Revolutionen auf dem Rasen. Jonathan Wilson
Читать онлайн книгу.niederländischen Landschaft … auf englischen Plätzen zu spielen, mit all den englischen Bräuchen und englischen Strategien“. Es ging hier also um bloße Nachahmung, eigene Ideen spielten keine Rolle.
In Mitteleuropa und Südamerika dagegen, wo man den Briten gegenüber eine skeptischere Einstellung pflegte, begann sich der Fußball weiterzuentwickeln. Zwar wurde das 2-3-5-System beibehalten, doch schließlich zählte nicht nur die Form, sondern auch der Stil. In Großbritannien blieb man, obwohl sich das Passspiel durchgesetzt hatte und das 2-3-5 allgemein verbreitet war, bei einer rauen und körperbetonten Spielweise. Andere Länder dagegen entwickelten ausgeklügeltere Formen des Fußballs.
Das Besondere am Fußball Mitteleuropas war seine schnelle Verbreitung unter der städtischen Arbeiterklasse. Zwar sorgten Tourneen des AFC Oxford University, des FC Southampton, des Londoner Klubs FC Corinthians, des FC Everton und des FC Tottenham Hotspur wie auch die Gastspiele mehrerer Trainer für einen weiterhin britischen Einfluss. Allerdings waren die Spieler selbst nicht von den Werten englischer Privatschulen geprägt worden und deshalb auch nicht voreingenommen, was die „richtige“ Art betraf, Fußball zu spielen.
Darüber hinaus übten die Schotten den größten Einfluss auf sie aus. So kam es, dass das Spiel von kurzem, schnellem Passspiel dominiert wurde. Slavia Prag beispielsweise wurde von 1905 bis 1938 von John Madden trainiert, der vorher bei Celtic Glasgow als linker Innenstürmer aktiv gewesen war. Wie Jim Craig in seinem Buch A Lion Looks Back schreibt, galt er als „der Ballkünstler seiner Zeit, der alle Tricks draufhatte“. Unterdessen war sein Landsmann John Dick, der einst für den FC Airdrieonians und Arsenal London gespielt hatte, zwischen 1919 und 1933 zweimal als Trainer für Sparta Prag verantwortlich. In Österreich unternahm man gleichzeitig den bewussten Versuch, den Stil der Glasgow Rangers nachzuahmen, die dort im Jahre 1905 eine Tournee absolviert hatten.
Der wichtigste Lehrmeister des schottischen Spiels aber war ein Engländer irischer Abstammung: Jimmy Hogan. Er stammte aus einer streng katholischen Familie und wuchs in Burnley in Nordengland auf. Als Jugendlicher trug er sich zunächst mit dem Gedanken, Priester zu werden. Dann aber wandte er sich dem Fußball zu und wurde schließlich der einflussreichste Trainer aller Zeiten. „Wir spielten Fußball, wie ihn Jimmy Hogan uns gelehrt hatte“, sagte Gusztáv Sebes, Trainer der großen ungarischen Mannschaft der 1950er Jahre. „Wann immer man unsere Geschichte des Fußballs erzählt, sollte sein Name in goldenen Lettern geschrieben werden.“
Entgegen dem Wunsch seines Vaters, der eine Karriere als Buchhalter für ihn vorgesehen hatte, trat Hogan als 16-Jähriger der in Lancashire beheimateten Mannschaft des FC Nelson bei. Er entwickelte sich nach eigener Aussage zu einem „brauchbaren und fleißigen rechten Innenstürmer“, wechselte weiter zum AFC Rochdale und später zum FC Burnley. Berichten zufolge war er ein schwieriger Charakter, der immer wieder um eine bessere Bezahlung feilschte und fast besessen an sich arbeitete. Seine Mannschaftskameraden gaben ihm den Spitznamen „der Pfarrer“ und spielten damit auf seine pedantische, fast puritanisch anmutende Art an. Beispielsweise ersannen Hogan und sein Vater ein einfaches Trainingsfahrrad – im Prinzip ein auf einem klapprigen Holzgestell befestigtes Fahrrad. Darauf legte er täglich knapp 50 Kilometer zurück, bis er bemerkte, dass dies lediglich zu einer Festigung seiner Wadenmuskeln führte und ihn alles andere als schneller machte.
Training als solches sorgte selbst im Profifußball zunächst für Stirnrunzeln. Man erwartete von den Spielern, dass sie rannten und gegebenenfalls sogar ihre Sprintstärke trainierten. Die Arbeit mit dem Ball dagegen wurde als unnötig, möglicherweise sogar als schädlich angesehen. Auf dem Trainingsplan von Tottenham Hotspur von 1904 standen lediglich zwei Einheiten pro Woche mit dem Ball, was aber immer noch mehr war als bei den meisten anderen Teams. Würde man einem Spieler unter der Woche einen Ball geben, so die Argumentation, wäre er am Sonnabend nicht hungrig danach.
