Frühling in Duderstedt. Walther von Hollander

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Frühling in Duderstedt - Walther von Hollander


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ein Mädchen, ein Mädchen ....

      Mallon stand auf.

      „Wohin soll die Maschine?“ fragte er freundlich.

      Weißke hielt verdutzt inne. Die Walze ... er hatte sich das hin und her überlegt. Man war bei Duderstedt am weitesten. So sollte Mallon also bis zum Duderstedter Park fahren und sich an der Parkmauer derart unterbringen, daß er gegen Ostwind geschützt war.

      Mallon hatte nichts dazu zu sagen. Er arbeitete, wo man ihn hinstellte; Brot gab es sicher in Duderstedt wie in Himmelang, und von allen andern Nahrungsmitteln führte er kleine Vorräte mit. Er beköstigte sich selbst, sein etwas schwacher Magen verlangte aufmerksame Behandlung. Ob Herr Weißke schon einen guten Wohnwagen gesehen habe, einen mit mechanischem Fleischwolf und anderm Komfort? Der neugierige Weißke rief seine Frau, Annchen und Will, und die Familie begab sich durch ein Spalier von Kindern zur Maschine und ließ sich Bett, Schrank, Kochherd, mit Kichern auch den Abort zeigen, den Mallon allerdings als Kleider- und Wäscheschrank eingerichtet hatte. Frau Weißke fand besonderen Gefallen an der Dampfkaffeemühle und dem Fleischwolf; Will und Annchen ließen sich von der ratternden Schuhputzmaschine die Schuhe putzen; Vater Weißke stellte mit lächelnder Drohung fest, daß Mallon seine Maschinen mit staatlicher Dampfkraft betrieb, und betrachtete scheu die Bilder der Damen, die teilweise aus Zeitungen ausgeschnitten und größtenteils unbekleidet die Wände schmückten. Nach der Besichtigung gab es kräftiges Händeschütteln reihum. Will bedauerte geradezu, in wenigen Tagen mit der Arbeit fertig zu sein. Annchen winkte zurück, bevor sie wieder im Haus verschwand.

      Mallon fand den Einzug übertrieben herzlich. Er ließ seine Maschine anfahren, hatte bald die letzten Häuser hinter sich und glitt nun etwas schneller einen kleinen Hügel hinunter. Sonnig, vom Wind überflogen, spiegelnd aus vielen Pfützen, winzigen Teichen, dem Parksee bei Duderstedt und dem breiten Wasserlauf der Rühe lag die Ebene vor ihm. Mit Gebüschen im Vordergrund, grünen und braunen Feldern, auf denen Bauminseln schwammen, Reste der großen Wälder, die jetzt erst bei Duderstedt begannen und sich unübersehbar nach Süden dehnten.

      Mallon war mit der Landschaft zufrieden. Er fühlte sich heimisch, wahrscheinlich, weil sie ganz anders war als seine heimatliche Landschaft, die mit den milden Steilhängen, der sanften Zerrissenheit der Berge, der süßen und regenschweren Luft der Kiefernwälder ihn bedrückte.

      Er liebte diese Ebene gleich und am meisten vielleicht die farbige Kahlheit, in der sie sich nach Westen zu ganz allmählich mit dem Himmel zusammenschob, so als reichten die winzigen Pappeln des Horizontes wirklich von der Erde bis in den niedrigen Himmel. Mallon erinnerte sich, daß er als kleiner Junge immer zu jenen Bäumen am Horizont gewollt hatte, die nicht größer sein konnten als seine Finger oder höchstens so groß wie er selbst.

      Drittes kapitel

      Nach Süden lief die Parkmauer von Schloß Duderstedt neben der Chaussee her und verlor sich schließlich in den Wald. Sie hörte auf, weil Park und Wald ineinandergingen. Bald kam dann Preußen, und das Besitztum der Tiedebülls fing an. Man konnte es an der Ausholzung erkennen, die in Duderstedt nach strengen Grundsätzen vorgenommen wurde, während die Tiedebülls sich von jeher nach ihren Spielschulden richten mußten.

      Nach Osten aber ging die Mauer quer über die Felder, fügte sich den Bodenwellen genau an, umschloß den kleinen Schloßteich, den sogenannten Duderstedter See, und bog dann zum Herrenhaus zurück.

      Mallon richtete sich an der Chausseeseite ein. Maschine, Wasserwagen und Aufreißer ließ er auf der Straße, den Wohnwagen aber zog er dicht an die Mauer, dorthin, wo eine Riesenkiefer sich herüberlehnte, mit den untersten Ästen gerade das Wagendach streifte und mit spiralenartig übereinanderliegenden Zweigen genügenden Regenschutz bot.

