Brentanos Märchen. Clemens Brentano
Читать онлайн книгу.den schönsten Flachs um die Rocken, und so ging der Zug von allen Seiten auf die Stadt und den Schlossplatz zu.
Da liess sie der Prinz Röhropp in einen grossen Kreis setzen mit ihren Spinnrädern, und die zehn, welche zuerst ihren Rocken abgesponnen, die sollten die Ehre haben, der Prinzessin Russika Märchen zu erzählen. Kaum war dies bekanntgemacht, als alle im Kreis geschwind wie der Wind die Brillen auf der Nase hatten, und nun ging es an ein Schnurren von einigen hundert Rädern, und die zehn, welche zuerst fertig wurden, waren nach der Reihe die lange Jungfer Elsefinger, die magere Fräulein Klarefädchen, die muntere Frau Zipflore, die bucklichte Jungfer Radebärbl, die witzige Fräulein Spulendoris, die scharfsinnige Frau Hecheltonie, die Jungfer Weifenseppel, die eifrige Fräulein Haspelrosa, die emsige Frau Spindelmarthe und die zierliche Jungfer Kunkelrieke.
Als diese zuerst fertig waren, wurden sie in das Schloss geführt; die andern aber, welche aus der Stadt waren, wurden auch reichlich beschenkt nach Hause geschickt; die aber vom Lande wurden auch reichlich beschenkt, auf mehrere Wurstwagen mit ihren Spinnrädern gesetzt und wieder nach Haus gefahren.
Die zehn Auserwählten mussten sich im Schlossgarten mit ihren Spinnrocken im Halbkreis setzen. In der Mitte sass döse Mohrin Russika; auf dem Schosse hatte sie das mit roten Windeln zugedeckte Prinzchen, auf dem Arm die goldspinnende Puppe, zur Linken sass der schöne Papagei auf einer Stange, zu ihren Füssen, in einem silbernen Hühnerkorb, aber die goldne Glucke mit den zwölf Küchlein, und über die ganze Gesellschaft war ein Teppich gegen die Sonne gespannt; und damit die Gesellschaft recht vollkommen sei, hatten sich ein Klapperstorch und ein Gockelhahn und ein Pfau oben auf den Baldachin gesetzt; auch viele Vögel, Katzen, Kaninchen und Hündchen fanden sich ein, und einige Edelknaben trugen mancherlei Zuckerwerk, eingemachte, getrocknete und frische Früchte umher, und auch süsse Weine wurden im Überfluss gereicht, nach welcherlei Leckereien die alten Spinnerinnen sehr lecker sind und die Finger darnach lecken, was zum Spinnen sehr nötig ist.
Sie hatten sich alle erquickt und wollten soeben den nahen Springbrunnen, der wie ein Schulmeister solcher Gesellschaft ihnen unermüdet vorplauderte, plätscherte und murmelte, mit Geschwätz und Rädergeschnurr überlärmen, als Röhropp sich erhob und sprach: „Tugendbare, wehrlose Jungfern, ehegeborne lehnreiche Fräulein und hochachtzigbare und hochwürdige Matronen des edlen Spinnerordens, kunkelhafte Spuldamen, Spindelfräulein und Rockenmägdlein! Sie haben sich hier versammelt, um die grosse Begierde meiner teuern Russika nach Märchen zu stillen. Wir werden also alle Abend hier beisammensitzen und der Reihe nach die schönsten Geschichten hören, welches meiner Russika zum Trost, allen Zuhörern zum Vergnügen und der Erzählerin zur Ehre gereichen wird; denn nichts ziert einen erfahrnen Menschen so sehr, als wenn er schöne Geschichten zu erzählen weiss, Geschichten, bei deren Anhörung der Weber sein Schiff, der Advokat seine Feder, der Apotheker seinen Mörser, der Scherenschleifer sein Rad und Kinder ihr Butterbrot ruhen lassen, um besser zuhören zu können. Es ist die Neugierde meiner Russika sehr wohl zu entschuldigen; denn es sprechen grosse Philosophen: Wie uns an der Wiege gesungen wird, so werden wir wieder singen, und so erzählt dann nach der Reihe schöne Geschichten, damit mein schönes Prinzchen, welches so munter unter der Purpurdecke im Schosse Russikas schnarchet, sich etwas Angenehmes träumen lasse!“
Nach diesen Worten sagte die neugierige Frau Spindelmarthe, ob es dann nicht erlaubt sei, den kleinen allerliebsten Prinzen ein wenig zu betrachten, worauf Russika befehlend antwortete:
Mein schönes Kind,
Das zeig ich nicht,
Es wird mir blind
Vom Sonnenlicht.
