Absolvo te!. Clara Viebig

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Absolvo te! - Clara Viebig


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das Apothekerpaketchen präsentiert. Hübsch war es eingeschlagen in gestreiftes Seidenpapier und mit rotem Bändchen gebunden. Aber als sie das Schnürchen löste, da grinste auf der Schachtel ein Totenkopf sie an mit darunter gekreuzten Knochen, und ‚Gift‘ hatte sie gelesen und mit einem Aufschrei das Schächtelchen vor sich auf den Tisch fallen lassen.

      „Siehst du, nun hast du auch Angst davor,“ sagte Herr Tiralla.

      Ah, wie schlecht er sie kannte — sie und Angst?! „Wie macht man’s denn, wie macht man’s denn?“ fragte sie hastig.

      Nun belehrte er sie. Er kam sich recht wichtig vor, denn der Apotheker hatte ihn ermahnt, ja recht vorsichtig zu sein. Keinem anderen Menschen würde er so etwas in die Hand geben, hatte der gesagt, selbst auf einen Giftschein hin nicht; nur ihm, dem wohlbekannten Besitzer Tiralla. Hier von diesen weissen Pülverchen, die so harmlos wie feiner Zucker aussahen, streute man auf Stückchen von rohem Fleisch und legte diese in die Ecken: keine Ratte im Keller blieb lebendig. Oder man konnte auch hier aus dem Dütchen von diesem Weizen streuen, dem man’s gar nicht ansah, dass es nicht ganz gewöhnlicher Weizen war, der nur ein wenig rötlicher schimmerte.

      „Aber Vorsicht, meine Taube! Zoschchen, ich beschwöre dich, du musst mir versprechen bei deiner Seligkeit, recht vorsichtig zu sein!“ Von einem plötzlichen Angstgefühl befallen, wischte sich Herr Tiralla den Schweiss von der Stirn. Ihm war so heiss auf einmal, trotzdem der Schnee kalt auf seinem Pelzkragen lag und auf seiner Mütze. Er legte ab, warf die Oberkleider von sich und dehnte sich wie beklommen, während sie regungslos am Tische stand und mit glühenden Auge auf das Mitbringsel starrte.

      „Was ist denn wirksamer,“ sagte sie ganz verträumt, „die Pulver oder der Weizen?“

      „Beides, beides,“ versicherte er ängstlich. „Der Weizen ist schlimm, aber — Heilige Mutter! — von dem weissen Zeuge darf man nur lecken — ah, noch nicht einmal lecken darf man, kaum die Zungenspitze daran bringen, und man ist schon hin. Gift, schreckliches Gift ist’s, furchtbares Strychnin!“ Er schauderte. „Ach, dass ich auch so was ins Haus bringen musste! Der Teufel hat mich geritten. Her damit!“ Er riss es ihr unter den Augen weg und lief hin zum Ofen, in dem die flackernden Holzscheite knackten.

      „Bist du verrückt?“ Sie sah seine Absicht: er wollte es verbrennen. Mit einem Sprung war sie ihm im Wege, riss ihm das Päckchen aus der Hand und verbarg es in ihre Tasche.

      „Gib’s her, gib’s her!“ schrie er.

      Sie lachte ihn aus und hielt ihre Hand fest auf der Tasche.

      Da fing er an zu jammern: ach, ach, was hatte er angerichtet! Was war das für eine Dummheit von ihm gewesen, sich so etwas ins Haus zu schaffen! Keine ruhige Stunde hatte man jetzt mehr, ewig musste man denken, es könnte ein Unglück geschehen!

      „Aber warum denn,“ sagte sie ruhig und heftete ihre schwarzen Augen fest auf ihn, „warum denn ein Unglück?“

      „Ach, ach,“ jammerte er und hielt sich den Kopf.

      Sie musste ihn trösten. Ihr Zureden beruhigte ihn; er war wie ein Kind. Zuletzt verlangte er, gestreichelt zu werden; auch das tat sie. Und dann wünschte er, ins Bett gebracht zu werden; er hatte wohl auch getrunken, obgleich er’s leugnete. Die Magd musste auch herbei und helfen; sie zog ihm die hohen Schaftstiefel ab, während er der Frau seinen schweren Kopf an die Schulter lehnte und sie ihn mit ihren Armen umschlingen musste.

      Als sie ihn im Bette hatten, waren sie alle beide heiss und rot, so hatte er sie beide schäkernd gekniffen und sich absichtlich unbehilflich gemacht.

      Dann liess er sich Rózyczka kommen. Er hatte sie heute den ganzen Tag nicht gesehen; sie war schon nach der Schule gewandert, als er noch geschnarcht hatte, und als er fortgefahren, war sie noch nicht wieder dagewesen. Nun verlangte ihn nach Zärtlichkeit. Das kannte die Kleine schon, dann musste sie sich auf sein Bett setzen und ihre dünnen Ärmchen um seinen Hals legen und ihre kühle Wange fest an sein Gesicht drücken. Dann flüsterte er mit ihr wie mit einer Liebsten und gab ihr hundert Schmeichelnamen. Er nannte sie sein Füchschen, sein Sternchen, sein Vögelchen, sein Sönnchen, seinen Augentrost, sein Balsamkraut, seinen Schutzengel, seinen Himmelsschlüssel, der ihm den Himmel aufschloss.

