Kleine Dämonen. Walther von Hollander

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Kleine Dämonen - Walther von Hollander


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einem der großen Verlagshäuser in Berlin während des Krieges u. k. gestellt, obwohl ich mit dem Propagandaministerium einen tückischen Kleinkrieg führte, auf den ich damals sehr stolz war und der mir jetzt recht läppisch erscheint. Denn wenn es mir auch gelang, hier und da zwischen die Zeilen meiner Zeitung ganz nette Tellerminen gegen die Regierung zu placieren, so hat das zwar meinen immer kritischer werdenden Lesern viel Spaß gemacht, aber der Regierung hat es nichts geschadet. Man ließ mich ruhig meine Minen weiter legen, obwohl es ein leichtes gewesen wäre, mich einzuziehn, da ich im letzten Jahr des ersten Weltkrieges Offizier geworden war und man Offiziere dringend brauchte. So blieb ich in Berlin und mußte miterleben, wie diese von mir so geliebte Stadt — eine der häßlichsten, aber originellsten Städte der Welt — langsam und stetig in Schutt und Asche sank. Zweimal bin ich ausgebombt worden. Das erstemal ging meine hübsche Wohnung im Künstlerblock Wilmersdorf in Flammen auf, und alles, was ich mir in zwanzig Jahren zusammengekauft hatte, meine Möbel, meine Teppiche, meine Anzüge und Mäntel, mein schöner, warmer Biberpelz, meine Bilder, meine Bücher, meine Briefe und Photographien, alle Kostbarkeiten und aller Müll meines früheren Lebens verbrannten. Bis auf die paar Sachen, die ich in zwei Lederkoffern bei jedem Angriff in den Keller schleppte. Das zweitemal wurde ich verschüttet in einer Mietskaserne am Spandauer Berg und lag dreißig Stunden zwischen zwei Betonklötze geklemmt, ohne etwas anderes abzubekommen als eine Quetschung der linken Kniescheibe, die mich manchmal am Gehen behindert.

      Ich hatte es insofern leichter als andere, als ich die letzten fünf Jahre infolge einer großen persönlichen Enttäuschung, die nicht hierher gehört, nahezu völlig einsam gelebt hatte und jedenfalls keine engeren Bindungen eingegangen war. Ich konnte deshalb auch keine Verluste erleiden, die mir hätten ans Herz, greifen können. Ein armseliges Leben, wird man sagen. Aber es ist nicht nur Eulenspiegelei, wenn ich meine, daß es in unseren Zeiten besser ist, arm zu sein. Denn die Seele des Reichen ist immer verschattet von der Angst vor dem Verlust.

      Um mich selbst habe ich nie sehr gezittert. Ich lebe ganz gern, weil ich trotz allem das Schauspiel des Lebens anregend und amüsant finde. Oder besser: ich fand es amüsant. Jetzt, nachdem sich die Sensationen allzusehr gehäuft haben, und vor allem, seitdem es sich herausstellt, daß es meistens negative Sensationen sind, beginnt mich das Zuschaun zu ermüden und zu langweilen.

      Aber ich schweife immer wieder ab und auf diese uninteressante Person hin, die bei 15 Grad Kälte draußen und 4 Grad Wärme drinnen im Polarforscherkostüm am Schreibtisch hockt und klappernd vor Kälte die klappernde Schreibmaschine bedient. Was ich sagen wollte, ist nur: Nach meiner Verschüttung empfand ich es als angenehm, daß Teile der Redaktion verlagert wurden. Mit einem kleinen Extrazug fuhren wir, zwei Wagen mit vielleicht hundert Menschen und fünf Wagen mit Akten, Schreibmaschinen, Büromaschinen und Büromöbeln, Ende Januar 1945 nach Süden. Wir fuhren recht bequem und ungeheuer langsam. Die Eisenbahnen waren schon weitgehend zerstört, und immer wieder lagen wir stundenlang auf freier Strecke, bedroht von Jabos, die uns auch zweimal erheblich beharkten. Dabei wurde neben mir das reizende Fräulein von Klemen erschossen, eine meiner begabtesten Volontärinnen, in die ich mich während der ersten zwei Tage der Fahrt so heftig verliebt hatte, daß ich ihr einen Heiratsantrag machte. Es war der zweite Heiratsantrag in meinem Leben. Ich glaube kaum, daß ich einen dritten machen werde. Wir begruben sie in Koburg auf einem besonders häßlichen Friedhof, dessen Marmorkreuze und Engel noch heute gut erhalten sind und durch ihre Existenz beweisen, daß vieles, was uns umgab, zerstörenswert war.

      In Koburg lernte ich Vittorio Trenti etwas näher kennen. Er war ein recht begabter Kameramann, der Chefphotograph des Verlages (ein Titel, den er sich ausgedacht hatte). Ich hatte ihn früher schon hier und da in der Kantine des Verlagshauses getroffen, und ab und zu kam er auch auf die Redaktion, um sich zu beschweren, daß dieses oder jenes seiner Bilder nicht gut genug placiert oder gedruckt worden war. Aber ich hatte noch keine hundert persönlichen Worte in meinem Leben mit ihm gewechselt.

