Das Moordorf. Max Geißler

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Das Moordorf - Max Geißler


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die tiefen Falten geschlagen waren, die Fäden, welche die Spinne Zeit kreuz und quer über sein bartloses Gesicht gesponnen hatte. Nur unter dem Kinn lief ihm der graue Bart, die ‚Schifferkrause‘, von Ohr zu Ohr.

      „Aber in dieser Gegend sind wir vor fünfzig Jahren schon einmal gewesen und haben all die Dinge schon einmal gern gesehen und lieb gehabt ...“

      Nun waren Haus und Torf und die beiden urbar gemachten Moorstreifen nicht mehr sein — er hatte nichts mehr als eine weite Fläche totes Moor. Nur drei Dinge waren, die seiner warteten: das Geld im Strumpf unter dem Bettstroh, von dem niemand wusste und niemand erfahren sollte; seine wiederentdeckte Seele, die ihm zur Stunde noch ein schleiervolles Rätsel war; und der Tod. Um den brauchte er sich nicht zu mühen, der werde kommen, wenn seine Zeit um sei, dachte Ham Rugen.

      Und so blieben ihm eigentlich nur zwei Dinge, an die er täglich denken wollte: das Geld war seine Sorge und die Einkehr in sich selbst sein Zeitvertreib.

      Und in den Stechpalmbüschen schlugen die Nachtigallen.

      Da war ein Brechen in der Moormyrte und ein flüchtiges Stampfen über dem Torf: drei Rehe flogen vorüber.

      Ham Rugen lehnte nicht mehr gegen die Hüttenwand. Er sass hochaufgerichtet auf dem Schemel und spähte in die Nacht, aus deren Silber das fluchtgescheuchte Wild hervorgebrochen.

      Es war nichts weitum im Moore, das die Rehe zu schrecken vermocht hatte. Es war kein Weg in der Nähe, auf dem ein Mensch zu irgendeinem Moordorfe wandern, ein Wagen rollen konnte. Und doch flohen die Tiere. Ham Rugen wusste: sie ziehen äsend ihres Wegs und heben nur manchmal den Kopf, wenn ein Rebhahn knarrt oder ein Moorvogel, von dem Rascheln des Heiderieds unter ihren Hufen aus dem Traume gestört, emporschwirrt.

      Die Moormyrte, die unter den flüchtigen Hufen gewogt, die Buschkiefern, die noch eine kurze Spanne Zeit geschwankt hatten, standen wieder still in dem Schimmerlichte der Nacht. Der Schlag der eilenden Hufe, der über der Moorheide zu dumpfen Dröhnen wird, wie alles Leben hier sich machtvoller und trotziger auslebt, war verhallt.

      Ham Rugen hatte sich von seinem Sitz erhoben und schaute unverwandt in die Ferne. Es müsse sich ein Fremdes zeigen, dachte er.

      Und wie er mit verhaltenem Atem noch immer stand und spähte, da war drüben über den Gagelbüschen ein rotes Leuchten, da war goldenes Haar und ein weisses Antlitz.

      Ham Rugen stemmte den Arm gegen die Lehmwand der Hütte. Eine alte Sage ward in ihm lebendig — die Sage von den Moorjungfrauen. Die tanzen des Nachts über die weiten Flächen, und ihre goldenen Haare wehen im Winde. Die flechten das weiche Silber des Wollgrases in ihr Haar als blanken Schmuck ihrer Scheitel und Stirnen. Eine Stadt sei vor tausend Jahren versunken, sagen die Leute. Nun deckt sie der schwarze schwammige Grund. Und die Irrlichter, die des Nachts um das Schilf wehen, sind die Seelen toter Menschen. Weisse Schleierkleider wallen um die tanzenden Moorfrauen ...

      Wie die Irrlichter flatterten Ham Rugens Gedanken heran und davon.

      Und drüben über der Moormyrte bewegte sich immer das rote Leuchten, und das weisse Gesicht, um welches das gelbe Haar floss, ward deutlicher.

      Und in den Stechpalmbüschen schlugen die Nachtigallen.

      „Gotts Dunner, en Kind!“ sagte Ham Rugen und rieb sich die Augen, als wolle er sie blank machen.

      Ham Rugen rief das Mädchen an.

      „Is das die Hütte von Gesche Stelljes?“ fragte das Kind.

      „Is sie“, sagte Ham Rugen. „Willst du zu Gesche Stelljes?“

      „Ja, ich will.“

      „Und wo läufst du her — so durch die Nacht? Weisst du nicht, dass man im Düwelsmoor zuschanden werden kann?“

      „Ich dachte nicht daran“, antwortete das Mädchen. „Ich lief nur immer und lief.“

      „Was willst du von Gesche Stelljes?“

      Das Mädchen legte die Hand in die Ham Rugens, liess sich über den Graben leiten und setzte sich neben den Mann auf die Bank an der Hütte.