      Und die Kleine lächelte und streichelte ihn mit ihren sanften Händen. Sie war ihm so gut; all das, was ihr die Mutter nicht gewährte, gab ihr der Vater. Und doch hatte sie auch für jene eine heimliche Liebe — sagten denn nicht alle Leute: ‚die schöne Frau Tiralla‘?! und trug ihr der Herr Lehrer, der doch sonst so barsch war, nicht öfters einen Gruss an die Mutter auf und sah ihr wohl gar Fehler nach und zog sie vor, eben weil sie die Tochter der schönen Frau Tiralla war?! Rózia wusste, dass sie nicht hübsch war, wenigstens fand sie sich selber nicht hübsch, wenn sie vorm Spiegel ihre rotblonden, krausen Zöpfe flocht. Schwarz wie Ebenholz und glatt wie Seide war das Haar der Mutter, und doppelt schön erschien ihr deren gelbliches Weiss mit dem Hauch von Rot auf den Wangen gegen die eigenen Sommersprossen. Die Halbwüchsige sehnte sich, schön zu sein, warum, das wusste sie selber nicht; es gab ihr eine gewisse Niedergeschlagenheit und Gedrücktheit, dass sie eben nicht schöner wurde, so inbrünstig sie auch darum betete. Alle Abend kniete sie vor ihrem Bett in der Kammer, die sie mit Marianna teilte, und hob die Hände und flehte und wusste selber nicht recht, um was alles.

      Marianna war auch eine gläubige Christin, und oft, wenn sie schon lange im Bett lagen, erzählte sie dem aufgeregt lauschenden Kinde noch von allerlei Zeichen und Wundern, von Besprechungen und Heilungen, von all den merkwürdigen Begebenheiten, die sich da und dort in der Gegend zugetragen hatten.

      Hatte nicht ein Besitzer, der Herr Kiebel, als er letzten Jahrmarkt von Wronke nach Obersitzko fuhr, hinter sich im Walde tuten hören, nicht weit vom neuen Judenkirchhof? ‚Tut, tut, tut!‘ Aber er war abgestiegen und hatte vor die zitternden Pferde und neben und hinter den Wagen — rund herum — lauter Kreuze mit dem Peitschenstiel in den Schnee gezeichnet, da war der Nachtjäger an ihm vorübergesaust mit ‚Tut, tut‘ und Gebell und schrecklichem Gejage. So stark war das Flattern seines Mantels gewesen, dass es Pan Kiëbelski beinahe vom Wagen heruntergeweht hätte; aber die Kreuze schützten den Frommen, der Nachtjäger musste weiter.

      Und bei Ossówiec war ein Berg, auf dem hatten die Hexen im vergangenen Juni sich versammelt und würden es nun bald wieder im Dezember tun und beratschlagen, wo sie überall hinfahren wollten in Staub und Wind. Aber malte man an Türen und Wände ‚K M B‘, die Anfangsbuchstaben der heiligen drei Könige, so konnten sie nicht hinein, und dann konnte einem keine Hexe ’was in den Teller spucken. Oder aber man brauchte auch nur, ehe man ass und trank, bei sich zu sprechen: ‚Gesegne es Gott‘, dann schadete kein Hexenwerk, Gott hielt seine Hand über den Teller gereckt.

      Gott Vater — wer fleissig zu ihm betete oder zu Jesus Christus, seinem Heiligen Sohne, oder zur Hochheiligen Mutter Maria, der brauchte auch den Teufel nicht zu fürchten, der vor vier Wochen in Latalice, nördlich von Gradewitz, dein Müller Kiërski, der immer fluchte und so fleissig trank, hinter seiner Scheune auf dem Mist in der Mitternacht beinahe den Hals umgedreht hätte. Ganz steif hatte er schon dagelegen und ganz blau im Gesicht; wenn nicht Sankt Petrus Hahn auf das Mühldach geflogen wäre und da dreimal gekräht hätte, sodass der Teufel vermeinte, der Haushahn krähe schon den Morgen an, so hätte man Müller Kiërski mit herumgedrehtem Kopfe, das Gesicht im Rücken, mausetot gefunden; seine Seele aber wäre schon in der Hölle gewesen.

      Marianna glaubte fest daran, dass die Nachtgespenster auch hier in den Fichten schrieen, dass die Hexen in den Winden tanzten, die draussen fauchten; vor allem aber, dass der Teufel, der unten im Przykop wie ein Irrlicht umherlief, gern ins Haus hinein wollte, um sich eine Seele zu holen für seine Hölle. Aber auch, wenn sie selber nicht so fest an all dies geglaubt hätte, so wäre es ein Vergnügen für sie gewesen, dem zitternden Kinde, das längst aus seinem Bett in das ihre gekrochen war, und sich dicht an sie schmiegte, allerlei Seltsames zuzuwispern. Immer abenteuerlicher wurden die Erzählungen, immer schauriger. Die Stunde der Nacht, das Stöhnen des Windes, das Klagen der Käuzchen, die in den alten Fichten am tiefen Grund hockten, vor allem aber die Dunkelheit der Kammer, die Schneestille, die Abgeschiedenheit, befruchteten die Phantasie der Magd. Alles gewann ein Gesicht und belebte sich; in jedem Baum seufzte ein Wesen, aus


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