Herzen in Aufruhr. Marie Louise Fischer

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Herzen in Aufruhr - Marie Louise Fischer


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      Was für ein Glück, daß sie ihn gefunden hatte! Genausogut hätte sie auch an eine ganz üble Type geraten können.

      »Danke, Hannes«, sagte sie. Aber er antwortete nicht. Sie lauschte noch eine Weile, bis ihr seine gleichmäßigen Atemzüge verrieten, daß er schon eingeschlafen war.

      Am nächsten Morgen erwachte Eva von Musik. Bevor sie die Augen aufschlug, mußte sie sich erst besinnen, wo sie war.

      Hannes Hausmann plätscherte im Bad. Er hatte sein Transistorradio eingestellt.

      Gerade, als sie aufstehen wollte, kam er. Rasiert und frisch gewaschen, von einem Badetuch umgeben, trat er vor sie hin. »Morgen, Gina«, sagte er fröhlich. »Gut geschlafen?«

      »Einmalig gut.«

      »Das freut mich. Wenn Sie ins Bad wollen … ich mache uns inzwischen Frühstück …«

      »Soll ich das nicht lieber?«

      »Nee, danke. Sonst werfen Sie mir nachher noch vor, ich hätte Sie Ihr Nachtquartier abarbeiten lassen. Aber wenn Sie mir den Bademantel geben würden, könnte ich mich etwas besser bewegen.«

      Eva sah sich an. »Oh, Entschuldigung, damit habe ich ja geschlafen …« Unwillkürlich sprang sie auf und löste den Gürtel.

      Dann zog sie den Mantel ganz aus und warf ihn über einen Stuhl in der Nähe der Badezimmertür. Fast im selben Augenblick war sie, nur noch mit einem Slip bekleidet, im Bad verschwunden.

      Als sie vor dem Spiegel stand, nahm sie eine Haarsträhne zwischen die Finger und schnupperte daran. Wahrhaftig, Hannes Hausmann hatte recht gehabt — es roch nach Rauch. Bei nächster Gelegenheit mußte sie es unbedingt waschen. Sie machte kleine Katzenwäsche, zog Hose und Pulli an.

      Als sie ins Atelier zurückkam, war Hannes Hausmann mit dem Frühstück noch nicht fertig. Sie brachte die Matratzen wieder in Ordnung.

      Sie redeten dabei über alles mögliche, neckten sich und lachten miteinander.

      Als sie frühstückten, kamen Radionachrichten, und plötzlich hörte Eva: » … Das Feuer forderte zwölf Todesopfer, von denen inzwischen elf identifiziert werden konnten. Siebzehn junge Menschen mußten mit schweren Brandverletzungen in die umliegenden Kliniken gebracht werden. Mehrere von ihnen schweben noch in Lebensgefahr. Die Beerdigung ist für Freitag zehn Uhr auf dem Südfriedhof angesetzt worden. Man erwartet eine große Anteilnahme der Bevölkerung. Das ist die schwerste …«

      »Wieso interessieren Sie sich so sehr dafür?« fragte Hannes.

      Eva hatte betroffen gelauscht. Es dauerte eine Weile, bis sie in die Wirklichkeit zurückfand.

      »Wieso, Sie nicht ?« meinte sie abwesend. »Ist doch ein entsetzliches Unglück.«

      Hannes Hausmann blieb unbeeindruckt. »Täglich und überall sterben junge Menschen eines gewaltsamen Todes, sei es in Vietnam oder sonstwo. Ich seh’ nicht ein, warum es schrecklicher sein soll, wenn es zwölf beim Tanzen erwischt hat.«

      »Aber so ganz in unserer Nähe!«

      Er grinste. »Sentimental sind Sie auch noch.«

      »Sie werden mich bald genug los sein«, sagte sie beleidigt.

      Er zuckte die Schultern. »Von mir aus können Sie bleiben, so lange Sie wollen. Nur auf mich müssen Sie jetzt verzichten. Ich geh’ in die Akademie und komme erst gegen Abend wieder. Wenn Sie das Atelier verlassen, dann schieben Sie den Schlüssel unter die Matte. Zu klauen gibt es bei mir nichts.«

      5

      Als Hannes Hausmann gegangen war, spülte Eva zuerst einmal das Frühstücksgeschirr, machte Küche und Bad sauber. Ihr Gastgeber sollte schon noch merken, daß er keiner Schlampe Unterkunft gewährt hatte.

      Anschließend ging sie in die nächste Drogerie und kaufte ein Haarwaschmittel, das zugleich kastanienrot tönte. Regine hatte kastanienrotes Haar. Aber Eva wußte, daß die Haartönung noch nicht genügen würde, um ihr Äußeres völlig dem ihrer Freundin anzupassen. Und das mußte geschehen, wenn sie morgen auf der Beerdigung unerkannt bleiben wollte.

