Kleine Dämonen. Walther von Hollander

Читать онлайн книгу.

Kleine Dämonen - Walther von Hollander


Скачать книгу
flüsterte Spernser, „auch der Gruber ist der Manuela schon verfallen. Ein süßes Lächeln ... schon hat sie Kölles Quartier.“

      „Wieso, vertragen die sich denn schon Wieder nach allem, was vorgefallen ist?“ wollte ich wissen.

      „Nichts ist vorgefallen“, lachte Spernser, „außer natürlich, daß Manuela ihren Vittorio mit dem Einsatz ihrer ganzen Person aus den Gestapokellern herausgeholt hat. Viktor Dreißig hat es mir selbst mit allen Einzelheiten erzählt, und er wird auch dich nicht damit verschonen. Spar’s dir also jetzt.“

      „Aber zunächst hat sie ihn doch reingebracht? Oder nicht?“

      „Du bist unlogisch, mein Freund“, sagte Spernser mitleidig. „Ist Vittorio frei oder nicht? Er ist frei. Wer hat ihn befreit? Manuela. Mit der guten Tat ist die schlechte ausgelöscht. Ja, nicht einmal gewesen. Heiße Liebe beiderseits. Tränen der Rührung in Vittorios Gräfinnenaugen. Gütige, verständnisvolle Verzeihung auf Manuelas Seite.“

      „Aber zum Donnerwetter, was verzeiht sie ihm denn? Daß sie ihn verpfiffen hat?“

      „Rede doch nicht immer wieder über diese versunkenen Berliner Kleinigkeiten. Die Geschichte mit der Schützin mußte sie ihm doch verzeihn. Sie bekam sie gleich in Rönitz ad oculos cum lacrimis demonstriert. ‚Mein Armer ...‘, sagte sie, ‚ich war ja nicht da. Da konnte dich diese unverschämte Person leicht herumkriegen. Aber ich bin dir nicht böse, obwohl ich allen Grund hätte. So ein häßliches Mädchen an meiner Stelle ... na ja, die Männer‘.“

      „Und der SS-General“, beharrte ich, „hat sie mit dem etwa ‚Mein Kampf‘ gelesen?“

      „Du bist unverbesserlich“, schloß Spernser, „immer in der Vergangenheit herumgraben. Manuela ist die Gegenwart selbst, unbelastet von allem, was je geschah. So tänzelt sie leichten Sinnes durchs Leben. Herrlich. Na ... du wirst ja sehn.“

      6

      Die Kälte dauert an. Sie dringt unaufhaltsam durch alle Mauern. Langsam bezieht sich die Ostwand des Zimmers mit einer Eisschicht, die tagsüber manchmal auftaut, wenn wir was zu heizen haben. Dann werden die Tapeten feucht. Sie lösen sich langsam von den Zimmerwänden, rollen sich, hängen in Buchten und Beuteln, aus denen es leise tropft. Aber wir haben nicht mehr viel zu heizen. Gestern erwischte ich allerdings einen Zentner Kohlen für hundert Mark und vier Zigaretten. Vier Tage wird es einigermaßen warm bleiben. Wenigstens im Zimmer. Über den Dachboden fegt ein eisiger Wind. Denn irgendeiner der anderen Dachbodenmieter, die Gesangspädagogin Pisarri (italienische Schule) oder Herr Kallumeit, D. P., d. h. displaced person, von Beruf Schwarzmarkthelfer, von Aussehen Kellner, seiner Behauptung nach ehemaliger Gutsbesitzer — irgendeiner hat das Dachbodenfenster herausgefeilt und weggetragen. Folge: der Lokus ist eingefroren und die Wasserleitung auch. Wasser kann man Gott sei Dank noch im Parterre kriegen, bei Stirrks, zwischen neun und zehn Uhr. Tessy holt es jeden Morgen in zwei Eimern. Denn ich wache immer zu spät auf. „Laß es mich nur machen“, sagte sie tröstend. „Ich habe da meine Vorteile. Stirrks sind gegen mich sehr zuvorkommend. Die anderen dürfen nicht.“

      Nein ... wir andern huschen frierend in den Trümmern herum. Die Nebenhäuser scheinen alle ganz eingefroren. Aber es ist viel Platz zwischen den Trümmern.

