Chronik eines Weltläufers. Hans Imgram

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Chronik eines Weltläufers - Hans Imgram


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gestrandet draußen zwischen den verräterischen Korallenklippen. Ich war auf dem Schiff der einzige Fahrgast gewesen, mit dem sich der sonst sehr schweigsame Kapitän Roberts unterhalten hatte. Er nahm mich auch mit, als ihm unser Wächter von der Anhöhe zurief, dass ein Segel in Sicht sei. Durch das Fernrohr sah ich eine malaiische Praue auf unsere Insel zukommen, die von weiteren fünfzehn Booten verfolgt wurde. Wir eilten hinunter, teilten unsere Mannschaft in zwei Abteilungen, denn wir wussten nicht, wie sich die Dinge entwickeln würden. Das erste Boot fuhr durch den Korallenring in das ruhige Wasser der Bucht. Der Verfolgte zog sein Boot halb aus dem Wasser, hing sich den Köcher über, nahm den Bogen zur Hand und griff dann nach seiner Flinte. Ich machte mich bemerkbar und kam mit ihm in ein kurzes Gespräch, wobei er mir erzählte, dass er Potomba heiße, in Papetee der Hauptstadt von Tahiti wohne, ein Ehri, ein Fürst des Landes sei und von seinem Schwiegervater verfolgt werde, der ihn töten wolle, weil er, Potomba, ein Christ sei. Soeben versuchte das erste Boot seiner Verfolger die Einfahrt durch den engen Kanal. Da zeigten sich alle Matrosen. Als die Verfolger sahen, dass die Insel von einer ganzen Truppe europäisch gekleideter Männer besetzt war, zogen sie schleunigst die Segel wieder auf und ruderten von dannen. Um Hilfe herbeizuholen, wollte mich Potomba in seinem kleinen Boot mit nach Tahiti nehmen, das wir vielleicht in zwei Tagen erreichen würden.

      Sonntag, 12. November 1865:

      Wir langten nach zwei Tagen in Tahiti an. Jetzt nun lag die herrliche Insel vor uns und Papetee hob sich immer mehr hervor. Im Hafen lag eine Reihe von Seeschiffen, die durch die breitere Einfahrt Zugang gefunden hatten. Der Bau des einen kam mir bekannt vor. Droben in den Wanten hing ein Mann, nämlich der sehr wackere und ehrenwerte Kapitän Frick Turnerstick. Er versprach mir, die gestrandete Mannschaft der ‚Poseidon‘ zu holen, sobald er morgen früh mit der Ebbe auslaufen konnte. Dann fuhren wir an Land, wo Potomba von seinem Bruder Potai hörte, dass sein Schwiegervater – der Heiden-Priester Anoui – Potombas Frau Pareyma, entführt hatte, da dieser die Hochzeit seiner Tochter mit einem Christen nicht anerkannte. Dabei hatte er Potombas Mutter erstochen. Pareyma sollte heute noch in Tamai auf der Insel Eimeo mit Matemba, dem Todfeind Potombas, verheiratet werden. Die beiden Brüder wollten auf Turnersticks Schiff Tahiti verlassen und nach Samoa gehen, nachdem alles Hab und Gut verkauft worden war. Doch zuvor wollte Potomba noch auf die Nachbarinsel, um seine Frau wiederzuholen. Ich informierte Kapitän Turnerstick von allem und stieg mit dem Ehri in ein Boot, das wohl vier Personen fassen konnte. Er hisste das Segel und wir flogen über das ruhige Wasser und nahmen dann Kurs auf Eimeo. Wir erreichten eine Brotfruchtpflanzung, die uns gute Deckung gewährte. Vor einem durch seine Größe auffallenden Haus stand ein mit Blumen geschmückter Altar mit zwei Götzenbildern, an dem vermutlich die Trauungsfeierlichkeit vor sich gehen sollte. Ich schlich mich an das Haus heran. Wenn das junge Weib, das ich da erblickte, wirklich Pareyma war, so konnte ich die Liebe begreifen, die Potomba für sie hegte. Sie erschrak zuerst, als ich sie ansprach und ihr sagte, dass Potomba in der Nähe sei und sie retten wollte. Sie solle nur alles tun, was ihr Vater wolle. Als auf der anderen Seite des Hauses ein Tamtam erscholl, kehrte ich zu Potomba zurück. Pareyma wurde zum Altar geleitet, an dem ihr Vater Anoui die Zeremonie beginnen wollte. Diese war in vollem Gange, als sich Potomba durch die Menge der Zuhörer drängte und vor dem Altar erschien. Mit einem raschen Sprung stand er auf dem Altar und zerstörte die Götzenbilder. Wir rannten zum Boot, fuhren weg und landeten später erneut auf Eimeo, in Alfaraeita, wo wir bis zu der bald hereinbrechenden Dunkelheit blieben. Dann brachen wir auf. Der Ehri hatte sich vorher eine beträchtliche Menge Fische gekauft und sie mit ins Boot genommen. Wir ruderten hinaus auf See und er warf nach und nach die Fische ins Wasser, bis sich mehr als ein halbes Dutzend Haie um unser Boot tummelte. Nun warteten wir auf die Hochzeitsflotte, die von Eimeo nach Tahiti hinüberfahren würde.

