Absolvo te!. Clara Viebig

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Absolvo te! - Clara Viebig


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einen Schein, unterzeichnet von des Besitzers Hand.

      Es überlief sie. Sie schüttelte sich wie in Grausen: „O, die Ratten!“ Und dann stand sie zögernd auf. Noch einmal setzte sie sich wie unschlüssig nieder, fast schwer fiel sie zurück auf ihren Platz, aber dann gab sie sich einen Ruck. Sie stand rasch wieder auf, ging hin zu ihrem Mann und setzte sich auf seine Kniee.

      Er war schier verdutzt über diese Wandlung. Aber dann war er glückselig: so nett war sie lange nicht gewesen! Sie kraute ihm den Kopf, und er lehnte seine Stirn gegen ihre weiche Brust und fühlte deren Wogen.

      „Dein Herzchen klopft sehr!“

      Sie sagte kurz: „Das glaube ich!“ Und dann küsste sie ihn auf den strubbligen Schädel und schmeichelte ihm: „Mein Alter, mein Lieber! Du willst mir ein Kleid kaufen, also wirklich ein neues Kleid?!“

      Er nickte heftig; zu wohlig war’s ihm, um zu reden.

      „Ich möchte wohl,“ fuhr sie fort und drückte seinen Kopf immer fester an ihre Brust, „ich möchte wohl so ein Kleid tragen, kirschrot mit schwarzen Borten, wie unsre Landrätin eines trägt. Wenn sie mich darin sehen würden zu Gradewitz, oder deine Bekannte in der Stadt, würden sie da nicht sprechen: ‚Wie gut die Tiralla das Rot kleidet?! Welch hübsche Frau hat doch der Anton Tiralla‘!“

      Er schmunzelte.

      „Aber weisst du, was nutzt es mir,“ fuhr sie fort — ihre Stimme sank und wurde ganz tonlos — „die Ratten würden es ja doch fressen!“

      „Zum Teufel mit den Ratten! Lass sie!“ Ärgerlich fuhr er auf trotz seiner Zärtlichkeit; sie hatte ihn schon allzu oft und allzu sehr mit ihren Ratten gequält. „Die Teufel mögen dich holen, dich und deine ewigen Ratten!“ Gift kam ihm nun einmal nicht ins Haus; lieber tausend Ratten als ein Giftkorn! Wie leicht konnte da ein Unglück geschehen! Bei Gift hat der Böse die Hand im Spiele!

      Aber mit Kraft drückte sie seinen Kopf wieder an ihre Brust zurück. Er musste da liegen bleiben; es war, als ob ihre Finger, die auf seinem Schädel hin und her spielten, ihn bannten.

      Er lallte wie ein Kind: „Lass die Ratten — gib mir einen Kuss — da — da!“ Wies hinter sein rechtes Ohr, hinter sein linkes Ohr, dahin, dorthin, und sie kniff die Augen zu und drückte ihren Mund in seine Haare, durch die schon da und dort die wenig saubere Kopfhaut durchschimmerte.

      Sie holte tief und zitternd Atem, als ringe sie nach Luft. Die zusammengekniffenen Augen riss sie weit auf und stierte auf einen Punkt, immer auf einen Punkt — es musste sein! Und dann sagte sie, indem ihr Gesicht, das er nicht sah, sich vor Widerwillen verzerrte, mit einer Stimme, die doch wie lauter Schmeicheln klang: „Lieber, möchtest du schlafen? So — lehne dich in meinen Arm! Mag die Marianna draussen alleine schaffen, ich bleibe bei dir. Ach, mein Lieber, ich fürchte mich so!“

      Und sie schmiegte sich dichter an ihn, so dicht, dass ihr warmer Körper ihn förmlich umschlängelte. „Die Ratten — ach!“ Sie stiess einen zitternden Seufzer aus. „Die abscheulichen Ratten! Lieber, nicht wahr, wir werden Gift legen — Rattengift — aber bald — sonst sterbe ich vor Angst!“

      II.

      Der Hof des Besitzers Tiralla lag weit draussen vorm Dorf am Przykop, dem tiefen Grund, bei den grossen Kiefern. Starydwór war ein stattlicher Hof. Da waren viele in Starawieś, die Frau Tiralla beneideten. Die war doch ein blutarmes Mädel gewesen, die Tochter einer Lehrerswitwe, hatte nicht mal sechs Hemden und einen Wagen voll Hausrat gehabt, und nun hatte sie soviel Geld! Aber keiner, und wenn er ihr noch so übel gewollt, hätte ihr nachsagen können, dass sie ihrem Alten nicht treu gewesen wäre.

      Der Besitzer Tiralla war schon bei guten Jahren gewesen, als er sie geheiratet hatte, und er war ein Witwer dazu mit einem grossen Jungen. Leicht mochte das für das junge Ding auch nicht gewesen sein, sagten die, die Frau Tiralla wohl wollten. Aber sie hatte sich gut geschickt, wenigstens wurde Herr Tiralla dick und fett und sagte es allen, die ihn gewarnt hatten, die Siebzehnjährige zu freien, seine Zosia sei das süsseste Weibchen unter der Sonne, und er fühle sich so mollig wie die Made im Speck. Und das sagte er noch, jetzt, nachdem sie schon bald fünfzehn Jahre miteinander verheiratet waren. Sie hatte es ihm angetan. Ihre grossen Augen, die wie dunkler Samt aus dem weissen Gesicht glänzten, führten ihn am Narrenseil; er konnte ihr nicht böse sein, wenn sie ihn oft auch noch so sehr kränkte. Und wenn er’s recht überlegte: war’s denn nicht am Ende gerade schön, dass sie so spröde und zurückhaltend war? Weiber, die sich ihm an den Hals warfen, hatte der Besitzer von Starydwór genug in seinem Leben kennen gelernt; selbst seiner ersten Frau, der verstorbenen Hanusia, konnte er nicht gleiche Keuschheit nachrühmen.