      „Du hast zwei Tage nicht geschrieben“, sagte Tessy heute nachmittag streng. „Du bist so faul wie damals in Wallberg.“

      „Es hat keinen Zweck, Tessy, fleißig zu sein. Bis das Buch fertig ist und es wieder Papier gibt und die Druckmaschinen wieder laufen, sind meine Leser alle verhungert oder erfroren.“

      „Damals in Wallberg hattest du tausend andere Entschuldigungen für deine Faulheit. Wie hält das ein erwachsener Mann nur aus ... immer nichts tun und vor sich hinstarren?“

      „Ich mag nicht mehr, Tessy. Zweimal habe ich mir eine sogenannte Existenz aufgebaut. Zweimal hat man sie mir zertöppert. Was soll es?“

      Tessy schnitt zwei Scheiben Brot ab und legte sie zum Rösten auf den Ofen. „Wärme als Aufschnitt“ nennt sie das. Sie schien ganz vertieft in das Rösten. Sie brach ein Stück von der Brotrinde ab und kaute es versonnen. „Was soll es, was soll es?“ sagte sie schließlich. „Entweder man stirbt dran. Das ist immer das Einfachste. Oder man stirbt nicht. Dann lebt man eben.“

      „Bloß um ein bißchen später zu sterben. Nee ... was kann schon noch kommen für einen Deutschen? Du bist noch sehr jung, Tessy. Zweiundzwanzig.“

      „Zweiundzwanzig war ich damals. Die Zeit schreitet schnell.“

      „Also dreiundzwanzigeinhalb. Du kannst es eines Tages noch besser haben. Wir Endachtundvierziger ... da kommt nichts mehr.“

      Sie reichte mir meine Scheibe Röstbrot. „Ihr habt schon ein ganz schönes Ende Leben geschluckt“, stellte sie sachlich fest. „Mit ziemlich viel Butter drauf. Was sollen wir da sagen? Bloß acht Jahre ohne Heil Hitler, und als für mich die Seidenstrümpfe anfingen, gab’s keine mehr. Was soll es? Ich weiß es auch nicht. Aber du mußt arbeiten. Meinetwegen schon.“

      „Wenn ich noch soviel arbeite ... zu Seidenstrümpfen für dich langt es doch nicht“, sagte ich ausweichend. Denn ich wußte schon, worauf sie hinaus wollte, die durchtriebene Katze.

      Sie hob entrüstet ihr Röstbrot und biß ein tüchtiges Ende ab. „Was gehn dich meine Seidenstrümpfe an? Noch hab ich außerdem ein Paar ganz gute und ein Paar verschiedene. Sieht man das eigentlich sehr?“ Sie schob ihren grauen Rock bis über die Knie hinauf.

      „Sehr niedliche Beine hast du.“

      „Ob man es sieht, daß der eine dunkler ist?“

      „Der linke ist dunkler.“

      „Falsch ... der rechte. Man sieht es also nicht. Und für dich lohnt es nicht, die guten zu strapazieren.“

      „Nein. Ich bin eben kein Frauenheld wie ...“

      Sie sprang auf und hielt mir den Mund zu. „Sprechen darfst du nicht über ihn. Schreibe, Künstler, rede nicht.“

      Und indem sie mir ihre schmalen Arme um den Hals schlang, flüsterte sie mir flehend und sanft ins Ohr: „Ich kann doch nirgends anders hin.“

      „Ich habe dir gesagt, daß du bleiben kannst“, sagte ich, wider Willen gerührt. „Laß die dramatischen Auftritte.“

      „Wenn du nicht arbeitest, bin ich schuld. Dann muß ich gehn.“ Und, indem sie mich plötzlich losließ, wieder ganz in ihrer alten, frechen Tonart: „Siehst du, es gibt noch Frauen, die ein Gewissen haben. Lohnt zwar nicht. Ihr merkt’s gar nicht. Die Gewissenlosen ... an denen klebt ihr. Na ja, Eisen zieht Eisen an. Ist doch so?“

      „Ist so. Wenigstens in der Physik“, sagte ich. „Aber wieso war ich gewissenlos? Das möchte ich gerne wissen. Ich habe niemals ...“

      „Wer spricht denn von dir, armer Alter?“

      Später packte sie ihre Handtasche, malte sich die Lippen sorgfältig und unter vielem Seufzen über die schlechte Qualität ihres Lippenstiftes, dessen mangelhafte Kußfestigkeit sie durch einen schmetterlingsartigen Abdruck auf meiner Stirn manifestierte, erbat sich den Hausschlüssel, weil es „in den Jagdgründen“ spät werden könne, denn das ersehnte Wild komme nicht auf Kommando ... und stapfte davon. Ich sah ihr nach, wie sie nachdenklich, und ab und zu wie ein junges Füllen über die Mauerbrocken hüpfend, durch die Trümmerstraße davonging. Dann wischte ich mir das Schmetterlingsmal von der Stirn, zögernder, als es seiner Lächerlichkeit zukam, und setzte mich an die Maschine.

      Ich habe es ja gleich gewußt: die jetzige Tessy wird mir die frühere verdunkeln, und wenn ich weiter so viel über unsere gleichgültigen Schwätzereien berichte, werde ich die Geschichte von Manuela und Vittorio nie zu Ende schreiben, in der Tessy ja nur eine Nebenfigur ist.

      Auf die Hauptfigur Manuela war ich natürlich an jenem ersten Abend sehr gespannt, und ich ging frühzeitig zu der verabredeten Einladung. Mein Zimmer lud auch nicht zum Bleiben. Es war ein winziges Abstellzimmer beim Bauern Dirrmoser, in dem der


Скачать книгу