Herzen in Aufruhr. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.wechselte Herr Krüger das Thema und sagte in gereiztem Ton: »Unsere Tochter hat mir heute einen reichlich verrückten Plan vorgetragen. Um es gleich vorwegzunehmen: Ich bin ganz und gar dagegen.«
»Ja, Eva?« fragte Evas Mutter sofort. »Was gibt’s denn?«
Eva hätte am liebsten nichts gesagt. Sie wußte ja, daß es sinnlos sein würde. Aber es lag ihr so viel an dieser seit langem geplanten Reise mit der Freundin, daß sie voller Verzweiflung einen neuen Anlauf nahm. »Regine und ich, wir wollten in ihrem Urlaub, das heißt in den großen Ferien, zusammen wegfahren.«
»Ausgerechnet mit Regine Karlson!?« gab Frau Krüger prompt zurück. »Wie oft soll ich dir noch sagen, daß sie nicht der richtige Umgang für dich ist! Sie war ja auch schon einmal verlobt …«
»Na und?« rief Eva aufgebracht. »Ist das etwa eine Schande?«
»Eine geplatzte Verlobung ist peinlich«, behauptete ihre Mutter, »egal aus welchem Grund es zum Bruch gekommen ist. Ich glaube dir ja gerne, daß sie nicht schuld daran war. Aber daß sie überhaupt verlobt war, zeigt, daß sie Erfahrungen hat, die sich für ein so junges Mädchen wie dich nicht gehören.«
»Das ist doch an den Haaren herbeigezogen!« protestierte Eva.
»Daß du meinen Standpunkt nicht verstehen willst, beweist nur, wie recht ich habe. Ich sehe es schon ungern genug, wenn du hier in Düsseldorf mit ihr zusammenkommst. Ich denke ja nicht daran, dich mit ihr losziehen zu lassen. Das könnte ich einfach nicht verantworten.«
Eva starrte sie wütend über den Tisch hinweg an. »Und warum nicht, wenn ich fragen darf? Wenn du meinst, ich würde durch sie mit irgendwelchen Typen schlafen, dann bist du völlig schief gewickelt! Mit Regine könnte ich mich auf den Mond schießen lassen, ohne daß was passieren würde!«
»Hört euch das an!« rief ihr Bruder Peter begeistert.
Die Schwester prustete los.
»Ihr habt gut lachen!« schrie Eva. »Ihr wißt ja nicht, was gespielt wird! Tatsache ist, es gibt nur einen Ort auf der Welt, an dem mir was passieren kann, und das ist in der eigenen Familie!«
Ihre Mutter wurde weiß um die Nase. »Was soll das heißen?«
»Du hast mich sehr gut verstanden!«
»Das ist unerhört!« Frau Krügers Stimme zitterte. »Du wagst es, deinen Vater zu verleumden … nein, das ist zuviel! Ich habe dich immer in Schutz genommen, aber … also wirklich …«
Es verschlug ihr die Sprache, und es dauerte ein paar Sekunden, bis sie weitersprechen konnte. »Geh sofort auf dein Zimmer! Du hast Hausarrest!«
»Nein!« Eva sprang auf. »Ihr könnt mich nicht einsperren … das dürft ihr nicht! Ich muß doch wenigstens Regine Bescheid sagen!«
»Regine wird schon ganz von selber merken, was die Glocke geschlagen hat«, sagte ihre Mutter energisch.
Eva verlegte sich aufs Bitten und Betteln. Aber es half nichts. Wenig später war sie auf ihrem Zimmer, und die Tür wurde von außen abgeschlossen.
Sie war viel zu zornig, um weinen zu können.
Als Eva sich einigermaßen beruhigt hatte, wusch sie sich erst einmal das Gesicht. Dann drehte sie ihr Transistorgerät an, und zwar in voller Lautstärke — die Eltern sollten sich bloß nicht einbilden, daß sie am Boden zerstört war.
Nach einer Weile aber wurde ihr klar, daß es wahrscheinlich klüger sein würde, wenn sie sich ruhig verhielt. Immerhin bestand eine gewisse Aussicht, daß die Eltern am Abend noch einmal zu Tante Anna fuhren, und wenn sie und die jüngeren Geschwister allein in der Wohnung blieben, würde sich vielleicht noch eine Chance für sie ergeben.