      „Gesche ist meine Schwester. Ich bin Wöbke Dierks. Weil Gesche Stelljes ihr Kind wieder gestorben ist, das ich zu warten hatte, wenn es nicht bei Hinnerk Stelljes’ Mutter war, hat sie mich zu Martin Kaiser und seiner Frau gegeben.“

      „Aber Gesche Stelljes hiess doch vordem Gesche Otten“, fragte Ham Rugen.

      „Ja, wir sind nur Halbschwestern, Gesche Stelljes’ Vater ist tot. Und Muttern ihr zweiter Mann hiess Jan Dierks. Die beiden sind aber schon lange nach Amerika ausgewandert. Und Martin Kaiser und seine Frau sagten, sie wollten mich nehmen, da mich nun die Gesche nicht mehr für die Kleine brauche, die ja doch tot geblieben ist.“

      „Nun sag mir einer“, fragte Ham Rugen, „warum du aus Klinkerberg fortgelaufen bist? Kind, das sind zwei Stunden durchs Moor.“

      „Ja“, sagte das Mädchen, und in seiner Stimme verzitterte ein Weinen. „Martin Kaiser hiess mich bei Tina Tölken, die die Woche über im Hüttendorf an der Hamme bleibt, die Ziege losbinden. Er wolle sie heut nacht schlachten, sagte er. Ich solle nur warten, bis Leidchen Tölken gemolken hat. Leidchen Tölken wohnt in dem andern Haus und kommt immer die Ziege melken, solange Tina Tölken in den Hammehütten ist. Wie die Nacht kam, hat mich Martin Kaiser gehen heissen. Aber anstatt in Tina Tölkens Hütte die Ziege stehlen, bin ich ins Moor gelaufen, immer weiter, immer weiter. Ich wollte laufen, bis der Tag käme, und dann fragen, wo Gesche Stelljes wohnt oder Ham Rugen. Bist du Ham Rugen?“

      „Ja, Kind. Das ist nun wieder einmal wundersam! Ich weiss nicht, ob ich jemals im Mondschein gesessen, den Nachtigallen zugehört und gedacht habe, dass es doch von sonderlicher Lieblichkeit sei, wenn alle Büsche klingen. Und in dieser einen Nacht kommt auf Wegen, die gar keine Wege sind, ein Menschenkind. Und gehen doch nie Menschen über das Moor und gar niemals um solche Mitternacht.“

      Ham Rugen verfiel in schweigendes Sinnen.

      „Und stehlen will ich nicht. Die Leute mögen von Martin Kaiser nichts wissen, und die Kinder in Klinkerberg sagen zu mir: ‚Mausewöbke‘, weil ich bei Martin Kaisern bin. Ist das denn wahr — sie sagen auch, Martin Kaisern hätten sie 36 Jahre von seinem Leben im Gefängnis behalten?“

      „Wohl, Kind, wohl“, antwortete Ham Rugen.

      „Und er hätt’, wie er jung gewesen, doch die Kinder schreiben und rechnen gelehrt und die zehn Gebote?“

      „Auch das ist wohl einmal gewesen“, sagte Ham Rugen.

      „Und zu Martin Kaisern will ich nicht mehr. — Ob mich Gesche Stelljes behält?“ fragte das Mädchen nach einer Weile. Ihre Stimme klang zag, und wieder war das heimliche Weinen darin. An den dunklen Wimpern der grossen Augen hingen zwei blitzende Tropfen.

      „Weinen sollst du nicht“, sagte Ham Rugen und legte Wöbke Dierks die Hand auf das goldene Haar. „Wenn Gesche Stelljes deine Schwester ist, wird sie dich wohl nehmen.“

      „Sie sagt, sie hätte nicht Geld genug“, entgegnete Wöbke und blickte wieder stumm an die Erde. Dann horchte sie in das Schlagen der Nachtigallen.

      „So müssen wir sehen, was zu tun ist. Wie alt bist du denn?“

      „Ich werde zwölf.“

      Ham Rugen schritt mit Wöbke Dierks um die Hütte. Seine Tritte versanken im Gras. Wöbke war barfuss.

      An der offenen Tür lauschte der alte Mann. Die Ziege raschelte in der Streu. Die tiefen Atemzüge verrieten, dass Hinnerk und Gesche Stelljes schliefen.

      Ham Rugen nahm das Kind an der Hand und sagte, Wöbke solle sich mit auf sein Stroh legen.

      Da kroch das Mädchen in den Bettkasten. Ham Rugen plusterte das Stroh am Fussende ein wenig auf, damit es einen erhöhten Pfühl für den Kopf gebe. Dann legte er sich auch schlafen.

      Die Uhr ging im Kasten — immer im Gleichtakt. Ham Rugen legte dem Schrittmass des Pendels Worte unter ...

      Und


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