit der diesjährigen Ernte, die Ziege, die Hühner und alle Vorräte im Haus geben. Nur ein Kastenbett musste Hinnerk Stelljes zimmern, gross genug für ihn und Gesche.

      Als die blonde Gesche, deren Haar aussah, als wär’s einmal golden gewesen wie die Sonne, nun aber von braunem Moorwasser missfarbig geworden, noch gefragt hatte, wie alt denn Ham Rugen beim Schmuggeln geworden sei, und erfahren hatte, dass er im sechsundsechzigsten Jahre stehe, ward der Handel geschlossen. Gesche Stelljes nestelte den Beutel aus der Tasche ihres Rockes und zählte Ham Rugen 40 Taler auf die Holzbank an der Sonnenseite der Hütte.

      Hinnerk Stelljes aber zog seinen Rock aus, nahm die Säge von der Wand, die ja nun ihm gehörte, mass in der Hütte und begann draussen Bretter zu schneiden für den Bettschrank, der in die Ecke zu stehen kommen sollte, welche dem Lager Ham Rugens gegenüber war.

      Währenddem hatte Martin Kaiser Ham Rugen hinter die Hütte gerufen und ihm zu verstehen gegeben, dass er die Käufer hergebracht habe; das forderte ein Entgelt.

      „Fif Groschen“, sagte Ham Rugen.

      „Sewwen un en halwen“, forderte Martin Kaiser.

      Da erhielt er sieben und einen halben Groschen und trollte sich seines Wegs.

      Ham Rugen war Hinnerk Stelljes zur Hand beim Bau des Bettschranks. Hinnerk Stelljes hatte kurzgeschorenes, rötliches Haar und ein bartloses Gesicht.

      Woher sie kämen?

      „Von der Geest“, sagte Stelljes. Und die Gesche sei aus Moorende gebürtig. Auf der Geest habe sie gedient. Sie hätten noch nicht lange zusammengeheiratet. Das Kind sei ihnen gestorben; das habe Stelljes’ Mutter gepflegt. Hinnerk wolle in Tagelohn gehen oder selbst Torf graben — er sei schon zweimal zurückgestellt worden, und nun fürchte er, beim dritten Mal doch noch Soldat werden zu müssen. Weil die Leute aus dem Moor vorerst noch vom Militärdienst befreit seien und er doch Gesche nicht gern wieder dienen schicken möchte, wollten sie’s im Moor versuchen.

      „He hätt nix hewwt“, sagte Gesche, die mit dem russigen Kessel aus der Tür trat, um diesen im Graben zu waschen, „nix nich! De vierzig Toler sin mien Geld.“

      Sie hatte das Gespräch der Männer gehört und warf ihnen die Worte zu wie den Hühnern die kargen Krumen vom Tisch.

      Ham Rugen sah, dass Gesches Rock über dem rechten Knie zerschlissen war. Nun kauerte sie am Graben und scheuerte mit einem Bündel Binsen, das sie manchmal in den Sand tupfte, den berussten Kessel. Der hatte vor einer Stunde noch Ham Rugen gehört.

      „Wenn’s nich wegens Militär west wier, ik hätt nix köpt. Nie nich! Dienen is beter as im eegen Hus hongern.“

      Gesche sprach, ohne dabei aufzuschauen, während sie vom Graben mit dem leidlich sauberen Kessel zurückkehrte.

      Vor der Tür der Hütte blieb sie ein wenig stehen und schob mit dem nackten Fuss vorjährig verwittertes Laub aus dem Winkel, der von der Lehmwand des Ziegenstalls und der des Hauses dicht neben der Tür gebildet wurde. Dann ging sie in die Hütte.

      Ham Rugen hielt das Brett an einem Ende, das Hinnerk Stelljes mit der Säge zerschnitt.

      Ehe der Abend kam, war der Bettkasten, der keine Schiebtür besass, zusammengeschlagen: zwei Brettwände, über die das Rohrdach lief; und die dritte Wand wurde durch die Mauer der Hütte gebildet. In der Langseite befand sich das Loch, durch das Hinnerk und Gesche Stelljes auf das Stroh krochen. Quer hindurch lief der Bettboden. Auf den breitete Gesche Ham Rugens Vorrat an Streu. Und weil der nicht so reichlich war, tat sie zu unterst eine Lage federndes Heideried. Über das Stroh breitete sie die Wolldecke und legte darauf das Bett, das sie in der Kiepe auf dem Rücken hergetragen hatte.

      Wie die Scheibe der Sonne hinter den Horizont gesunken war und nur noch das feurige Rot am Westhimmel stand, welches zeigte, wo sie in strahlender Schönheit entschwunden, sassen die drei Bewohner der Hütte auf der Bank.