Also drehte sie den Apparat ab und lauschte auf die Geräusche in den anderen Zimmern. Eine gute Stunde ließ sich gar nichts Besonderes ausmachen, und sie war schon der Verzweiflung nahe. Dann wurden Schritte und Stimmen auf dem Flur laut, die Wohnungstür wurde geöffnet und fiel ins Schloß.
Eine Weile noch lauschte Eva atemlos und wagte nicht, ihrem Glück im Unglück zu trauen. Aber die Stille, die nun herrschte, konnte nur eines bedeuten — die Eltern waren weggegangen.
Eva klopfte SOS gegen die Wand — kurz, lang, kurz —, ein zwischen ihr und ihrem jüngeren Bruder Peter oft bewährtes Verständigungszeichen. Peter bumste zurück, und ein wenig später meldete er sich vor der Tür.
»Was ist los?«
»Ach, Peter«, flötete Eva zuckersüß, »bloß eine Frage … Interessierst du dich noch immer für meine Dynamo-Lampe?«
»Kann schon sein«, gab Peter nach kurzem Zögern zu.
»Willst du sie haben?«
Peter verstand sofort. »Wenn ich dich rauslasse, kriege ich einen Riesenkrach.«
»Unsinn. Sie müssen es ja nicht merken. Ich radle bloß mal schnell zur ›Remise‹ raus … und vor Mitternacht sind die doch nicht zurück.«
»Wenn du mir versprichst …«
»Alles, was du willst … nur schließ endlich die blöde Tür auf!«
Zehn Minuten später war Peter im Besitz der Taschenlampe, und Eva verließ in hellen Jeans, einem ärmellosen roten Pulli, Sandalen und einem Regenmantel die Wohnung. Sie holte ihr Fahrrad aus dem Keller und strampelte los.
Die ›Remise‹ war eine erst vor kurzem eröffnete Diskothek in Düsseldorf-Hamm und zur Zeit der Knüller für junge Leute. Obwohl die Wände schalldicht waren, hörte Eva die Musik, als sie noch ein gutes Stück von dem Schuppen entfernt war.
Das Gebäude war früher Stall und Gerätehaus eines Gutshofes und stand ganz frei in der nächtlichen Landschaft. Vor dem Lokal war ein kleiner Parkplatz, auf dem hauptsächlich VW und kleine Sportflitzer standen. Eva schob ihr Rad um das Haus herum und lehnte es an die Hinterwand. Am Eingang zahlte sie die üblichen fünf Mark — für einen Schnaps, eine Cola und die Musik.
Ein irres Getöse schlug ihr entgegen. Wenn es draußen schon warm gewesen war, dann war es drinnen heiß wie in der Hölle. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie in dem auf- und abblendenden Licht der grünen, blauen und roten Scheinwerfer einige bekannte Gesichter ausmachen konnte.
Regine entdeckte sie früher. Sie löste sich aus dem Knäuel der Tanzenden und ging ihrer Freundin entgegen.
»Alles im Eimer?« brüllte sie, um sich verständlich zu machen gegen den Lärm.
»Woher weißt du?« schrie Eva zurück.
»Man muß dich nur ansehen.«
Ein junger Mann, den Eva vom Sehen kannte, war Regine gefolgt.
»Na, komm schon«, drängte Regines Begleiter.
Eva hielt Regine zurück. »Was willst du nun machen?«
Regine warf dem jungen Mann einen koketten Blick zu. »Wer weiß … vielleicht nehme ich Harald mit!«
»Wohin, Süße?« brüllte der junge Mann in ihr Ohr.
Regine antwortete aber nicht. »Bleibst du noch?« fragte sie ihre Freundin Eva.
»Ein bißchen.«
»Dann paß auf meine Tasche auf!« Regine streifte den Riemen ihrer weißen Lackledertasche von der Schulter und gab die Tasche Eva. »Dort drüben sitzen wir … dritter Tisch links!«
Sekunden später war Regine wieder im Tanzgewühl verschwunden.
Eva gab einem Kellner ihren Bon und bestellte eine Cola mit Rum. Sie starrte in das bunte Treiben und fühlte sich unheimlich niedergeschlagen.
Regine würde nun mit diesem Harald loszwitschern oder mit sonst jemandem. Es war zum Kotzen. Der Alkohol tat überhaupt keine Wirkung. Oder doch? Als das weiße Licht aufleuchtete, bildete sie sich ein, eine Stichflamme zu sehen … und jetzt wieder! Die Dekoration