Die Ehe des Dr. Jorg - Liebesroman. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.hat’s auf die linke Straßenseite geschleudert. Er ist dabei frontal gegen einen VW geprallt.“
„Na, viel Spaß“, sagte der Kollege und zog sich zurück.
Niemand sonst hatte Dr. Jorgs Eintritt beobachtet. Die Krankenpfleger waren damit beschäftigt, die Kleidung der Verletzten aufzuschneiden und zu entfernen. Zwei Schwestern taten das gleiche bei einer Frau, die auf der hintersten Trage in nächster Nähe der Rampentür lag.
Oberarzt Dr. Müller und der Assistent Dr. Köhler hatten bereits mit der Untersuchung begonnen. Dr. Jorg war Stellvertreter des Oberarztes. Ein seit Jahren erprobtes, gut eingespieltes Team.
Dr. Jorg versäumte nicht eine Sekunde. Er wandte sich sofort der ihm am nächsten stehenden Trage zu. Der Verletzte war schon entkleidet, ein blonder junger Mann mit gut ausgebildeter Muskulatur. Sein Gesicht zeigte Schürfspuren, geronnenes Blut und Straßenschmutz. Der linke Arm lag völlig verdreht, mit der Handfläche nach oben. Es sah aus, als gehörte der Arm gar nicht zu dem Mann. Der Patient war bewußtlos.
„Das ist der Fahrer des Sportwagens“, sagte der Polizist. „Er wurde acht bis zehn Meter aus dem Auto ’rausgeschleudert.“
Dr. Jorg hob die Augenlider des Bewußtlosen nacheinander an. Der Pupillenreflex war noch da. Aber das hatte so kurz nach dem Unfall nicht allzuviel zu besagen. Er hob den linken Arm des Verletzten und ließ ihn fallen; er schien nur noch durch Haut mit dem Körper verbunden zu sein. Auch der linke Fuß und der Unterschenkel waren gebrochen.
„Kopf röntgen“, sagte Dr. Jorg zu dem neben ihm stehenden Pfleger. „In drei Ebenen. Alles andere hat Zeit. Verständigen Sie den Anästhesisten.“
Während zwei Pfleger die Trage behutsam aufhoben und zum Aufzug transportierten, wandte sich Dr. Jorg an den Oberarzt, der einen anderen Verletzten untersuchte.
„Verdacht auf Schädelbasisfraktur“, sagte Dr. Jorg. „Reflexe sind erhalten. Ich habe ihn zum Röntgen geschickt.“
Dr. Müller nickte leicht. „Schauen Sie sich mal diesen Mann hier an. Es ist der Beifahrer des VW.“
Der Verletzte sah aus geweiteten, erschreckten und doch stumpfen Augen zu den Ärzten auf.
„Können Sie sich an den Unfall erinnern?“ fragte der Oberarzt. „Waren Sie bewußtlos?“ Er tastete dabei nach dem Puls des Verletzten, der schwach und sehr schnell ging.
„Unfall?“ murmelte der Schwerverletzte verständnislos. „Ich weiß nicht. Wo bin ich hier?“
„Schockzustand“, sagte Dr. Jorg leise.
Der Oberarzt nickte. Ein schwerer Wundschock war bei solchen Verletzungen nichts Ungewöhnliches.
Dr. Jorgs Augen überflogen den Körper des Patienten. Schnittwunden, Quetschungen, außerdem ein schwerer Oberschenkelhalsschaftbruch.
Dr. Jorg winkte eine Schwester herbei. „Dolantin“, befahl er und legte eine Staubinde an den linken Arm des Verletzten, während die Schwester die Spritze aufzog. Dr. Jorg spritzte eine Ampulle Dolantin. „Infusion“, sagte er dann. „Plasma-Expander.“
Die Schwester schüttete den Blutersatz in einen gläsernen Behälter, Dr. Jorg schloß den dünnen Schlauch an die Vene. Nur auf diese Weise konnte der Kreislauf des Schwerverletzten gestützt werden.
„So“, sagte Dr. Jorg. „Bleiben Sie bitte bei dem Patienten. Kontrollieren Sie den Puls. Wenn er sich einigermaßen erholt hat, kommt er zum Röntgen. Schädelaufnahmen, das rechte Bein in zwei Ebenen.“
„Jawohl, Herr Doktor.“
Dr. Jorg wandte sich zu der Patientin auf der Trage neben der Tür. Dr. Köhler hatte sie untersucht. Ein schönes junges Mädchen. Ihr blondes Haar war verklebt, ihr Gesicht durch eine große Schnittwunde auf der rechten Wange entstellt. Sie blickte verstört ins Leere.