      Hinnerk Stelljes hatte zuvor einen Gang über das nahe Moor getan, war die Gräben entlanggeschritten, die Ham Rugen die Zeit her gezogen, und sagte, er wolle versuchen, vielleicht ein wenig mehr Land zu bebauen; aber er wolle auch einen Torfstich von grösserem Umfang anlegen. Die Arbeit im Torf lohne besser als der Feldbau.

      In den Wassern stand noch der blutrote Schein des sterbenden Tages. Die Kiefern und die Birken schoben sich in tiefem Schwarz gegen den Westhimmel in das flammende Leuchten über dem abendlichen Horizont.

      Im Schilfe zwitscherten die Rohrsänger, und über den braunen, sanften Linien der Ebene, über den weichen Flächen des Moores lohte der purpurne Brand des Himmels. Es war ein goldiger Ton im Gelände, der war aus Braun, Purpur und Glanz gemischt, und war, als klinge die Luft. Und in dem tönenden Golde standen die silbernen Säulen der Birken. Da und dort stieg ein Rauch auf wie der Rauch aus unsichtbaren Opferschalen.

      Auch aus der Tür der Hütte wehte ein weicher, blauer Dunstschleier: der Qualm vom Herdbrand. Er wehte über den First, auf dessen Heidesoden der Frühling das Moos schwellte. Die Birken, die der Wind als Samen in das Rohr des Hüttendachs gelegt und die nun schon über fusshoch gewachsen waren, trugen junges Laub. Sie zerrissen den sanften Schleier des Torfrauchs über dem Dach, und der leise Odem des Windes wehte das bläuliche Gespinst von dannen.

      Ham Rugen sann lange hinein in das goldene Leuchten des Maiabends.

      Die Schatten der Birken wurden lang und spannten sich wie grosse, schier endlose schwarze Brücken herüber zur Hütte. In den Buschkiefern brannten die roten Kerzen des Frühlings.

      „Das ist nun schon lange so gewesen und ich nahm es doch vordem niemals wahr“, sagte Ham Rugen. Sein Auge schaute fernhin und sah, wie der Goldgrund des Himmels den Bäumen und allem, was auf dem Moore gegen den brennenden Westhimmel stand, eine Grösse verlieh, die die Dinge in Wirklichkeit nicht besassen.

      „Und war doch vordem niemals“, wiederholte er nach einer Weile in tiefem Sinnen.

      Ham Rugen hatte in Fernen gespäht, in denen er all die Jahre nicht zu Gaste gewesen war.

      Hinnerk Stelljes war wieder aufgestanden, tat einige Schritte gegen den Graben, schaute über das Feld und ermass seufzend die Arbeit und Mühe, die ihm die Tage nun bringen würden.

      Auch Gesche ging ab und zu in die Hütte, wenn ihr einfiel, sie habe noch dies und jenes zu tun, oder sie wolle sehen, ob Ham Rugen dies oder das Hausgerät besessen habe. Sie fragte den alten Mann auch um manches. Er sagte, das Gefragte müsse wohl da sein, und er nannte ihr einen verborgenen Winkel im Halbdunkel der Hütte, in dem sie es finden werde.

      Selbst ein Spinnrad stand unter dem Gerümpel hinter der Häckselschneide. Staub lag darauf, und ein Säcklein Wolle hing daran. Die Wolle hatte Ham Rugen selbst gekratzt und hernach gesponnen — in jenem Winter, da er sich auf der glatten Eisfläche bei der Flucht vor den „Kontrolörs“ das Bein zerfallen.

      Ham Rugens Sinnen und abgerissene Reden dauerten fort.

      Als die Lichter in den Moorgräben zu erlöschen, die goldenen Ströme in der Luft zu versiechen begannen und nur noch da und dort ein Schein in dem Moorgraben stand, den eine rosige Wolke aus dem Zenit hineinspiegelte, hob der Alte seine Augen auf und schaute zu dem Quell roten Lichts empor.

      Er hatte vergessen, dass Hinnerk Stelljes neben ihm sass, und blickte ihn erstaunt an, wie der halb lachend fragte:

      „Du bist weit weg, Ham Rugen?“

      „Wohl, wohl“, antwortete der nach geraumer Zeit. „Man hat so allerhand Gedanken, wenn man allein mit der Stille lebt, die im Moor ist.“

      Gesche Stelljes kehrte mit dem schmutzigen Gansflügel den Staub vom Spinnrad. Sie warf die Wolle aus dem Säcklein fort, die die Motten zerfressen hatten.

      „Wie lange bist du allein gewesen, Ham Rugen?“ fragte Hinnerk.

      „Mehr


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