      Mallon kletterte zur Orientierung gleich hinauf und saß wie ein Specht am schwankenden Stamm. Von oben sah man über Bäume und Büsche weg, über einen Rasenplatz das Herrenhaus. Es war das gewöhnliche Gutshaus, ein langgestreckter, an den Seiten ebenerdiger Bau, über dessen Mitte sich ein ziemlich niedriges Dachgeschoß erhob. Mallon kannte das aus seiner Heimat genau. Bestimmt war es hier dasselbe: in der Mitte das Speisezimmer, das Spielzimmer dann, Herrenzimmer und Schlafzimmer des Herrn auf der einen Seite, Boudoir, Teesalon, Schlafzimmer der Frau auf der andern Seite. Oben drüber die Kinder und die Gäste, links davon (natürlich, da stand es) ein Dienerhaus mit Leuteküche. Nur daß die Mutter Mallons hier nicht Leuteköchin war und vor allem nicht ehemalige Herrschaftsköchin mit dem unehelichen Kind.

      Nein, Gott sei Dank, er war nicht in Dittersberg. Hier gab es nicht den Gutspächter und nicht den Inspektor, den Lehrer nicht und nicht den Pfarrer, um die er immer trotzig und aufmerksam herumschlich, denen er auswich und die er nie grüßte, sooft ihn die Mutter das Hutabnehmen lehren wollte. Sollte sie ihm erst sagen, wer von den vieren sein Vater war. Dann wollte er die drei andern gern grüßen. Mallon schwenkte seufzend seine Mütze gegen Schloß Duderstedt. Er hatte es nie erfahren.

      Im Dunkelwerden machte sich ein Wind auf, schob den Baum langsam hin und her. Die Lichter von Himmelang schienen herüber. Auch im Schloß wurden drei Fenster hell, im Boudoir, im Herrenzimmer und im Kinderzimmer. Das Kinderlicht löschte aus, und gleich darauf tauchte eine Stallaterne auf, ging immer dicht über dem Boden hin, wurde von den Gebüschen zuweilen verdunkelt, kam wieder zum Vorschein und glitt gedoppelt über die blanke Dunkelheit des Sees. Vom Schloß her rief eine dunkle, harte Stimme, eine helle, zirpende antwortete. Hunde bellten laut und lustig.

      Mallon wurde abenteuersüchtig. Am ersten Tage — das war die Erfahrung seines Wanderlebens — mußte man die seltsamen Dinge beginnen. Später stellten sie sich als gewöhnlich heraus, oder sie waren nicht zu bekommen.

      Er stieg schnell ab, glitt das letzte Stück am Stamm hinunter in den Park. Tastete sich in der Dunkelheit des Gebüsches zurecht, das nach faulendem Laub und nach Spinnweben roch, fand den Weg und ging eilig, im großen Bogen das Herrenhaus meidend, zum See hinunter. Die Hunde rasten ihm entgegen, sprangen an ihm hoch, wollten ihn vielleicht beißen. Aber weil er ganz ruhig stand, sie nicht abwehrte und nicht anlockte, wurde es ihnen langweilig. Das Boot kam näher. Ein Pfiff und der Ruf der zirpenden Stimme. Die Hunde stürzten sich kopfüber ins Wasser, schwammen keuchend die paar Meter, wurden ins Boot gezogen.

      Gleich darauf landete Eva, Baronesse Camphausen, sprang, mit einer Hand auf das Ruder gestützt, in der andern Hand die Laterne schwingend, ans Ufer und erschrak, als sie feststellen mußte, daß der Mann am Ufer weder der Diener war, noch der Gärtner, noch ein Knecht.

      „Warum bellen die Hunde nicht?“ rief sie ärgerlich und sah den Fremden vorwurfsvoll an.

      Mallon fand sie reizend. Solche Chinesenaugen, schräg gestellt über dicken Backenknochen, mochte er gern. Sicher hatte sie Sommersprossen. Auch das liebte er.

      „Hunde mögen mich eigentlich“, sagte er stolz.

      Die Baronesse ging nicht darauf ein. Ihr war es etwas ängstlich zumute und trotzig aus Ängstlichkeit. Sonst bewachte man doch jeden ihrer Schritte. Sonst konnten Onkel Tiede und die Mama nicht genug betonen, daß sie als Achtzehnjährige vielen Gefahren ausgesetzt sei und jedenfalls die stundenlangen Märsche ins Luch und die Kahnfahrten auf der Rühe wegen der Vagabunden und Schiffer aufhören müßten. Und hier stand sie nun verlassen, kaum fünfhundert Meter vom Schloß. Kein Mensch kümmerte sich um sie, und Hektor und Stenz, die dummen Hunde, umschwänzelten den Fremden.

      „Sie sind doch, bitte, kein Bummler“, sagte Eva schließlich und zog die Schultern zaghaft hoch.

      „Doch, ich bummle hier“, antwortete Mallon, „ich bin heute angekommen. Ich wollte mich ein wenig umsehen.“ Er legte die Hände auf die Hüften und lachte. Eva Camphausen seufzte erleichtert.

      „Bummler“, sagte sie, „nannten Ingo und ich die Pennbrüder, die in den Park stiegen, um zu übernachten. Meist aber riechen die schrecklich nach Schnaps ... Na und überhaupt.“

      Mallon berichtete nun höflich, daß er der Führer der Dampfwalze sei, die das Fräulein sicher vor zwei Stunden habe pfeifen hören. Dampfwalze? Nein, sie hatte nichts gehört. Aber man konnte schon eine ganze Zeit mit dem Auto nicht mehr nach Himmelang. Man mußte reiten oder


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