Katharina Keplerin - Mutter des Astronomen. Utta Keppler

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Katharina Keplerin - Mutter des Astronomen - Utta Keppler


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langweilig und eng da – Tuch und Wachs und Fuhrverleih –, während Katharina wie eine Hausmagd gehalten wurde und auch die Schwiegermutter und die kränklichen Schwestern versorgte und ihnen kochte und wusch.

      Sie wird’s nicht leichter haben, wenn ich jetzt fort bin, sagt er sich, sie werden sie noch mehr ausschinden, und daß ich zu den Papisten will, ist ihnen gleich einer Todsünde – es geht ja durcheinander mit ihrem Glauben – katholisch und lutherisch und mitten in den politischen Händeln keins von beiden ganz – und nirgends eine Klarheit …

      Er sieht sie, Katharina, noch immer vor sich und spürt ihr Ziehen und Drängen; endlich schläft er ein, fällt brunnentief in seine Erschöpfung und wacht erst auf, als die Trompete weckt und alles hochjagt.

      Der Hauptmann hält eine Rede, kaum verständlich – er ist ein Provenzale –, kann wenig Deutsch, schreit, man habe den rebellischen Holländern das Maul zu stopfen, da sie ja der katholischen Majestät und der spanischen Kirche widerstrebten.

      Bei den Landsknechten wird viel geredet: daß man den neuen Glauben nur nutze, um einen Machtvorteil und Landgewinn zu erreichen, daß man auch im alten Glauben selig werden könne, wenn man ihn recht ansehe; daß man den Alba freilich entlassen und abgestellt habe, da er es den Niederländern allzu schwer gemacht, Leute wüst gefoltert, eingegraben bis zum Hals, verbrannt, gekreuzigt – daß er auch hätte die Inquisitoren wüten lassen, wie sie wollten, da sie es doch – wie er meine – zu Gottes höherer Ehre täten, denn die Spanier hielten dafür, daß man den Teufelsdienern, den Lutherischen und Hexerischen, die Satansbuhlschaft anmerke und anrieche, so daß es dem Höchsten wohlgefällig sei, wenn man sie mit Stumpf und Stiel ausrotte. Derlei verwirrte und alberne Redereien gehen im Heer um, und die Manneszucht ist dabei scharf und nicht immer gerecht – man fürchtet den Profoß und den Priester. Denn der macht’s ihnen auch nicht leicht; wer lutherisch scheint, gilt von vornherein als verdächtig, zumal in dem bunten Haufen aus Deutschen und Kroaten und Südländern; die Priester sind oft Katholiken und nehmen sich für Kämpfer Gottes. Da ist es am besten, sich nur auf’s Handwerk zu legen, auf’s Kriegsgeschäft, und nicht einmal groß hinzuschauen, wem’s gilt.

      Man läßt sich kaufen und verschieben auf den Plätzen der Welt und sieht zu, daß die eigene Haut so heil bleibt wie möglich.

      Das ist freilich selten genug, und kaum einer kommt ohne Blessur und zerrissene Glieder heim, wo es noch irgendeine Heimat gibt. Denn hier am Niederrhein und in Holland sind die Dörfer verbrannt, die Leute hocken in den Wäldern, die Hilflosen und Schwachen gehen ein wie Tiere. Wer etwas Eigenes hat, und dazu noch im unbekriegten Land, ist gut dran, solange es ihm gehalten und gepflegt wird.

      In Weil der Stadt, die stolz auf ihr Stadtrecht ist und jedes Schriftstück zeichnet mit: »Gegeben zu Weil, der Stadt«, kramen und wühlen sie weiter wie eh, graben und hacken, werken und treiben um, und viel Ausblick über die Mauern haben sie nicht. Man kennt das Nächste und richtet sich ein, man ist sicherer intra muros, aber man spürt doch die große Gefahr um die Mauer her und die Drohung von überall und traut auch dem Kaiser nicht und dem Papst nicht mehr, und Gott ist verschleiert und verborgen, und man weiß nicht recht, wie man ihm dienen soll, da sich die Kirchen jetzt selber bekämpfen und keine – scheint es – den ganzen Segen Gottes mehr besitzt, da sie angegriffen und angekränkelt sind, denn ihre alte Lehre hält nicht mehr stand –: »Sonne, steh still!« wie man von Aron und Gideon gelernt hat, gilt nicht mehr, nicht die Sonne dreht sich ja um die Welt – die kleine Erde wirbelt um sich selber und spiralig um die große Sonne, und die Planeten wirbeln; und sie rechnen und zirkeln darüber, sagt man.

      Gilt denn noch die Macht und Gewichtigkeit der Symbole, die alles einbegriffen, da man doch das letzte nicht anders sagen kann?

      Und der neue Glaube stellt das Denken und Urteilen in die Mitte aller Werte, und die »überschaubare Wirklichkeit« – aber die – ist nicht zu überschauen!

      Das freilich sagt und schreibt niemand in dem kleinen Gemeinwesen, aber sie spüren es und suchen Zuflucht. Denn wo ist die Welt noch zu erfassen, wenn man auf sich selber gestellt ist, dem unendlichen Gott gegenüber? Und keine Autorität der Kirche, die doch sein Haus ist? Vater unser … aber was will er von ihnen? Da fliehen die einen ins starre unantastbare Recht und verdammen und rotten aus, was ihren Buchstaben zuwider ist; und die anderen, die Dumpfen, Gedankenlosen, klammern sich ans Nächtige, an Wunder und Zeichen, an Geheimnis und Geraune, ans Verdeckte und Verbotene, das um so ziehender lockt und unwiderstehlicher reizt, je verborgener es umherschleicht.

