Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast
Читать онлайн книгу.es nicht ohne Striegel, vor allem, wenn Kerlchen draußen gewesen war. Die Wiese hatte lehmige Stellen, und dann klebte der Schmutz in den langen Fesselhaaren, wenn er getrocknet war, so daß man ihn kaum herausbekam.
„So schön, so brav – hoi!“ Anja tat einen kleinen Schrei, jemand hatte sie von hinten geschubst, und sie war gegen die Flanke des Pferdes gefallen. Jemand? Othello natürlich, der Zwergziegenbock. Wie in vielen Reitställen gab es auch hier einen Ziegenbock, halb als Maskottchen, halb aus dem alten Aberglauben heraus, daß Pferde nicht krank werden, solange ein Ziegenbock im Stall ist.
Wieweit das stimmte, wußte Anja nicht. Herr Anders hatte es ihr damit erklärt, daß Ziegenböcke sehr stark röchen, sehr scharf, und Ratten könnten diesen Geruch nicht leiden. Ratten übertragen oft ansteckende Krankheiten. Wo Hafer ist, stellen sich Ratten und Mäuse automatisch ein, also wäre es schlau, einen Ziegenbock zu halten und dieses Ungeziefer damit fernzuhalten. Auch Katzen gab es in fast allen Reitställen, und viele Reiter und Reiterinnen brachten ihnen regelmäßig etwas mit, Wurstreste oder auch Fisch. Anja hatte das bei einer Reiterin erlebt, die nur einmal die Woche kam, um zu reiten. Sie war nicht sehr groß, schlank wie ein Junge und von einer frischen Resolutheit, die Anja gefiel.
„Die? Die ist Ärztin“, hatte Petra berichtet, als Anja sich nach ihr erkundigte. „Soll sehr tüchtig sein, hat deshalb wenig Zeit. Cornelia nennen wir sie. Ich weiß nicht, ob das stimmt, sie sagte es so, daß man nicht wußte, ob sie Spaß macht. Und sie wäre fünfhundert Jahre alt, hat sie geantwortet, als Elke sie nach ihrem Alter fragte.“
„Geh weg, du Ekel“, sagte Anja jetzt und versuchte Othello aus dem Stand zu schieben. Sie konnte ihn gut leiden, den kleinen schwarzen Teufel mit den winzigen spitzen Hörnern. Othello ging im Stall umher, als gehörte der ihm allein, bei jedem Pferd im Stand schlief er, wie es ihm gerade paßte, stahl sich Hafer und griff alle, die er nicht leiden konnte, von Zeit zu Zeit an, wütend, die Hörner gesenkt, oft auch Männchen machend, was sehr drollig aussah. Aber mitunter tat er einem auch richtig weh, wenn er einen unvermutet schubste und man gegen etwas Härteres flog als gegen Kerlchens weiche Flanke. Ein einziges Glück, daß dieser nicht erschrocken war, als Anja gegen ihn fiel.
Aber Kerlchen ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, schnoberte nur ein wenig zu ihr hin, indem er den Hals drehte, und pustete dann wieder in seine leere Krippe hinein.
„Ja, ich hab’ dir doch was mitgebracht.“ Anja grub in ihrer Hosentasche und ließ ein paar Möhrenstückchen in die Krippe fallen, die Kerlchen sogleich mit den Lippen aufnahm und zu kauen begann. Ein Glück, daß die kleinen Brüder jetzt schon Möhrenbrei bekamen. Da blieb immer etwas beim Putzen zurück, und das steckte Anja sofort ein. Sie erzählte das Petra, während sie beide um die Wette striegelten.
„Und wenn die Jungen erst Spinat bekommen …“Petra lachte. „Mein kleiner Bruder bekam immer Spinat, na, der spuckte was zusammen!“
„Du hast auch einen kleinen Bruder?“ fragte Anja. „Ich hab’ zwei. Zwillinge, noch ganz klein.“
„Meiner ist schon neun, aber gräßlich verwöhnt“, sagte Petra. Man hörte ihre Stimme dumpf von unten kommen, sie kratzte Wanda gerade den Bauch sauber. „So was von Heulemeier. Denkst du, der reitet? Der brüllt, wenn man ihn aufs Pferd setzt.“ Abgrundtiefe Verachtung klang aus ihrer Stimme. „Aber das kommt davon, wenn sich Eltern wie verrückt Söhne wünschen. Wir sind drei Schwestern, zwei sind größer als ich, die reiten schon lange. Aber der Herr Kronprinz, nicht um die Welt!“
„Vielleicht ist er mal tüchtig abgeschmiert?“ fragte jetzt eine andere Stimme dazwischen. Anja und Petra hoben die Köpfe. Ach so, Cornelia.
„Heut ist doch nicht Mittwoch“, sagte Petra verwundert. Sie hatte die Stundenpläne der Reitenden haarscharf im Kopf. Die Ältere lachte.