      Und hübsch war seine Zosia! Es schmeichelte dem Alternden gewaltig, dass man niemals nur von ihr als von ‚Frau Tiralla‘ sprach, sondern immer nur von der ‚schönen Frau Tiralla‘. Wenn er mit ihr durch Gradewitz fuhr — er auf dem Vordersitz, sie hinten in der Britschka mit Schleier und Federboa — staunte alles, was auf der Gasse war. Aber selbst in Gnesen stürzten die Herren Offiziere, die im Hotel zu Mittag speisten, ans Fenster und drängelten sich und machten lange Hälse, nur um die schöne Frau Tiralla vorbeifahren zu sehen. Dann knallte Herr Tiralla mit der Peitsche und fühlte sich sehr stolz; die mochten ihn ’mal beneiden! Die wussten es ja nicht — kein Mensch wusste es — dass er manchen Abend, wenn er sich ihr nähern wollte, einen Stoss vor die Brust erhielt, so kräftig, dass man ihn der zarten Frau nimmermehr zugetraut hätte. Seine Zosia war nun einmal nicht für die Zärtlichkeit, damit tröstete er sich. Sie war aber doch eine liebe Frau, eine schöne Frau, ein herziges Weibchen, von dessen Hand ihm das Essen noch einmal so gut mundete und noch einmal so gut bekam. Und schön war sie noch wie am ersten Tag. Schöner vielleicht jetzt in den Dreissigen als damals, wo sie noch gar so dünn, gar so klein war, keine hundert Pfund schwer, so leicht, zum Auf-der-Handtragen!

      Er hätte sie gern behängt, bunt und auffallend wie ein Schlittenpferd, aber sie hatte den Geschmack wie eine Dame. Das kam daher: sie hatte Bildung. Sie sprach deutsch, dass es nur so floss, und konnte es auch schreiben ohne einen einzigen Fehler. Sie kannte ganze lange Gedichte auswendig; sie wusste von Berlin zu reden, obgleich sie noch niemals dort gewesen war. Und das imponierte Herrn Tiralla gewaltig. Gnesen und Posen und Breslau waren zwar auch grosse Städte, aber Berlin, Berlin! Herr Tiralla staunte seine Frau an. Er selber kam sich ihr gegenüber sehr unwissend vor, obgleich er seinerzeit die Ackerbauschule zu Samter besucht und ganz gut verstanden hatte, aus seinen vom Vater ererbten fünfhundert Morgen etwas herauszuwirtschaften. Die Kinder, der Sohn aus erster Ehe, und dann die kleine Rosa brauchten einmal nicht ihr Brot bei fremden Leuten zu verdienen; vor allem aber würde seine geliebte Zosia, wenn er vor ihr sterben sollte, sichergestellt sein. Er hatte, wie er es vor der Hochzeit der Mutter, der Lehrerswitwe, zugeschworen hatte, bald nach der Hochzeit einen letzten Willen zu ihren Gunsten gerichtlich aufgesetzt.

      Frau Lehrer Kluge hatte völlig befriedigt über ihr Werk die Augen schliessen können. Sie, die einstmals aus besseren Kreisen, aus Breslau stammend, sich die Jahre ihrer Ehe mit dem Posenschen Schulmeister in den erbärmlichsten polnischen Nestern hatte herumdrücken müssen, hatte ihrer hübschen Tochter durch ihre Klugheit und Umsicht dies glänzende Los bereitet. Frau Kluge hatte nie gelitten, dass die kleine Sophia mit den anderen Kindern auf der Gasse spielte. Zosia trug immer Strümpfe und Schuhe; dafür hungerte man insgeheim lieber. Und als Zosia grösser wurde und in den Religionsunterricht für die erste heilige Kommunion ging, wurde sie des Herrn Propsts erklärter Liebling. Frau Kluge war eine fromme Christin, vielleicht die allerfrömmste in Gradewitz; bei ihrer Schneiderei für die Besitzerfrauen, mit der sie sich und ihr Kind ernährte, pflegte sie immer leise betend die Lippen zu bewegen. Durch diese Schneiderei hatte sie auch des Besitzers Tiralla Frau kennen gelernt — vielleicht auch durch ihre Frömmigkeit. Denn war es nicht wie eine Gegengewährung von Jesus Christus selber, dass beim letzten Kleid, das sie der schwangeren Frau Hanusia machte, der Besitzer Tiralla mit in die Stube kam? Er hatte seine Frau vorgefahren, es war bitterkalt, darum stieg auch er ab und liess das Pferd allein draussen warten. Kaum konnte er durch die niedrige Tür, und die kleine Stube war ganz voll von ihm. Das junge Ding, das der Mutter beim Anprobieren die Stecknadeln zureichte, bekam eine Mark von ihm und einen Blick, vor dem es errötete und die schwarzen


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