      Vor langen Zeiten hat es ja Macht gehabt, das Zauberwesen; von Kelten, Arabern und germanischen Zauberinnen, den Hagedisen, soll es gehütet worden sein, es hat den Lüsten und Trieben nicht alles Recht versagt, sie in geheime Kulte verkleidet und gepflegt, geheiligt und erhoben. Schwarze Messen habe man da gehalten, schaurige heilwirkende Kulte geübt, und da es das Versagte erlaubte und das Verfemte erreichbar machte, da es ungeheuerliche Lust versprach und neue erdgewachsene Feuerwonnen, ist es jetzt wie ein Magnet. Die Frauen sind Träger des Unterirdischen, der Erdschoß ist ihre Heimat – das Chthonische haben’s die Griechen genannt. Weiber, den Priestern versagt, fühlen sich in der kirchlichen Ordnung verachtet, sie seien denn der Jungfrau Maria geweiht. Und die Ängste vor dem Unsichtbaren, vor kriechender Pest und Lepra und Franzosenseuche, vor den unverständlichen Entschlüssen der Großen – das alles treibt sie, die Kindlichen, die Leichtverführbaren, ins Dunkle.

      »Gefäße der Sünde« – die Weiber glauben’s selber fast, da doch die Urmutter Eva den Mann von der Paradieseswonne weggelockt und sie dafür ganz verloren hat … Und wo sie rein sind und groß und zu verehren, ist es die unfaßliche Ausnahme: Katharina war’s dem Heinrich, das wußten sie beide. Aber er ist fort, der Unruhige, in ihm gärt zuviel, das keinen Ausweg weiß, da ihm Bildung und Weisung fehlt und der klare Blick. Katharina ist ausgeblutet von einer Fehlgeburt und wird mit Geschrei und Gezänke zur schweren Arbeit getrieben, wäscht Fässer aus und bürstet die Holztische, schwenkt die Bierseidel … Sie werfen ihr vor, sie sei nur da, weil sie des Heinrich Weib sei, und der habe sie verlassen und also verworfen.

      Ein heißer Sommer kommt herauf, die Dorfgasse stinkt vom Unrat; man mäht zeitig, denn das dürre Heu könnten die Gewitter verderben. Die Geißen, die im Stall des Bürgermeisters stehen, geben weniger Milch als sonst, und das Äckerlein, das er von einem alten Taglöhner schneiden läßt, hat kurzes Stroh und daran dünne Ähren getragen.

      Da ist an einem schwülen Abend der Heinrich wieder da, narbig und zerzaust, mit einem schweren Sack auf der Schulter, das Roß hat er vor dem Ort verkauft, er hat’s erworben als Beute – wenn er wieder auszieht, ist er ein Einrösser, ein Ehrentitel mit der Pflicht, nicht ohne Pferd anzutreten.

      Der Alte, den man aus dem Rathaus holt, ist böse; er sieht’s als Schande an, daß der Sohn »entlaufen« ist, glaubt’s nicht recht, daß sie ihn regelrecht entlassen und entlohnt haben, und nimmt’s ihm übel, daß er die Beute unter den Päpstlichen gemacht hat und nicht unter den Lutherischen. Denn er hält scharf darauf, daß die Keplerischen als lutherisch gelten, eben weil er selber, der Amtsbürgermeister, anno 1571 dem Kaiser auf einem Reichstag die Treue zum alten Glauben zugeschworen hat – um seinem Städtlein den Kaiserschutz zu sichern, nachher aber umgeschwenkt und sich protestantisch gehalten hat, im gleichen Jahr, in welchem sein erster Enkel, Johannes, geboren wurde, der noch katholisch getauft war, aber protestantisch erzogen. Da kümmert sich denn der Alte um die Reputation der Sippe, beantragt im Rathaus die feierliche Bewirtung des heimgekommenen Sohnes. Sie tun ihm den Gefallen, laden den Heinrich zu einem Ehrentrunk ein und überreichen ihm den silbernen Becher. Katharina freut sich, und der Vater ist stolz – er sorgt dafür, daß die Kosten für das Ehrenmahl genau aufgeschrieben sind und dem Heinrich sogar ein Geleit zum Ratssaal gegeben wird; die Frau ist freilich nicht mitgeladen, das wäre gegen alle Regel … Sie fürchtet die Augen der Schwieger und das vertrotzte Schweigen des Alten. Johannes, der gescheiter ist als es seinem Alter zusteht, kommt ein paarmal heulend und zerbeult heim, man hätte ihn wegen der Mutter geschlagen, hätte ganz Übles über sie gesagt, und die Buben auf der Gasse wollten’s von ihren Müttern haben. Irgendeine der Frauen will auch gesehen haben, daß die Kätter, als der Mann aufs Rathaus geführt worden zur Ehrung, noch eh er mit hochrotem Kopf vom Trunk bei den Oberen zurückgewesen, sich im Haus und am Fenster gedreht


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