      Trenti war einer der schönsten Männer, die ich je gesehn habe, und ich mag schöne Männer nicht. Woran diese Schönheit eigentlich lag, ist schwer zu beschreiben. Blauschwarzes, leicht gewelltes und sorgsam gescheiteltes Haar haben auch andere. Seine Augen allerdings, die er seiner norddeutschen Mutter, einer geborenen Gräfin Haake, verdankte (man konnte nicht zehn Minuten mit ihm zusammen sein, ohne zu erfahren, daß er sozusagen ein Halbgraf war), diese strahlend blauen, etwas seelenlosen Augen standen in einem anziehenden Gegensatz zu den schwarzen Haaren. Das Gesicht war schmal. Die Nase etwas zu groß, aber fein geschnitten. Die Lippen voll und nahezu himbeerrot. Das Gebiß sehr weiß, mit gleichmäßigen, etwas zu großen Zähnen. Er war etwas übermittelgroß, breitschulterig, schmalhüftig, sehr trainiert, ein berühmter Kurzstreckenläufer, Dritter auf der Olympiade 1936 im 200-Meter-Lauf, ein guter Reiter, ein vorzüglicher Florettfechter, ein brillanter Schiläufer. Wenn ich noch erzähle, daß er auf eine besonders saloppe Art elegant oder auf eine besonders elegante Art salopp gekleidet war — immer trug er ein pfiffiges Halstuch, ein schnittiges Lumberjack, seltsame Trainingshosen, die durch einen besonderen Schnitt auf geheimnisvolle Weise jede Plumpheit verloren, oder eine alte Manchesterhose, die an seinen langen, graden Beinen wie von einem ersten Atelier geschneidert wirkten —, so habe ich alles geschildert, was ihn zu einem typischen Herzensbrecher machte. Aber darüber hinaus hatte er eine in Deutschland sehr seltene Gabe: eine charmante Selbstverständlichkeit, mit Menschen umzugehn, die ihn auch befähigte, selbst zu den abweisendsten Mächtigen dieser Welt vorzudringen und ihr Bild mit seiner ewig jagdbereiten Kamera einzufangen. Obwohl er sich selber schön fand, war er nicht eigentlich eitel. Er verstand es aber, seine Schönheit auf anziehende Art in Szene zu setzen. Wo er sich aufhielt, war er der Mittelpunkt der Welt, und selbstverständlich war er auch der Mittelpunkt jener Woche in Koburg, in der wir im übrigen wenig taten, weil die Post schon nicht mehr recht funktionierte und die mahnenden Telegramme unseres Verlagshauses, das noch immer so tat, als müßten wir für einen Sieg arbeiten, der längst untergegangen war, uns immer gleichgültiger wurden.

      Daß Trenti ganz besonders im Mittelpunkt stand, hatte seinen Grund auch darin, daß er gerade erst aus den Gestapokellern in der Albrechtstraße entkommen war. Im Gegensatz zu allen anderen, die, wenn sie von dort herkamen, sich in ein angstvolles Schweigen verkrochen, sprach er offen und heiter von dieser Zeit. Anscheinend hatte er selbst die Gestapowachtmeister und -häuptlinge bezaubert. Ihm war jedenfalls nichts geschehn. Und genau an dem Tage, an dem der Transport aus Berlin abging, erschien er frisch, heiter und wie aus dem Ei gepellt mit umgehängter, schußbereiter Kamera in unserem Zug. Was er allerdings sonst aus den Kellern berichtete, war weniger heiter. Er erzählte ohne sonderliche Empörung und darum um so eindrucksvoller von Martern und Hinrichtungen, mit denen wir uns unsere Geschichte nicht weiter beschweren wollen. Denn Trenti selbst war durchaus nicht beschwert oder beeindruckt davon. Wenn man es auf eine Formel bringen will, was Trenti eigentlich dachte oder besser empfand — denn ich glaube nicht, daß er sich jemals mit Denken abgegeben hat—, so wird es etwa folgendes sein: Das Leben heute ist sehr interessant. Überall stehn Fallen, die den Harmlosen fangen, aber wer heute harmlos lebt, ist eben dumm. Man muß sehr genau aufpassen. Man muß leben wie das Wild im Walde, in ständiger Witterung. Dann lebt man genau so frei wie das Wild und kann die ungeheure Weite des Lebens trotz aller Gefahren genießen.

      Trenti war wegen einiger unbedachter Äußerungen festgesetzt worden, wegen harmloser Schimpfereien, wie sie damals eigentlich jeder machte, und weil er auf besonders gute Art und in erschreckender Weise genau den Propagandaminister sowohl körperlich wie stimmlich imitieren konnte. Fräulein Schütze, die in den Koburger Tagen seine Freundin war, erzählte mir, daß seine Berliner Geliebte, eine Tänzerin, ihn verpfiffen habe. Damals hörte ich zum erstenmal den Namen Manuela.

      Die Schütze ist ein guter Kerl, frisch, tüchtig, dumm und von jener angenehmen Heiterkeit, die in Zeiten wie den unsern nur die Dummen haben können. Ich gab deshalb nicht allzuviel auf ihr eifersüchtiges Geschwätz. Aber Spernser, der ein paar Tage nach uns eintraf — natürlich in einem wundervollen Ford-Acht-Zylinder, wie es sich für einen Sachverständigen in Frauenfragen gehört, und mit zwei überaus eleganten Frauen im Fond des Wagens, Frau Herma Zacke und Didi Seifert, Generaldirektorsfrauen mit Handkoffern voll Schmuck, die ihre kostbare Existenz zu retten entschlossen waren und dafür sogar dem häßlichen Spernser zulächelten, ihm vertraulich auf die breiten Schultern klopften, ihn ab und zu burschikos umarmten und ihn Herzblatt nannten —, Spernser


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