Liebe in Gefahr. Ell Wendt

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Liebe in Gefahr - Ell Wendt


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Alexander schien sehr erstaunt. „Wie sage ich denn jetzt zu dir?“

      „Eigentlich gar nicht. Du sagst: ,hallo’, oder: ,du hör’ mal’, und da außer Polster niemand in der Wohnung ist, weiß ich, daß ich gemeint bin.“

      Alexander verschanzte sich raschelnd hinter die Sonntagszeitung.

      „Darauf kommt es ja letzten Endes auch nicht an“, sagte er abweisend.

      Sibylle trug das Geschirr in die Küche. Sie mußte an einen Ausspruch denken, den sie einmal irgendwo gelesen hatte: „Wenn die Männer aufhören, Reizendes zu sagen, hören sie auch auf, Reizendes zu denken.“

      Dies hielt sie jedoch, was Alexander betraf, zumindest für übertrieben. Verliebter Überschwang läßt sich nicht in einen Dauerzustand verwandeln. Sibylle war vernünftig genug, das einzusehen. Trotzdem konnte sie es nicht hindern, daß die Erkenntnis ein wenig bitter schmeckte. Wer wäre nicht geneigt, die eigene Ehe für eine Ausnahme zu halten?

      Von der Ludwigskirche kamen zwölf hallende Schläge.

      Sibylle stürzte ins Schlafzimmer. „Um Gottes willen, Lexl, wir müssen uns beeilen! Du weißt, wie Papa auf Pünktlichkeit hält!“

      Alexander, vor dem halbblinden Spiegel mit seiner Krawatte beschäftigt, schnitt seinem Spiegelbild eine Grimasse. Er verabscheute das Sonntagsessen im Familienkreise aus Herzensgrund. Er verabscheute Familiensinn und Tradition, des Amtsgerichtsrats ehernes Despotentum und die ängstliche Betulichkeit seiner Mutter, die er sklavenhaft nannte. Ganz besonders verabscheute er die heuchlerische Demut, mit der sich die Familie den Ansichten des Amtsgerichtsrats unterwarf.

      Als Kind hatte er eine heftige Abneigung gegen die Ausflüge verspürt, die sommers und winters ins Isartal unternommen wurden. An einem Aussichtspunkt, es war immer der gleiche, pflegte Papa die Seinen gebieterisch zur Bewunderung der Natur aufzufordern. Man hatte alsdann eine Weile in stummer Andacht zu verharren. Dieses auf Befehl andächtig sein hatte Stürme des Widerstandes in der Seele des jungen Alexander entfesselt. Selbst die Aussicht auf das übliche Stück Torte beim Kaffee hatte ihn nicht vermocht, die Miene scheinheiligen Entzückens zu wahren.

      Im Atelier klingelte das Telefon.

      „Ach, bitte, geh’ du!“ Sibylle, notdürftig bekleidet, war mit der Rückverwandlung der Betten in einen Diwan beschäftigt. Als sie damit fertig war, holte sie Nadel und Faden herbei und begann, einen abgerissenen Knopf an Alexanders Jackett zu nähen.

      Alexander kam zurück. „Es war Andi ’, sagte er.

      Sibylle sah fragend auf.

      „Er fährt über Mittag mit Lili hinaus und möchte uns durchaus mitnehmen.“

      „Aber er weiß doch —“

      „Natürlich weiß er! Aber das hindert ihn nicht, uns für ausgemachte Narren zu halten. Zeige mir den Menschen, der den Birkschen Familienterror begreift!“

      „Andi hat keinen Sinn für Tradition“, sagte Sibylle. „Was, glaubst du, würde geschehen, wenn wir einfach nicht zu Tisch erschienen?“

      Alexander zuckte die Achseln.

      „Ich habe es einmal versucht. Damals ging ich noch zur Schule. Ein Freund überredete mich, bei ihm zu bleiben. Ich tat es, weniger aus Vergnügen, als um zu sehen, was daraus entstehen würde.“

      „Und was entstand?“ fragte Sibylle erwartungsvoll.

      „Der Amtsgerichtsrat sprach zwei Wochen lang kein Wort mit mir, Mama lief umher wie eine verängstigte Henne, ich wurde wie ein Verworfener behandelt. Es war sehr unerfreulich.“

      Sibylle lachte; sie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie Alexander wider den Stachel gelöckt hatte.

      „Übrigens erregt Andi Anstoß mit seine Lili“, sagte sie, um ihn abzulenken, und gab eine Geschichte zum besten, in der Andreas eine sittenstrenge alte Dame mit der Mitteilung chokiert habe, die schönsten Stunden seines Lebens seien die, die er mit seiner Lili im Grünen verbringe. „Ja, ja, die jungen Leute heutzutage“, hatte die alte Dame kopfschüttelnd gesagt.