      Montag, 13. November 1865:

      Mitternacht war wohl schon vorüber, als wir die beleuchteten Boote bemerkten; im ersten saßen drei Personen: Matemba, Anoui und Pareyma. Wir erreichten es rasch und Potomba rief Pareyma, zu uns zu kommen. Die Gerufene erhob sich und schnellte über den Ausleger zu uns ins Boot. Der Ehri empfing sie mit dem linken Arm und ließ sie niedergleiten, dann bog er sich über Bord und zerschnitt mit zwei raschen Zügen die Baststricke, die den Ausleger des Hochzeitsbootes mit den Querstangen verbanden. Das Boot kenterte, Matemba und der Priester stürzten ins Wasser und wurden augenblicklich von den Haien verschlungen. Die wütenden Insassen der Prauen versuchten uns einzuholen. Es gelang ihnen nicht. In fünf Minuten hatten wir den ‚Wind‘ erreicht, der sein Fallreep niederließ. Am Morgen stachen wir in See.

      Samstag, 18. November 1865:

      Fünf Tage später befand sich Kapitän Roberts mit seinen Marsgasten und allem geretteten Gut bei uns an Bord, dann segelte der ‚Wind‘ nach Nord bei West, um die Samoa-Inseln zu erreichen.

      Freitag, 5. Januar 1866:

      Nachdem wir Potomba, den Ehri von Tahiti, seine liebliche Pareyma, seinen Bruder Potai und den Diener Ombi auf der Samoa-Insel Upolu abgesetzt und den Kapitän Roberts vom ‚Poseidon‘ mit seinen Marsgasten da gelandet hatten, waren wir einige Tage vor Anker geblieben und dann nach den Marianen gegangen, von wo aus wir nach den Bonin-Inseln segelten. Wir hatten sie aber noch nicht erreicht, als der Kapitän plötzlich einige Striche mehr nach Südwest abfallen ließ. Ein Taifun war im Anzug und da ich einen solchen einmal ‚hautnah‘ erleben wollte, ließ ich mich am Mast festbinden. Ich hatte noch niemals einen solchen Aufruhr der Naturkräfte erlebt und erwartete alle Sekunden, von meinem Haltpunkt losgerissen und in die kochende See geschleudert zu werden. Jetzt legte der Taifun mit doppelter Kraft los. Ein blendender Blitzschlag zuckte nieder, es erfolgte ein Donnerschlag, unter dem die See erkrachte und die Erde zu bersten schien und dann wühlte sich der Taifun ins Wasser. Wir wurden vom Wogenstrudel gepackt und um unsere eigene Achse gedreht. Ein entsetzliches Krachen und Prasseln und Schmettern, dann schwiegen die Lüfte so urplötzlich, und nur das Branden der Wogen gegen unsere Planken ließ sich vernehmen. Der Fockmast war gebrochen, das Schiff lag nach Starbord hinüber, weshalb die Taue sofort gekappt werden mussten. Auf dem Deck sah es fürchterlich aus. Und es war Wasser im Raum. Bereits nach zwei Minuten waren die Pumpen im Einsatz, während der Schiffzimmermann das Leck aufzufinden und zu verstopfen suchte. Wir mussten den nächsten Hafen anlaufen, um die Taifun-Schäden zu beheben. Das würde bestimmt einige Tage in Anspruch nehmen. Gegen Abend sahen wir die Peel-Insel, die südlichste der drei großen Bonin-Inseln, auf der auch der Haupthafen liegt, vor uns auftauchen, und eine halbe Stunde später gingen wir in Port Lloyd vor Anker.

      Samstag, 6. Januar 1866:

      Am andern Morgen gab es sehr viel auf unserem braven ‚The Wind‘ zu schaffen. Das Leck konnte nur von außen vollständig beseitigt werden, und da auf Peel-Island von einem Dock keine Rede war, so waren Taucherarbeiten erforderlich. Am Nachmittag ging ich mit Turnerstick auf Ziegenjagd in die Berge. Dabei konnten wir einen Chinesen retten, dessen Dschunke vom Taifun zerstört worden war. Die ganze Besatzung war umgekommen, nur ihn allein hatten die hohen Wellen über eine Felsklippe an einen Binnensee unter einer steilen Felswand gespült. Ohne uns wäre er nie gefunden worden. Er hieß Kong-ni und stammte aus Kanton.

      Samstag, 20. Januar 1866:

      Der Taifun hatte das ganze Gebäude des Schiffes arg zusammengerüttelt. Um nur die Hauptschäden wiederherzustellen, bedurften wir eines Aufenthaltes in Port Lloyd von zwei Wochen. Dann endlich gingen wir in See nach Kanton, wo die Hauptausbesserungen bewerkstelligt werden sollten.

      Dienstag, 30. Januar 1866:

      Die Granitfelsen der Insel, auf denen Hongkong erbaut ist, stiegen vor uns empor. Die uns begegnenden Fahrzeuge waren längst immer zahlreicher geworden, und als wir die Landspitze erreichten, hinter der Viktoria liegt, sahen wir im wahrsten Sinn des Wortes Tausende von Dschunken um uns her, teils mit Fischerei und teils mit Küstenhandel beschäftigt. Wir gingen in voller Takelung vor Anker. Kong-ni entpuppte sich als Mandarin und er wollte mir den Weg ebnen, dass ich als ‚angenommener Chinese‘ jederzeit durch das Land reisen konnte, ohne in Lebensgefahr zu geraten. Als er uns für sechs Tage verließ, hängte er mir eine Kette um, die mich vor den Flusspiraten schützen sollte.

      Mittwoch, 31. Januar 1866:

      Am frühen Morgen holte mich Turnerstick aus der Koje. Er hatte ein Lohnboot gemietet, das uns zuerst nach Hongkong bringen sollte,


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