Nach einem Spiel, in dem Hogan eine Reihe von Gegnern ausgedribbelt, eine gute Chance herausgespielt und dann enttäuschenderweise über die Querlatte geschossen hatte, fragte er Trainer Spen Whittaker, was er wohl verkehrt gemacht habe. War seine Fußhaltung nicht korrekt gewesen? War er nicht im Gleichgewicht gewesen? Whittaker zeigte sich wenig interessiert und riet Hogan lediglich, es weiter zu versuchen. Ein Treffer bei zehn Versuchen sei doch eine ordentliche Quote. Manch anderer hätte nach solch einem Gespräch lediglich mit den Schultern gezuckt. Hogan dagegen blieb, perfektionistisch wie er nun einmal war, hartnäckig bei der Sache. Seiner Ansicht nach waren solche Dinge keine Frage des Glücks, sondern der Technik. „Von dem Tag an begann ich, dies alles selbst zu ergründen“, sagte er. „Zusätzlich suchte ich den Rat der wirklich großen Spieler. So kam es, dass ich in meinem späteren Leben Trainer wurde. Es lag nahe, weil ich mich ja schon als recht junger Profi selbst trainiert hatte.“
Hogan war von der primitiven Herangehensweise in Burnley zwar frustriert. Dennoch verließ er Lancashire erst im Alter von 23 Jahren zum ersten Mal, und das auch nur aufgrund finanzieller Differenzen. Fulhams Trainer Harry Bradshaw, den er bei Burnley kurz kennengelernt hatte, lockte ihn fort. Bradshaw verfügte über keinen Hintergrund als Spieler und war eher Geschäftsmann und Funktionär denn Trainer. Nichtsdestotrotz besaß er klare Vorstellungen davon, wie Fußball gespielt werden musste. Da er kein Anhänger des Kick-and-rush war, verpflichtete er eine Reihe von schottischen Trainern, die im Kurzpassspiel geschult waren.
Bradshaws Methode war fraglos erfolgreich. Mit Hogans Hilfe gewann Fulham 1906 und 1907 die Meisterschaft in der Southern League. Nachdem der Verein 1907/08 der zweiten Liga der Football League beigetreten war, erreichte man das Halbfinale des FA-Pokals, wo man schließlich gegen Newcastle United verlor. Bei dieser Gelegenheit spielte der bereits seit einiger Zeit an einer Knieverletzung laborierende Hogan zum letzten Mal für den Klub. Geschäftsmann, der er war, entschied Bradshaw, dass weitere Einsätze ein nicht zu rechtfertigendes Risiko für den Verein darstellten. Kurzzeitig schloss Hogan sich Swindon Town an. Dann aber überzeugten ihn Vertreter der Bolton Wanderers von einer Rückkehr in den Nordwesten, nachdem sie eines Sonntags nach der Abendmesse vor der Kirche auf ihn gewartet hatten.
Seine dortige Karriere verlief indes enttäuschend und endete mit dem Abstieg. Dafür wurde Hogan bei einer während der Saisonvorbereitung durchgeführten Reise in die Niederlande auf das in Europa schlummernde Potenzial und den dort vorhandenen Lernwillen der Spieler aufmerksam. Der englische Fußball mochte Training vielleicht als unnötig abgetan haben – die Niederländer hingegen bettelten geradezu darum. Nach einem 10:0-Sieg über den FC Dordrecht schwor Hogan, eines Tages „zurückzukehren und diesen Jungs beizubringen, wie man vernünftig spielt“.
Dass es tatsächlich so kommen sollte, war auch seiner Freundschaft mit dem aus Redcar stammenden Ingenieur James Howcroft, der als einer der besten Schiedsrichter galt, zu verdanken. Da Howcroft regelmäßig die Leitung von Spielen außerhalb Großbritanniens übernahm, kannte er eine Reihe ausländischer Funktionäre. Eines Abends erwähnte Howcroft Hogan gegenüber, dass Dordrecht einen neuen Trainer suche und darauf hoffe, einen Experten des britischen Spiels zu verpflichten. Hogan ließ sich diese Gelegenheit nicht entgehen und bewarb sich. Ein Jahr nach seinem Schwur kehrte er im Alter von 28 Jahren nach Holland zurück, wo man sich auf einen Zweijahresvertrag einigte.
Hogans Spieler waren Amateure, darunter viele Studenten. Dennoch begann er sie einem Training zu unterziehen, wie er es bei britischen Profis für angebracht gehalten hätte. Fraglos förderte er dabei auch die Fitness der Spieler, doch ging es ihm vor allem darum, ihre Ballkontrolle zu verbessern. Seinen eigenen Worten nach wollte er mit seiner Mannschaft „das alte schottische Spiel“ nachbilden und auf „intelligente, konstruktive und fortschrittliche Weise“ spielen lassen. Hogan führte auch theoretische Einheiten ein, in denen er seine Vorstellungen vom Fußball mit Kreide auf einer Tafel erläuterte. Fort an wurde Taktik und Positionsspiel nicht mehr einfach nur spontan auf dem Platz vermittelt, sondern mit Hilfe von Diagrammen in einem Klassenzimmer erklärt.
Hogan war erfolgreich und beliebt – so sehr, dass man ihn um die Betreuung der niederländischen Nationalmannschaft bei einem Spiel gegen Deutschland bat. Dieses endete mit einem 2:1-Erfolg. Da Hogan aber gerade einmal 30 Jahre alt war, überkam ihn das Gefühl,