Da versetzte Fräulein Spulendoris: „Die Sonne ist schon unter, es kann ihm gar nichts schaden.“ Russika aber en machte ein so zorniges Gesicht, dass Prinz Röhropp sagte: „Meine Damen, beunruhigen. Sie meine Russika nicht! Habe ich doch das Glück selbst noch nicht gehabt, das Prinzchen zu sehen. Lassen Sie uns zu unsren Erzählungen schreiten! Fünf Geschichtchen an jedem Abend, so sind wir in zehn Tagen mit den fünfzig Märchen fertig. Wohlan, Jungfer Elsefinger“ — welche ihren Rocken zuerst abgesponnen hatte — „Sie haben die erste Stimme.“
Jungfer Elsefinger rückte sich zurecht, nahm eine frische Feige in den Mund, damit er ihr beim Erzählen und Fingerlecken nicht trocken werden solle. Da rückten sich alle in die Ordnung und horchten, die Frauen, die Spinnpuppe, das Papperle, die Goldglucke mit den Küchlein, der Pfau, der Storch, der Gockelhahn und die Turteltaube und die Katze und das Seidenhäschen, und das Hündchen und das Mäuschen schwiegen mausstille, der Brunnen plätscherte leiser, die Grillen hörten auf zu zirpen, die Käfer brummten nicht mehr, die Bienen schlüpften in die Lilienkelche und lauschten, aber leuchtende Johanneskäfer schwebten durch die warme Luft, und die Spindeln schnurrten angenehm um die Gesellschaft herum. Jungfer Elsefinger aber erzählte.
Myrtenfräulein
Im sandigen Lande, wo nicht viel Grünes wächst, wohnten einige Meilen von der porzellanenen Hauptstadt, wo der Prinz Wetschwuth residierte, ein Töpfer und seine Frau mitten auf ihrem Tonfeld neben ihrem Töpferofen, beide ohne Kinder, einsam und allein. Das Land war ringsum so flach wie ein See, kein Baum und kein Busch war zu sehen, und es war gar betrübt und langweilig. Täglich beteten die guten Leute zum Himmel, er möge ihnen doch ein Kind bescheren, damit sie eine Unterhaltung hätten, aber der Himmel erhörte ihre Wünsche nicht. Der Töpfer verzierte alle seine Gefässe mit schönen Engelsköpfen, und die Töpferin träumte alle Nacht von grünen Wiesen und anmutigen Gebüschen und Bäumen, bei welchen Kinder spielten; denn wonach das Herz sich sehnt, das hat man immer vor Augen.
Einstens hatte der Töpfer seiner Frau zwei schöne Werke auf ihren Geburtstag verfertigt, eine wunderschöne Wiege von dem weissesten Ton, ganz mit goldnen Engelsköpfen und Rosen verziert, und ein grosses Gartengefäss von rotem Ton, rings mit bunten Schmetterlingen und Blumen bemalt. Sie machte sich ein Bettchen in die Wiege und füllte das Gartengefäss mit der besten Erde, die sie selbst stundenweit in ihrer Schürze dazu herbeitrug, und so stellte sie die beiden Geschenke neben ihre Schlafstelle, in beständiger Hoffnung, Der Himmel werde ihr ihre Bitte gewähren; und so betete sie auch einst abends von ganzer Seele:
Herr, ich flehe auf den Knieen,
Schenke mir ein liebes Kind!
Fromm will ich es auferziehen,
Ist’s ein Mägdlein, dass es spinnt
Einen klaren, reinen Faden
Und dabei hübsch singt und betet;
It’s ein Sohn durch deine Gnaden,
Dass er kluge Dinge redet
Und ein Mann wird treu von Worten,
Stark von Willen, kühn von Tat,
Der geehrt wird allerorten,
Wie im Kampfe, so im Rat.
Herr, bereitet ist die Wiege,
Gib, dass mir ein Kind drin liege!
Ach, und sollte es nicht sein,
Gib mir doch nur eine Wonne,
Wär’s auch nur ein Blümelein,
Das ich in der lieben Sonne
Könnte ziehen, könnte pflegen,
Dass ich mich mit meinem Gatten
Einst im selbsterzognen Schatten
Unter ihm ins Gras könnt legen!
So betete die gute Frau unter Tränen und ging zu Bett. In der Nacht war ein schweres Gewitter, es donnerte und blitzte, und einmal fuhr ein heller Glanz durch die Schlafkammer. Am andern Morgen war das schönste Wetter, ein kühler Wind wehte durch das offne Fenster, und die gute Töpferin lag in einem süssen Traum, als sitze sie unter einem schönen Myrtenbaum bei ihrem lieben Manne. Da säuselte das Laub um sie, und sie erwachte, und siehe da, ein frisches, junges Myrtenreis lag neben ihr auf dem Kopfkissen und spielte mit seinen zarten, im Winde bewegten Blättern um ihre Wangen. Da weckte sie mit grossen Freuden ihren Mann und zeigte es ihm, und sie dankten beide Gott auf ihren Knieen, dass er ihnen doch etwas Lebendiges