Nebelrache. Nancy Farmer

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Nebelrache - Nancy  Farmer


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Wenn ich mich nur erinnern könnte, wo das war.“

      „Wir sollten es jagen“, sagte Thorgil. Sie zog ihr Messer und hielt es ins Licht des Feuers. Ihre Bewegungen waren nach einem Jahr des Übens mit der linken Hand viel fließender geworden, aber so geschickt wie früher würde sie sicher nie werden. Ihre rechte Hand sah ganz normal aus, wenn man von dem merkwürdigen silbrigen Schimmer absah, aber sie war ungefähr so nützlich wie ein Holzklotz.

      Jack wusste nicht genau, ob Thorgils Lähmung aus ihrem Kopf kam oder ob der Dämon, den sie attackiert hatte, ihr irgendeine furchtbare Krankheit verpasst hatte. Der Barde hatte versucht, sie zu heilen. Sogar Bruder Aiden hatte für sie gebetet (allerdings als sie schlief und ihn nicht anspucken konnte). Nichts von alldem hatte geholfen.

      „Da draußen ist es so schwarz wie in einer Bleimine“, sagte der Barde. „Es ist wesentlich wahrscheinlicher, dass du von diesem Etwas gefunden wirst als umgekehrt. Außerdem muss ich Jack einen neuen Zauber beibringen.“

      Jack war begeistert. Endlich! Er hatte die letzten Monate nur damit verbracht, die Zauber zu wiederholen, die er schon kannte. Er hatte Feuer gemacht, den Wind beruhigt und das Herbeirufen von Visionen geübt. Wobei seine Visionen immer nur bedeutungslose Strände und nichtssagende Felsen gewesen waren. Der einzige neue Zauber, den er gelernt hatte, war, die Spreu vom Weizen zu trennen, indem er die Erdmagie in den Körnern anrief.

      „Was ist mit mir? Wieso kann ich nicht zaubern lernen?“, fragte Thorgil bockig.

      „Weil ich nicht dich als meinen Lehrling ausgewählt habe. Aber falls es dir ein Trost ist – du hast bereits gewisse Kräfte. Als du das Drachenblut geschluckt hast, wurdest du zum Teil Drache. Deswegen verstehst du jetzt die Sprache der Lüfte.“

      „Ein Teil Drache?“, wiederholte Thorgil interessiert. Jack konnte beinahe sehen, was in ihrem Kopf vorging. Wenn sie zum Teil Drache war, konnte sie über ihre Feinde hinwegfliegen und Feuer auf sie speien.

      Der Barde lächelte etwas gezwungen und bewies damit, dass auch er ihre Gedanken erkannt hatte. „Rechne nicht damit, dass dir in nächster Zeit Flügel wachsen. Du hast eine nützliche Fähigkeit erhalten, und als du deine Hand geopfert hast, vermutlich noch einige weitere. Vielleicht wird aus dir einmal eine Heilerin.“

      Jack konnte nicht anders, er musste losprusten.

      „Ganz sicher nicht“, fauchte Thorgil. „Ich bin keine Heilerin, die Zaubersprüche über Schwächlingen murmelt. Ich bin eine Schildmaid und werde eines Tages im Kampf fallen – mit dem Schwert in der Hand, auch wenn es die falsche Hand ist.“

      „Dieser Weg steht dir nicht länger offen“, sagte der Barde. „Ich habe gesehen, wie die Pferde zu dir kommen und jeden deiner Befehle befolgen. Und ich habe gehört, wie du die Krähe aus dem Schlamm gehoben und Hoffnung in ihr Gefieder geblasen hast.“

      „Welche Krähe? Niemand hat mich gesehen. Das habe ich nicht getan“, rief Thorgil.

      „Sie ist am Haus vorbeigekommen und hat es mir erzählt“, widersprach der Barde amüsiert.

      „Sie gehörte zu Odins Gefolge. Das war das Mindeste, was ich tun konnte“, gestand die Schildmaid.

      „Du brauchst dich deines Mitgefühls nicht zu schämen, Thorgil. Sogar der große Olaf Einbraue hat einmal einem Mädchen die Hand hingestreckt, das sonst keiner wollte. Und jetzt werde ich Jack einen Schlafzauber beibringen. Wir müssen Seefahrers Flügel richten, bevor er für immer in dieser Haltung bleibt.“

      „Das kann ich auch lernen“, sagte Thorgil eifrig.

      „Nein, kannst du nicht. Aber du kannst Seefahrer für mich aus seiner Ecke holen.“

      Seefahrer war nicht in der Stimmung, jemanden an seinen verletzten Flügel zu lassen. Er schnappte und schrie, als Thorgil ihn zu greifen versuchte. Sie musste ihn schließlich mit einer Spur aus getrockneten Fischstücken aus der Ecke locken. Er verschlang das Futter, hielt dabei aber immer ein Auge auf die Menschen gerichtet und stieß eine stetige Folge von Zisch- und Grunzlauten aus. Sogar Jack, der keine Vogelsprache verstand, erkannte darin einen Schwall von Beleidigungen.