Dr. Jorg zog es das Herz zusammen. Unwillkürlich trat das Bild seiner jungen Frau vor sein inneres Auge. Wenn Inge so vor ihm läge . . .
Commotio leichteren Grades“, erläuterte der Assistenzarzt. „Und natürlich noch Schock Kann sich an nichts mehr erinnern, spricht aber schon bedeutend klarer als vorhin. Ich habe Dolantin gegeben.“
Dr. Jorg räusperte sich. „Erbrechen?“ fragte er.
„Einmal. Außer Hautabschürfungen und dem Schnitt da in der Wange hat sie nichts abbekommen.“
„Nichts?“ fragte Dr. Jorg. „Ich denke, das genügt. Gehen Sie in den zweiten Operationssaal und versorgen Sie zunächst die Schnittwunde. Etwaige Kontrollaufnahmen vom Schädel und so weiter haben bis morgen Zeit.“
Das Mädchen begann zu sprechen, mit einer Stimme, die von weither zu kommen schien. „Wo ist Peter?“ fragte sie. „Mein Freund . . .“
Dr. Jorg beugte sich über die Patientin. „Machen Sie sich keine Sorgen. Mit ihm ist alles in Ordnung.“
Er gab den Pflegern einen Wink, die Trage hinauszubringen.
Dr. Jorg folgte dem Oberarzt ins Röntgenzimmer. Die Aufnahme vom Schädel des Sportwagenfahrers mußte jetzt fertig sein.
Das Röntgenbild lag in der Dunkelkammer auf der Mattscheibe. Es zeigte einen Wust von Schattierungen und komplizierten Linien.
„Schädelbasisbruch“, sagte Dr. Jorg gepreßt. „Wie ich befürchtet hatte.“
„Ja, leider“, sagte Dr. Müller.
Sie betrachteten noch die Aufnahmen von den beiden anderen Ebenen des Schädels. Dann verließen sie wortlos das Zimmer und fuhren zum Erdgeschoß hinauf, wo der blonde junge Mann in tiefer Bewußtlosigkeit lag. Er war unruhig geworden, die Pfleger hatten ihn auf dem Untersuchungsbett anschnallen müssen. Der Puls ging jetzt sehr schnell, die Atmung unregelmäßig.
„Sieht übel aus“, sagte Dr. Köhler. Er bemühte sich fortwährend, den Kreislauf des Patienten zu stützen.
Dr. Müller und Dr. Jorg untersuchten die Pupillen. Die rechte war klein, die linke weit und starr. Sie sahen sich an. Beide wußten Bescheid.
„Subdurales Hämatom“, sagte Dr. Jorg.
Dr. Müller nickte.
Die starre, erweiterte Pupille war ein sicheres Symptom für einen verstärkten Hirndruck auf der linken Seite. Dieser Hirndruck konnte nur von einer Blutstauung unter der Hirnhaut, einem subduralen Hämatom, herrühren. Bei dem Unfall mußten Hirngefäße verletzt worden sein. Das Blut staute sich, weil es keinen Ausweg fand.
„Wir müssen eine Trepanation zur Entlastung vornehmen“, sagte Dr. Jorg.
„Ja“, entschied Dr. Müller. „Operation. Wollen Sie das machen, Kollege?“
Dr. Jorg begriff, daß der Oberarzt den Fall für hoffnungslos hielt. Aber man mußte alles versuchen.
„Alles fertig machen zur Operation“, ordnete er an.
„Äußerste Beeilung, wenn ich bitten darf!“
„Viel Glück, Kollege“, sagte Dr. Müller. „Ich schicke Ihnen einen Assistenten.“
Dr. Jorg ging in den Waschraum, bürstete und wusch seine Hände zehn Minuten lang unter fließendem, heißem Wasser. Für eine Hirnoperation brauchte er Fingerspitzengefühl. Mit Gummihandschuhen war da nichts zu machen.
Der Assistent kam herein. Dr. Jorg erläuterte ihm mit wenigen präzisen Worten den Fall. Eine Lehrschwester half den beiden Ärzten in die sterilen grünen Kittel, knöpfte sie von hinten zu, setzte ihnen die sterilen grünen Kappen auf und band ihnen den Atemschutz vor, die sogenannte „Schnauze“. Dr. Jorg setzte sich noch eine kleine Stirnlampe auf. Hintereinander betraten die beiden Ärzte den OP.
Der Patient lag im schattenlosen Licht der Operationslampen. Sein Körper war mit sterilen Tüchern abgedeckt, das Kopfhaar völlig abrasiert, die ganze Schädeldecke mit Benzin und Alkohol gereinigt. Die Verletzung war jetzt deutlich sichtbar; ein