      Schon als sie vorhin die Nachricht von dem Brandunglück aus dem Radio gehört hatte, war sie entschlossen gewesen, morgen zum Südfriedhof zu fahren. Nur auf diese Weise konnte sie feststellen, ob Regine unter den Toten war und ob man sie selber für verbrannt hielt. Das waren die Voraussetzungen dafür, daß sie mit Regines Paß weiterleben konnte.

      Als sie wieder im Atelier war, kam sie auf die Idee, sich eine Frisur im Afro-Look zu machen. Sie flocht ihr nasses Haar zu unzähligen winzigen Zöpfen. Mehr als eine Stunde brauchte sie dafür. Dann band sie sich eines von Hannes Hausmanns bunten Halstüchern um den Kopf, bevor sie die Wohnung noch mal verließ.

      Auf dem Weg zur Drogerie hatte sie eine Schnellreinigung bemerkt. Dorthin brachte sie ihren Regenmantel mit den schwarzen Rauchflecken, und man versprach ihr, daß sie ihn schon am Abend sauber und neu imprägniert abholen könnte.

      Eva lief weiter bis zur Schadowstraße, um die notwendigsten Einkäufe zu erledigen: Höschen, ein Paar Riemchenschuhe, eine Felltasche zum Umhängen und ein dunkelblaues Kleid im Zigeuner-Look, alles von Regines Geld.

      Wenn die Freundin noch lebte, das nahm sie sich fest vor, würde sie ihr nicht nur den Paß, sondern auch das Geld zurückgeben, egal wie. Aber jetzt brauchte sie einfach ein paar Kleidungsstücke, um nicht erkannt zu werden.

      Sie durchquerte den Hofgarten in der entgegengesetzten Richtung wie in der Nacht zuvor und erstand in der Altstadt bei einem Trödler einen billigen alten Koffer, in den sie ihre Einkäufe verpackte. Zu Mittag aß sie Linsensuppe mit Mettwurst und zählte Regines Geld. Obwohl sie jede Mark dreimal umgedreht hatte, bevor sie sie ausgab, waren die 350 Mark erschreckend zusammengeschmolzen. Ganze 180 waren es noch.

      Ursprünglich hatte sie vorgehabt, sich für die zweite Nacht ein Zimmer in einer Pension oder einem Hotel zu suchen. Aber jetzt schien es ihr vernünftiger, noch eine Nacht bei Hannes Hausmann zu bleiben. Sie mußte mit dem verbliebenen Geld so sparsam wie nur möglich umgehen.

      Eva hatte sich schon eine schnippische Antwort zurechtgelegt, falls Hannes Hausmann eine dumme Bemerkung machen würde, weil sie immer noch bei ihm im Atelier war.

      Aber er reagierte ganz anders, als sie erwartet hatte. »Na, wunderbar!« rief er. »Und ich hatte schon befürchtet, Sie hätten mich sang- und klanglos verlassen, Gina.« Er legte die große Tragtasche, die er mitgebracht hatte, auf den Tisch.

      »Heute früh hatte ich den Eindruck, Sie wollten mich sobald wie möglich loshaben«, sagte Eva.

      »Da müssen Sie mich vollkommen mißverstanden haben!« Er nahm sie in die Arme und küßte sie einfach.

      Sie war so vollkommen überrumpelt, daß sie es sich widerspruchslos gefallen ließ, ja, seinen Kuß sogar erwiderte.

      »Na also«, sagte er zufrieden, »doch nicht so altmodisch.«

      Eva löste sich von ihm. »Bis zu einem gewissen Punkt.«

      »Ach du lieber Himmel! Fängst du schon wieder damit an!«

      »Es ist noch früh am Tag«, sagte sie und duzte ihn auch: »Wenn du mir nicht versprichst, mich in Ruhe zu lassen, kann ich noch gehen. Meinen Koffer habe ich inzwischen übrigens auch vom Bahnhof geholt … nicht um mich bei dir häuslich niederzulassen, sondern um in ein Hotel gehen zu können.«

      »Ausgezeichnet. Und warum trägst du diesen Turban?« Er zupfte an dem bunten Tuch. Als es sich löste und er ihre Zöpfchenfrisur entdeckte, brach er in ein schallendes Gelächter aus. »Was soll denn das?«

      »Ach, eine blöde Laune von mir.«

      Er nahm sie wieder in die Arme und sagte lächelnd: »Ich mag Mädchen mit blöden Launen.« Als er sie auf den Hals küßte, durchschauerte es sie.

      »Nun, wie ist es mit uns beiden«, flüsterte er. »Willst du immer noch eiserne Jungfrau spielen?«


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