      „Jetzt kommt der schwierige Teil“, sagte der alte Mann, als sie den Vogel herausgelockt hatten. „Ich muss Seefahrers Flügel wieder einrenken und das wird höllisch wehtun. Ich wage es aber nicht, ihm Mohnsaft zu geben. Die Mixtur ist zu stark und könnte ihn umbringen.“

      „Soll ich ihn festhalten?“, fragte Jack und betrachtete misstrauisch den scharfen Schnabel.

      „Zu gefährlich. Selbst intelligente Vögel geraten leicht in Panik, wenn man ihre Bewegungsfreiheit einschränkt. Thorgil, du musst Seefahrer ablenken. Wir brauchen ihn entspannt, damit der Zauber wirken kann. Frag ihn nach dem Land, aus dem er kommt. Du kannst ihm auch von Nordland erzählen.“

      Thorgil grinste, und Jack wusste ganz genau, dass sie fest entschlossen war, diesen neuen Zauber zu lernen. Sie begann, in der Vogelsprache zu sprechen. Es war eine merkwürdige Sprache voller Stöhn- und Klicklaute, und Seefahrer antwortete ihr mit Krächzern und Seufzern. Manchmal hörte es sich an, als käme seine Stimme aus weiter Ferne, wie etwas, das einem der Nachtwind zutrug. Dann wieder schrillte sie einem in den Ohren. Worüber die beiden sich auch unterhielten, der große Vogel schien davon fasziniert zu sein.

      „Jetzt, Junge. Achte auf meine Hände“, wies ihn der Barde leise an. „Ich werde den Zauber nicht nur sprechen, sondern auch in die Luft malen. Seefahrer kann unsere Sprache zwar nicht verstehen, aber bei Tieren ist der Tonfall wichtig. Hör also gut zu.“

      Der Barde hockte sich vor Seefahrer und begann seine Hände zu bewegen wie Seetang in ruhiger See. Es war eine schöne Bewegung, so fließend und friedvoll, dass man ihr stundenlang hätte zusehen können. Jack fand, dass es aussah wie sichtbar gemacht Musik. Der Barde begann in einer einschläfernden Stimme zu sprechen, bei der Jack sich innerlich plötzlich warm und sicher fühlte. Die Worte waren dabei nebensächlich. Der Barde hätte genauso gut „tra-la-la“ sagen können, aber sein Singsang ergab tatsächlich einen Sinn.

      Du treibst auf einem stillen Teich … treibst … und treibst … es ist das weichste Bett, das du jemals hattest und … treibst … treibst … weicher als die Schwingen deiner Mutter … sicherer als deines Vaters Schatten … niemand kann dir etwas tun … alles ist friedlich … du treibst … du wirst seeeeehr müüüüüde …

      Jacks Kopf fuhr hoch. Vor seinen Augen verschwamm alles, und er musste sich zur Konzentration zwingen. Einen Moment lang sahen die Hände des Barden tatsächlich genau wie Seetang aus, und Jack erkannte, dass der Zauber ihn zu überwältigen drohte. Er kniff sich selbst mit aller Kraft.

      Seefahrer hockte mit halb offenem Schnabel da. Er blinzelte das langsame Blinzeln der Seevögel, bei dem sich eine milchige Haut von der Seite über die Augen schiebt, bevor sich die Lider schließen. Seine Beine klappten langsam unter ihm zusammen, bis er auf dem Boden saß. Jack kniff sich noch einmal. Warm … sicher … du treibst …

      Thorgil kippte um, ohne einen Laut von sich zu geben. Sie wird einen neuen blauen Fleck haben, dachte Jack vage und versuchte, seine Sinne beisammenzuhalten. Dann fiel auch Seefahrer auf die Seite.

      „Schnell, bevor er aufwacht“, murmelte der Barde. „Drück seinen guten Flügel dicht an den Körper.“ Jack gehorchte, und während er den Anweisungen folgte, umfing sie der langsame Singsang des alten Mannes wie in einer riesigen schimmernden Spirale. Der Barde packte den anderen Flügel und zog ihn mit einer schnellen Bewegung lang. Es ertönte ein hörbares Klicken. Seefahrer schrie auf, aber seine Augen blieben geschlossen. Er lag immer noch auf dem Boden und schlief.

      „Das ging doch gut“, sagte der Barde energisch und klopfte sich die Hände ab. „Ich lasse ihn noch eine Weile schlafen. Du solltest Thorgil auf die Seite drehen, Junge. Sie liegt auf dem Gesicht und wenn ich mich nicht irre, steckt ihr ein Strohhalm in der Nase.“

      Ein Schrei in der Nacht

      Thorgil hatte am nächsten Morgen tatsächlich einen blauen Fleck im Gesicht,


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