„Ich reite trotzdem, wenn du gestattest. Wen krieg’ ich denn?“
„Ich seh’ nach.“ Petra schoß aus dem Stand heraus und durch die Tür, hinüber zur Baracke. Dort lagen die Nummern der Pferde aus, zusammen mit den Namen der Reiter für diesen Tag.
„Den Creon“, berichtete sie, wieder hereinflitzend, und strahlte Cornelia an. „Soll ich ihn Ihnen satteln?“
„Menschenskind, Petra! Ist nett gemeint, aber seh’ ich aus wie jemand, der sich das Pferd satteln läßt?“
„O Entschuldigung, nein. Ich meinte nur –“
„Du meintest es gut. Na, Creon, wie ist das mit uns beiden? Werden wir uns vertragen?“
„Reiten Sie mit uns? Jetzt, um zwei?“ fragte Petra atemlos. Cornelia lachte.
„Wenn der Gestrenge mich in eure fortgeschrittene Abteilung hineinnimmt?“
„Och, Sie können doch viel mehr. Sie reiten doch sicherlich schon fünf Jahre!“
„Aber meist nur einmal die Woche, wenn überhaupt. Wer tut sonst noch mit? Paul und Thilo und – du auch, Anja?“ Sie fragte es freundlich und gar nicht spottend. Anja wurde feuerrot.
„Ich reite überhaupt noch nicht – ich –“
„Du hilfst nur? Siehst du, so hab’ ich auch angefangen“, sagte Cornelia freundlich und hob den Sattel vom Bock, „immer im Reitstall herumgekrochen und geputzt und ausgemistet, bis ich die Eltern soweit hatte, daß sie es erlaubten. Und den Reitlehrer, daß er mich nahm.“
„Warum wollte er denn nicht?“ fragte Petra und griff nach der Decke, die Cornelia eben entfaltet hatte und neu Zusammenlegen wollte. „Warten sie, ich helf Ihnen.“
„Weil ich kein Junge bin. Damals durften nur Jungen reiten, jedenfalls dort, wo ich anfing.“
„Gemein“, sagte Petra tief überzeugt. „Man kann doch nichts dafür, daß man kein Junge ist. Ich wäre nämlich gern einer. Ich sollte unbedingt ein Sohn werden, Peter sollte ich heißen.“
„Sei froh, daß du eine Tochter bist. Wenn Töchter brav und sanft sind und Puppenkleider nähen, sind die Eltern froh, und wenn sie lieber reiten oder herumtoben, sind sie auch froh – und stolz.“ Cornelia lachte leise, während sie die gefaltete Decke auf Creons Rücken legte.
„Puppenkleider nähen!“ murmelte Petra. „Komm, Wanda, mein Püppchen, soll ich dich auf den Arm nehmen?“
Anja hielt die Tür auf, als Petra mit Wanda und Cornelia mit Creon hinaus wollten. Es regnete im Augenblick nicht, sie kamen trocken hinunter zur Halle. Paul und Thilo waren schon drin und bewegten ihre Pferde. Sie ritten Besitzerpferde, Paul einen etwas massigen Schimmel, Wisky, und Thilo seinen Skanda. Anja lief durch die trockene Lohe und setzte sich jenseits der Bande auf die Bank. Von hier aus konnte sie die Halle gut übersehen. Gleich darauf erschien der Reitlehrer.
Er hatte schlechte Laune, wie man sogleich merkte. Nein, Anja war doch froh, daß sie noch nicht mitritt. Was würde er ihr alles an den Kopf werfen, wenn sie sich anfangs dumm anstellte, wo er schon bei Petra dauernd etwas auszusetzen fand!
Die kam mit ihrer Wanda auch wirklich nicht zurecht. Erst ließ die Stute nicht aufsitzen, trat hin und her, und Petra, schon im linken Bügel, mußte den Fuß wieder herausnehmen. Und dann, als sie sich beim zweiten Versuch rasch und geschickt hochgezogen hatte, ging Wanda los wie das Donnerwetter und ließ sich nicht aufnehmen. Der Reitlehrer tobte und brüllte etwas von Gernegroß und Pferde reiten wollen, mit denen man nicht fertig wird …
Als ob Petra sich das Pferd ausgesucht hätte! Anja fühlte eine dumpfe Wut in sich aufsteigen, wie immer, wenn sie Ungerechtigkeiten erlebte. Sie konnte es einfach nicht ertragen, wenn jemand für etwas angepfiffen wurde, wofür er nichts konnte. Vielleicht kam das daher, daß ihre Mutter immer sehr darauf bedacht gewesen war, gerecht zu sein.
Petra ließ sich nichts anmerken. Sie ritt mit zusammengebissenen Zähnen und einem verschlossenen Gesicht, sah jetzt viel älter aus, als sie war. Nachdem sie Wanda in die Abteilung hineingebracht hatte – hinter Paul, dessen Wisky ruhig und unerregt ging –, schien es besser zu werden. Wanda schnaubte zwar noch aufgeregt und versuchte sich auf das Gebiß zu legen, aber Petra war