      „Natürlich hatte sie von der Existenz eines Autotyps ,D. K. W. Liliput’ keine Ahnung“, schloß Sibylle lachend.

      „Wie sollte sie auch!“ sagte Alexander, „übrigens würde ich mich an deiner Stelle etwas beeilen. Zum Spazierengehen kommen wir heute sowieso nicht mehr.“

      „Sofort!“ Sibylle lief zum Kleiderschrank. „Was soll ich anziehen: das rote vom vorigen Jahr, oder das dunkelblaue mit den Biesen?“

      „Welches blaue?“ fragte Alexander im Hinausgehen.

      Während Sibylle in das dunkelblaue mit den Biesen schlüpfte, überlegte sie, ob es wohl einen Mann gebe, der in bezug auf die Kleidung seiner Frau nicht mit Blindheit geschlagen sei. Auch ihr verstorbener Vater hatte niemals bemerkt, wenn sie ein neues Kleid getragen hatte, obwohl es selten genug vorgekommen war.

      Sie zog ihr graues Lammfelljäckchen an und setzte den runden, ringsum aufgeschlagenen Hut auf, in dem sie wie eine Sechzehnjährige aussah.

      Draußen stand Alexander schon in Hut und Mantel.

      „Auf in den Kampf!“ zitierte Sibylle fröhlich.

      Alexander lächelte wie ein Märtyrer.

      2.

      Die Straße, in der Sibylle und Alexander wohnten, unterschied sich in nichts von anderen Vorstadtstraßen mit ihrem vollkommenen Mangel an Grün, mit hohen, eintönigen Häusern, in deren Erdgeschoß sich kleine Läden befanden, mit einem trübseligen Café an der Ecke, von dem man sich nicht vorstellen konnte, daß es jemals von irgend jemandem besucht wurde.

      Aber sie war in Schwabing gelegen, jenem Stadtteil Münchens, der sich eines gewissen Nimbus’ erfreut, dank der Tatsache, daß von jeher Künstler ihn mit Vorliebe zu ihrem Wohnsitz erwählten. Um keinen Preis hätte Sibylle in einer anderen Gegend leben mögen. Ihre Kindheit, die Erinnerung an den Vater, waren auf das engste mit Schwabing verknüpft, ganz abgesehen von dem unbestimmbaren Reiz, der sich ihr mit Ateliers und dämmerigen Künstler-Weinstuben verband.

      Die Sonne, am Morgen von frühlinghaftem Glanz, war hinter Dunstschleiern verschwunden, ein rauher Wind fegte durch die Straßen. Sie wanderten eilig und schweigsam dahin, überschattet von der Gewißheit, zu spät zu kommen. Aber wie immer, wenn sie durch das Siegestor in die Ludwigstraße kamen mit ihren strengen, klassizistischen Fassaden, die von den beiden spitzen Türmen der Ludwigskirche unterbrochen wurden, ging ihnen das Herz auf ob der herben Schönheit der Stadt, die ihre Heimat war.

      Als sie das alte Haus in der Nymphenburgerstraße betraten, schlug es ein Uhr. Sibylle seufzte beklommen. Das Mittagessen begann um eins, aber die Tradition erforderte, daß man sich eine halbe Stunde früher einfand, um plaudernd im Salon beisammenzusitzen. In der Tat, die Familie war vollzählig versammelt. Sie saßen und standen umher, die Eltern, Tante Gudula, Wallmosers mit dem fünfjährigen Kurt, Burschi genannt, und der jugendliche Kaspar.

      Alexanders und Sibylles Eintritt vollzog sich unter unheilverkündendem Schweigen. Aller Augen waren auf sie gerichtet, die der jüngeren Generation mit einem Gemisch aus Mitleid und Schadenfreude, wie es Schüler beim Zuspätkommen eines Kameraden zur Schau tragen.

      „Wir bitten um Verzeihung“, sagte Sibylle zaghaft.

      Die Familie sah erwartungsvoll den Zorn wie eine rote Welle in das Gesicht ihres Oberhauptes steigen bis zu den silbernen Schläfenhaaren hinauf. Nur Mama wagte ein begütigendes Lächeln, das jedoch im Keim erstickt wurde, denn der Amtsgerichtsrat setzte zu einer längeren Rede an, in derem Verlauf er erklärte, er dulde keine Bohemewirtschaft in seinem Hause und werde sie niemals dulden.

      „Sogenannte Künstlerfreiheiten“, sagte er mit erhobener Stimme, „haben vor meiner Schwelle haltzumachen. Ein für allemal!“

      Sibylle sah, wie Alexanders Gesicht sich verfinsterte. Sie versetzte ihm einen kleinen,


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